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Unter dem Eindruck des Hungers gegen Ende des ersten Weltkrieges betonte Baur die Bedeutung der Genetik im Ackerbau zur Verminderung der Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten. Dazu waren besonders Getreide und Futterpflanzen für die armen Böden der trockeneren Regionen Deutschlands zu züchten. Nach weitgehender Ausschöpfung der Möglichkeiten der natürlichen Auslese waren seines Erachtens Kreuzungen mit Wildarten nötig. So verfaßte er gemeinsam mit dem privaten Petkuser Getreidezüchter Ferdinand v. Lochow bereits 1917 eine Denkschrift zur Gründung eines großen genetischen Institutes.
Die wirtschaftlich-politische Situation der späten 20er Jahre charakterisiert Klemm aus heutiger Sicht folgendermaßen: "Aus der Katastrophe der deutschen Ernährungswirtschaft im 1. Weltkrieg zieht man die Lehre, daß die einheimische Landwirtschaft auf einen neuen Krieg, mit dem die Niederlage von 1918 revidiert werden soll, gründlicher vorbereitet werden muß. Als Hauptmethode wird ein möglichst hoher Autarkiegrad Deutschlands bei der Versorgung mit Agrarprodukten empfohlen und angestrebt. Das dafür notwendige intensivere Produktionsniveau bedingt den verstärkten Einsatz von wissenschaftlichen und technischen Mitteln ..." (Klemm 1998).
Von der erhöhten Nachfrage nach Saatgut, Zuchtvieh etc. erhoffte man
sich eine Belebung des Binnenmarktes; Banken und Industrie wandten sich
verstärkt der Landwirtschaft zu. "Die dafür erforderlichen
Investitionen können die landwirtschaftlichen Betriebe nicht aus eigenen
Kräften aufbringen. [...] Besonders von 1924 bis 1928 fließen in
verschiedenen Kreditformen beträchtliche Geldmittel in die deutsche
Agrarwirtschaft" (Klemm 1998).
In dieses Umfeld läßt sich auch das angestrebte weitgehend
privatwirtschaftliche Finanzierungskonzept der von Baur angestrebten
Agrarforschungsstätte einordnen.
Als Ergänzung zur privaten Züchtung sollte das neu zu gründende
Institut den Staat über ertraglich hocheffektive Züchtungsarbeiten
bzw. -vorarbeiten volkswirtschaftlich entlasten (Einfuhrverringerungen). Es
mußte dazu jene theoretischen Arbeiten leisten können, die der
Privatzüchtung nicht zumutbar waren, da seinerzeit noch kein Patentschutz
möglich war.
Baur hatte "seit seiner frühesten Jugend Zahlen über Ernten
und Ernteschäden gesammelt. [ ...] Wenn so riesige Summen auf dem Spiel
standen, waren da nicht ein paar Millionen Mark für Versuche ein
glänzend angelegtes Kapital?" (Zischka 1940).
Baurs Eintreten für Autarkie findet später in einem Vortrag im Deutschen Landwirtschaftsrat über "Nationalwirtschaftliche Aufgaben und Möglichkeiten der Pflanzenzüchtung" folgenden Ausdruck: "Wenn wir heute die Weltgeschichte überblicken, können wir immer feststellen, daß sämtliche Kulturvölker mit dem Augenblick angefangen haben zu verkommen, zu verfallen und zu degenerieren, wo sie zum übergroßen Teil in Städten wohnten, wo sie ihre Landwirtschaft haben verkümmern lassen und wo sie anfingen, die landwirtschaftlichen Produkte, die sie eigentlich im Inland hätten erzeugen können und die sie früher auch erzeugt haben, aus dem Ausland einzuführen, weil sie draußen "billiger" zu haben waren. Sämtliche Kulturvölker, die alten Griechen, die Ägypter, die Römer usw. sind an diesem einen Fehler zugrunde gegangen. Es ist wahrscheinlich unser großes, fast unvorstellbares Glück, daß diese Weltwirtschaftskrise eingesetzt hat und uns zur Erhaltung der Landwirtschaft gerade im letzten Moment zwingt, ehe die Landwirtschaft vollkommen zugrunde gegangen ist, ehe der letzte Bauer in die Stadt abgewandert ist" (Archiv des deutschen Landwirtschaftsrats, 51. Jg., 1933; zitiert nach Rübensam 1998).
Diese schroffe Haltung des nationalkonservativ eingestellten Baur, der 1921 auch eine Mitautorenschaft im "Baur/Fischer/Lenz: Grundlagen der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene" (s.u.) wahrnimmt, erfährt ein starkes Gegengewicht durch weltbürgerliche Haltungen, wie sie später Stubbe beschreibt: "... Baur arbeite in den zwanziger Jahren intensiv daran, die durch den ersten Weltkrieg zerstörten internationalen Wissenschaftsbeziehungen erneut zu knüpfen. [Die] Bemühungen Baurs werden gekrönt, als er 1927 Präsident des V. Internationalen Genetiker-Kongresses wird und Wissenschaftler aus aller Welt zu freundlichen Gesprächen in Berlin vereint" (Stubbe 1975).
Baur war Herausgeber folgender Fachzeitschriften:
sowie Autor folgender weitverbreiteter Lehrbücher:
Der private Erwerb des Brigittenhofs im Jahre 1920 - nach anderen Angaben auch schon während des Krieges - auf der Suche nach hinreichend großen sandigen, trockenen und winterkalten Flächen schuf eine erste Brücke von seinem Institut in Berlin-Dahlem nach Müncheberg. Mit seinen Studenten führte Baur hier während der vorlesungsfreien Zeit Pflanzenzüchtungsversuche durch, machte aber auch einige tierzüchterische Experimente mit Schweinen und sogar einem Wisent-Bison-Paar. "Als sie [das Wisent-Bison-Paar] aber älter wurden, kamen sie auf Abwege und so belagerte einmal einer von ihnen die Kleinbahn von Dahmsdorf nach Müncheberg, was dann in der Tageszeitung als großer Artikel 'Wildwest in der märkischen Heide' kam. [...] Leider schienen sie es riesig lustig zu finden und brachen zu zweit einigemale aus und belagerten den besetzten Nachmittagszug und die Stadtverwaltung fand das weit weniger lustig und so mußten Herr Prof. Baur und Dr. Stubbe auf Büffeljagd ziehen und wir bekamen alle äußerst schmackhaftes Fleisch verteilt. Aber wir hatten sie alle wirklich gern und bedauerten es sehr" (Erinnerungen der Familie v. Wettstein).
Zur Standortwahl Müncheberg hat neben den bewußt gesuchten, für landschaftliche Nutzung ungünstigen Klima- und Bodenverhältnissen sicher auch die für ein weiträumiges ländliches Versuchsgebiet vergleichsweise geringe Entfernung zu Berlin beigetragen. "Baur vertrat den Standpunkt, daß der schlechteste Boden und die ungünstigsten klimatischen Bedingungen erforderlich seien, um eine Neuzüchtung den härtesten Proben auszusetzen" (Stubbe 1959).
"Durch seine Lage im Regenschatten Berlins dringen
Niederschläge nur selten bis dahin vor. [...] Die durchschnittliche
Niederschlagsmenge der Jahre 1912-1925 betrug nur 400 mm [...]. Nach einem
späten Frühjahr folgt gewöhnlich eine plötzlich auftretende
Trockenperiode. Frühfröste treten schon Anfang September ein;
Spätfröste kommen bis Ende Mai vor" (Institutsführer
1933).
"Müncheberg liegt in einem ausgesprochenen Trockengebiet mit einem
jährlichen Durchschnitt der Niederschläge von 450 mm, die dazu noch
ungünstig verteilt sind. Der Ackerboden besteht zumeist aus armem Sand. Da
sich mit trockenen Sommern harte Winter vereinen, sind Klima und
Bodenqualität somit für die Züchtung von anspruchslosen Sorten
sehr geeignet" (Institutsführer 1938).
Über die tatsächliche Eignung des Standortes liegen dabei durchaus
kontroverse Auffassungen vor, die im folgenden gegenübergestellt sind.
Hintergrund der z. T. kritischen Standortbewertung ist die landschaftsgeschichtlich bedingte, für Jungmoränengebiete charakteristische kleinräumige Heterogenität der Substrat- und Bodeneigenschaften. Sie bildet bis heute eine permanente Herausforderung für die Landnutzung sowie die landnutzungsbezogene Forschung.
Nach zehn Jahren, am 10. 3. 1927, wurde schließlich dem Antrag auf Institutsgründung seitens der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zugestimmt, weil die notwendigen Mittel aus Kreisen von Landwirtschaft, Banken und Industrie bereitgestellt werden konnten. Die diesbezügliche Senatssitzung gab die "Einwilligung, allerdings mit der bezeichnenden Einschränkung: 'sofern die erforderlichen Mittel nicht von der Gesellschaft aufgebracht werden müßten'. [...] An der Aufbringung der einmaligen Kosten von 850 000 RM beteiligten sich unter anderem die Deutsche Rentenbank-Kreditanstalt, die I.G. Farbenindustrie, die Gesellschaft zur Förderung deutscher Pflanzenzucht, Berliner Großbanken und das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft. [...] Die jährlichen Unterhaltskosten von rund 125 000 RM, aus denen die Gehälter zu bezahlen waren, trugen unter anderem die Düngerindustrien, die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft, die Landwirtschaftskammer für die Mark Brandenburg, das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft sowie Eigeneinnahmen des Instituts" (Brocke 1990).
Das im Frühherbst 1927 angekaufte, zum Stadtgut Müncheberg gehörige Institutsgelände bestand in dem kahlen Schäferberg und dem östlich anschließenden beackerten Plateau nördlich des Faulen Sees. Die Versuchsflächen liegen damit im Wurzelbereich eines sich nach Süden unter ausgedehnten Nadelwäldern bis zur Spree erstreckenden, von Schmelzwässern der Frankfurter Staffel aufgeschütteten Sanders. Im Bereich des Institutsgeländes zeigt der Sander allerdings hohe Anteile von Grundmoränenmaterial, weshalb dieses Gebiet - bei aller Uneinheitlichkeit der Standorteigenschaften - schon zuvor agrarisch genutzt wurde. Die Süd- und Südwesthänge zur durch austauendes Toteis entstandenen Senke des Faulen Sees boten hinreichende Lagen für spätere Weinanbauversuche.
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