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"In dem Hauptgebäude befinden sich die Arbeitsräume der
einzelnen Abteilungen. Ferner sind dort die Verwaltungsräume, das
Direktorenzimmer, die Bibliothek, der Vortragssaal und einige allgemeine
Laboratorien [...]. Im Keller ist eine größere Kühlanlage
für Gefrierversuche eingebaut. In der ausgebauten Mansarde befinden sich
Wohnräume für die weiblichen Angestellten.
Im Seitenflügel des Institutsgebäudes ist das Kasino
untergebracht. Die im ersten Stock gelegenen Wohnzimmer der Assistenten sind im
Laufe der Jahre zum größten Teil zu Laboratorien umgebaut
worden" (Institutsführer 1933).
Zu den ersten Gebäuden von Institut und Wirtschaftshof kam 1932 eine
offene Dreschhalle im Felde; 1933 bestanden darüberhinaus 10 heizbare
Gewächshäuser, 4 Sommer-Gewächshäuser, 5 transportable
Fensterhäuser sowie eine feststehende Beregnungsanlage. Ferner bestand
eine agrar-meteorologische Arbeitsgemeinschaft mit dem Meteorologischen
Institut Berlin zur Untersuchung besonders der Taubildung sowie der Früh-
u. Spätfröste.
Die Gründung einer ersten Zweigstelle in Ostpreußen in der Nähe
von Königsberg diente der Klärung " ... welche von den neuen
gezüchteten Sorten sich gerade für die besonderen Verhältnisse
Ostpreußens eignen" (Institutsführer 1933). Dies zeigt
zusätzlich zur Standortwahl Münchebergs die Ausrichtung auf
Verbesserung der Erträge unter ostmitteleuropäischen Klimaten. Die
Einrichtung weiterer geplanter Zweigstellen scheiterte zunächst an der
allgemeinen Mittelknappheit.
Zusammensetzung des Kuratoriums des KWI Müncheberg 1928 (49 Mitglieder):
Der schon zur Ermöglichung der Institutsgründung unumgängliche
Kampf Baurs um die Finanzierung fand während der Zeit seiner Leiterschaft
vielfache dramatische Zuspitzungen.
"Das Institut wird [...] etwas über eine Million Mark kosten, aber
wenn wir nicht in wenigen Jahren dem Deutschen Reich durch unsere Arbeiten ein
Vielfaches dieser Summe eingebracht haben, dann sind wir alle miteinander nicht
wert, daß uns noch weiter Gehalt gezahlt wird" (Baurs Festrede
zur Institutseinweihung).
Die vielleicht ohnehin übersteigerte Zuversicht auf baldige
Selbstfinanzierung erfüllte sich infolge der wirtschaftlich
ungünstigen Situation der ausgehenden 20er Jahre, seiner -
wissenschaftlich verzeihlichen - Maßlosigkeit, der Langsamkeit der
Generationsfolgen vieler Züchtungsvorhaben sowie infolge persönlicher
Querelen mit dem Reichsernährungsministerium nicht. Zeitweise drohte der
Einrichtung die Schließung.
"Daß Professor Baur diese in ihrer Bedeutung heute noch gar
nicht abzusehende Tat [die Institutsgründung] gelang, hat seinen Grund
darin, daß er vorzurechnen verstand, wie millionenfach sich jede kleinste
in die Vererbungslehre gesteckte Summe verzinsen kann" (Zischka 1940).
"Wie viele geniale Erfinder schritt Baur über jede Hemmung
bürokratischer Art hinweg und kannte kein Denken in
Etatpositionen." Damit "hatten die Beamten in den Ministerien
direkt Angst vor ihm" (Brocke 1990).
"Aus den Erfahrungen der Gegenwart erscheint es unvorstellbar,
daß er nach nie aufhörenden Vorträgen, Besprechungen und
Sitzungen bei Behörden, Industriemagnaten oder international bedeutenden
Gesellschaften die Mittel für die Weiterführung des Instituts
buchstäblich sammelte. Wie oft berichtete er dann, ermattet nach
Müncheberg zurückgekehrt, welche Summen ihm am Tage zugeflossen
waren" (Stubbe 1959).
Der damalige Abteilungsleiter der Beerenobstzüchtung erinnert sich in diesem Zusammenhang: " 'Herr Gruber, Sie können zu mir nach Müncheberg kommen - für's Beerenobst hab' ich noch niemand. Zahlen kann ich nix, und wann ich was zahlen kann, weß ich auch nicht.' Unter diesem verheißungsvollen Angebot meines Doktorvaters Erwin Baur fand mein Einzug in das vor etwas mehr als einem Jahr gegründete Kaiser-Wilhelm-Institut für Züchtungsforschung in Müncheberg [...] statt. [...]Eine weniger erfreuliche Erinnerung haben bei mir die in den ersten Jahren periodisch stattgehabten Pleitesitzungen hinterlassen, unter dem Motto: 'Wer hat noch was und wieviel?' (nämlich Geld! Die Redaktion.) [...] Doch unermüdlich und mit nie erlahmendem Optimismus verstand es Baur immer wieder, neue Geldquellen aufzuspüren und mehr oder weniger sprudelnde Bächlein in den ausgetrockneten Bronnen der Institutsfinanzen zu leiten" (Erinnerungen F. Gruber, nach 1955).
Praktische Zuchtziele waren Weizen für leichte Böden,
krankheitswiderstandsfähige Kartoffeln und Reben. Weltreisen zum Sammeln
wilder Sorten (u. a. frostbeständiger Kartoffelsorten) führten Baur
u. a. 1930/31 nach Südamerika, von wo "über 1000 kultivierte und
nichtkultivierte Kartoffeln" (Kuckuck & Schmidt 1948) mitgebracht
werden konnten.
Der erste Institutsführer von 1933 nennt als Hauptaufgabenfelder die
Dabei wird zur Beruhigung privater Züchter und Finanziers
ausdrücklich der vollständige Verzicht auf Saatgutproduktion
und -verkauf betont.
Die für den "hohen Norden" überraschende Rebenzüchtung
galt der Krankheitsresistenz und war daher an einem Standort fern der
ansteckungsgefährdeten Weinbaugebiete zweckmäßig.
"Dadurch, daß die im Vordergrund stehenden Aufgaben der
Immunitätszüchtung die Einkreuzung qualitativ wertloser, aber
hochgradig krankheitswiderstandsfähiger Wildreben notwendig machten,
werden für den Anbau außerordentlich umfangreicher
Sämlingspopulationen so große Landflächen benötigt, wie
sie im Weinbaugebiet infolge der hohen Land- und Landbearbeitungskosten nicht
zur Verfügung gestellt werden könnten. [...] Das Klima von
Müncheberg und seine Lage weitab vom Weinbaugebiet eignen sich sehr gut
für alle Arbeiten mit Pilzkrankheiten, tierischen Schädlingen und
für die Auslese auf Frostfestigkeit" (Institutsführer 1938).
In der theoretischen Arbeit konzentrierte sich Baur auf das
Löwenmäulchen (Antirrhinum), das für die Untersuchung von
Vererbungserscheinungen wie Kopplungen, Spaltungen, Neuauftreten,
Abänderung und Verlust besonders gute Eignung zeigte.
"Bei Antirrhinum wuchsen die Untersuchungen zur experimentellen
Erzeugung von Mutationen und damit gleichzeitig die Arbeiten zur
Chromosomentopographie in einem Maße, das nur selten bei höheren
Pflanzen erreicht sein wird" (Stubbe 1959).
"Aber auch der Mensch sorgte zeitweilig für eine bunte Welt, denn
[diese Flächen] wurden zur Genetikforschung verwendet oder direkt zu
Züchtungen. Besonders schön waren Lein, Lupinen und Mohnfelder und
ganz besonders die Riesenfelder von Löwenmäulchen, die die
Forschungspflanze von Prof. Baur war" (Erinnerungen der Familie v.
Wettstein).
Der erste beeindruckende Züchtungserfolg war die Entwicklung einer
bitterstoff-freien Futterlupine. Der schon 1930 mögliche Verkauf von
Süßlupinensorten an Saatzuchtfirmen bestätigte zunächst
die Hoffnung auf baldige Selbstfinanzierung des Institutes.
"Prof. Baur vermutete, daß es möglich sei, unter Millionen
von Einzelpflanzen bitterstoff-freie zu finden. Dies gelang in den Jahren 1928
und 1929 [...] R. v. Sengbusch. Unter eineinhalb Millionen Pflanzen wurden drei
bitterstoff-freie gelbe und zwei blaue gefunden" (Institutsführer
1938).
Weitere Schwerpunkte der überaus breit gefächerten Forschungen
galten Obstsorten, Erdbeeren, Forstbäumen, aber auch Korbweiden oder der
Zucht nikotinarmer Tabaksorten. Topinambur als weitere neue Pflanze des
leichten Bodens wurde bereits 1928 in Bearbeitung genommen. Besonders bei der
bisher im argen liegenden Bearbeitung von Obst- und Forstpflanzen konnte das
Institut langwierige, der Privatwirtschaft kaum mögliche Züchtungen
einleiten.
Kulturpflanzen mit hohen Ansprüchen an Boden bzw. Feuchtigkeit wie
Zuckerrüben und Kohl blieben bewußt von der Bearbeitung
ausgeschlossen.
Die - auch für alle Folgeeinrichtungen charakteristische -
wechselseitige Durchdringung von Wissenschaft und Praxis fand Ausdruck u. a. in
alljährlichen Fortbildungskursen für Saatzuchtbeamte und der
Gründung der Arbeitsgemeinschaft für Reben-, Obst und
Forstpflanzenzüchtung.
Wirtschaftliche Probleme des Agrarexportlandes Ägypten ließen 1929
König Fuad von Ägypten anläßlich eines Staatsbesuches in
Berlin eine Institutsvisite in Müncheberg wahrnehmen:
"Das besondere Interesse des Königs [Fuad von Ägypten] an den
Arbeiten des Müncheberger Instituts und an seinen Einrichtungen ist leicht
erklärlich: In noch höherem Maße als wir in Deutschland, sind
die Ägypter von der Rentabilitätsgestaltung des Ackerbaus
abhängig. Durch Hunderte von Generationen überlieferte Anbau- und
Erntemethoden müssen im Nilland noch weit schneller aufgegeben werden, als
es in den sechs Jahrzehnten geschehen ist, seit der Deutsche Max Eyth den
Dampfflug in den Überschwemmungsgebieten des 'Vaters der Ströme'
eingeführt hat" (Tageszeitung vom 10. 6. 1929).
Bodenuntersuchungen und forschungskonzeptionelle Fragen - bis hin zu
mathematischen Auswertungsmethoden - waren Gegenstand des Versuchswesens.
"Die Aufgabe besteht darin, eine für hiesige Verhältnisse
geeignete Versuchstechnik auszuarbeiten, geeignete
Teilstückgrößen, Anordnungen, Wiederholungen,
Pflegemaßnahmen und Rechenmethoden zu erproben. [...] Es wurde eine
Reaktionskarte vom Gesamtversuchsgelände angelegt, um die Kalkung
planmäßig vornehmen zu können. [...] Es wurde festgestellt,
daß die Böden vorwiegend schwach sauer bis stark sauer sind und die
Kalkung gesteigert werden muß" (Versuchsführer 1933).
Baur blieb ein engagierter Verfechter einer Autarkie der Ernährung, wobei er in agrarischer Planwirtschaft mit Importbeschränkungen zugleich ein Mittel gegen die fortdauernde Landflucht sah. Diese Haltung führte - verbunden mit persönlichen Animositäten - zu Spannungen gegenüber dem Reichsministerium für Ernährung, erschwerte zusätzlich die Fremdfinanzierung des Institutes und stellte Baurs weitere, auch politische Karriere in Frage.
Darüber hinaus rückten die Hoffnungen auf stärkere
Eigenfinanzierung in weite Ferne, so daß Baur schließlich
unablässig (selbst nach Vorträgen etc.) um Mittel werben mußte
und zeitweise die Bezahlung seiner Mitarbeiter in Frage gestellt war.
"Baur wirkte durch die Kraft seiner Persönlichkeit und durch die
starke Ausstrahlung seines Wesens. Obwohl er in den letzten Jahren seines
Lebens immer stärker in den Malstrom nie aufhörender Vorträge,
Sitzungen, Besprechungen bei Behörden, Industriemagnaten oder auf
internationalen Zusammenkünften gezogen wurde und mit großer
Zähigkeit um die erforderlichen Mittel für sein Institut kämpfen
mußte, blieb er bis zuletzt der erste wissenschaftliche Arbeiter in
seinem Kreis ...." (Stubbe 1975).
Baur verstarb unerwartet im Alter von nur 58 Jahren nach einem Vortrag in Berlin. Eine Welle engagierter Nachrufe bezeugte, daß seine international herausragende Stellung in Züchtung und Genetik den zeitgenössischen Fachkollegen gegenwärtig war. In den Nachrufen wird aber auch die Absicht des gerade etablierten Nationalsozialismus deutlich, die vielschichtige Forscherpersönlichkeit postum zu vereinnahmen:
"Man hat Baur verschiedentlich zum Vorwurf gemacht, daß er
durch seine Ideen zu humangenetischen Problemen und seine Zusammenarbeit mit
Fischer und Lenz bestimmten nationalsozialistischen Ideen Vorschub geleistet
hätte. Das ist sicherlich nicht richtig, wenn man weiß, das alles,
was er geschrieben und gesprochen hat, seinen umfassenden Erfahrungs- und
Wissensschatz zur Grundlage hatte, den er mit großer Verantwortung
vertrat" (Stubbe 1975).
"Zur gerechten Beurteilung Baurscher Auslassungen zur Rassenhygiene
muß freilich berücksichtigt werden, daß er mit allen
Europäern seiner Generation das Vorurteil von der Höherwertigkeit der
weißen Rasse teilt und Ausdrücke wie Minderwertigkeit',
Entartung', Ausmerze' noch als termini technici [...] gelten
dürfen [...]. Das Gutachten hofft gezeigt und im einzelnen detailliert
belegt zu haben, daß Erwin Baur eine geistige Urheberschaft an den
historischen Verbrechen, die der Nationalsozialismus begangen hat, nicht
angelastet werden kann, er aber Teil hat an der historischen Schuld seiner
Generation [...]" (Kröner, Toellner & Wiesemann 1994;
Gutachten zur Frage der Verstrickung Baurs in die geistige Urheberschaft der
Verbrechen des Nationalsozialismus; Herausgegeben von Max-Planck-Gesellschaft).
Erwin Baur findet eine Grabstätte in dem von ihm selbst angelegten Wäldchen nahe des Brigittenhofs. Darüber hinaus hält eine schlichte Steinsäule im Institut das Gedenken wach. Zu seinen Ehren wurde 1938 - bereits fünf Jahre nach seinem Tode - anläßlich des zehnjährigen Bestehens der Institutsname um den Zusatz "Erwin-Baur-Institut" ergänzt.
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