Der Aprikose Kern
oder: Wo die genetische Vielfalt von Obstbäumen versteckt ist.
In meinem Garten stehen seit 2013 drei Aprikosenbäume, die aus Steinen von gekauften Früchten erwachsen sind. Dort mühen sich zur Zeit außerdem mindestens fünf weitere Sämlingsbäumchen, zu ausgewachsenen Bäumen zu werden. Darüberhinaus schlummern in meiner Fantasie noch Hunderte von Aprikosenkeimlingen in ihren Kernen und warten auf eine Baumwerdung; neben realem Platz fehlen mir dazu vor allem Steine von Aprikosen aus aller Welt.
Das ist der Stand der Dinge.
Was die Zukunft vielleicht noch bringt, erfahrt Ihr heute; denn ich bin auf eine „Spur der Steine“ gestoßen und ihr gefolgt. Da mir auch meine (halb) erwachsenen Bäume in diesem Jahr mehr als acht Aprikosen und entsprechend viele Steine mit Kernen gespendet haben, kann ich Euch also ausmalen, wie es morgen um die genetische Vielfalt der Aprikosen in Brandenburg bestellt sein wird.
Aprikosen in Brandenburg?
Ja, neben meinen paar Bäumen gibt es noch mehr Aprikosenbäume in Brandenburg. Vereinzelt sehe ich sie in Kleingärten wachsen; aber im brandenburgischen Städtchen Müncheberg (Mark) habe ich neulich eine ganze Plantage von ihnen entdeckt.
Und das geschah so: Im Frühjahr wollte ein guter Bekannter mit mir in Müncheberg Bäume von alten Apfelsorten kaufen; er war der Ansicht, es gäbe dort eine Baumschule mit entsprechendem Angebot. Als ich, skeptisch wie ich bin, diese Auskunft durch eine Internet-Anfrage bestätigen lassen wollte, fand ich in diesem Ort keine außergewöhnliche Baumschule, dafür aber den brandenburgischen Landessortengarten (Apfelland Brandenburg: Der historische Apfelschatz von Müncheberg, S. 28).
Ich hatte zwar schon irgendwann vom Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI) für Züchtungsforschung gelesen, das der Genetiker Erwin Baur 1928 in Müncheberg hatte einrichten dürfen; aber dass in Müncheberg immer noch Obstforschung betrieben wird und eine Sammlung von über 1000 Sorten Äpfeln, Birnen und anderer Kern- und Steinobstarten existiert, das war mir absolut neu.
Ich war völlig aus dem Häuschen und verbrachte einen halben Tag damit, Informationen zur Müncheberger Obstzüchtung zu sammeln.
Dabei stellte sich heraus, dass diese brandenburgische Obstforschungsstätte und der Sortengarten nur nach langem, aufopferungsvollem Kampf in die Gegenwart gerettet werden konnte. Ich las über Dr. Hilmar Schwärzel, den Vorkämpfer und Leiter der Obstbauversuchsstation, und auch von einem Seminar über Aprikosen, das dieser am 20. Juli für „Öffentlichkeit, Auszubildende, Haus-, Siedler- und Kleingärtner“ halten sollte.
Dieses Seminar wollte ich mir nicht entgehen lassen! Glaubte ich doch gelesen zu haben, dass im Landessortengarten über 120 Aprikosensämlinge gepflegt würden (nun, tatsächlich sind es „nur“ 20 Sorten); die wollte ich mir ansehen – und dabei vielleicht ein paar Steine abgreifen….
Das Aprikosenseminar
wird ziemlich lang; das sage ich Euch gleich – weil ich auch heute mal wieder über Gott und die Welt und die genetische Vielfalt, in diesem Fall der Aprikosen, referieren muss…
Im ehemaligen Institut für Züchtungsforschung
Am 20. Juli fuhr ich bei schönstem Wetter und in bester Laune nach Müncheberg, das ja nur eine Autostunde östlich von Berlin liegt. Ich war frühzeitig dort und besichtigte die weitläufige Anlage des ehemaligen Forschungsinstituts mit der wechselvollen Geschichte (eine Langfassung älteren Datums gibt es hier), das heute u. a. vom Leibniz-Institut für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e. V. genutzt wird und (wieder) Erwin-Baur-Institut heißt.
Hier ist auch die Obstbauversuchsstation zu Hause, der klägliche Rest der ehemaligen Obstzüchtung des KWI für Züchtungsforschung.
Ich gestehe, dass ich die Räumlichkeiten mit ein wenig Ehrfurcht betrat. Irgendwie war es ein besonderes Gefühl, an einem Ort früherer, berühmter Züchtung zu weilen, dort wo z. B. die Josta- bzw. Jochelbeere aus Schwarzer Johannis- und Stachelbeere gezeugt und unter Millionen bitterstoffreicher Bitterlupinen die eine bitterstoffarme Süßlupine ausfindig gemacht wurde; irgendwo in meinem Herzen bin ich ja auch ein Züchter, wenn auch einer von früher.
Ich parkte mein Auto auf dem Gelände und ging den langen Weg zur Aprikosenanlage, vor der das Seminar stattfinden sollte, zu Fuß, vorbei an einer schier endlos langen Reihe von Fahrzeugen, die andere Seminarteilnehmer:innen bereits dort abgestellt hatten.
Nachdem ich mich, corona-bedingt, in eine Teilnehmerliste eingetragen und die 10 Euro für das Erntekistchen entrichtet hatte, gesellte ich mich zu der Menge, die bereits vom Seminarleiter Dr. Hilmar Schwärzel unterhalten wurde.
Dr. Hilmar Schwärzel
Hilmar Schwärzel ist ein Mann des Wortes, ein begnadeter Entertainer, der keine Scheu vor anzüglichen Bemerkungen und Schleichwerbung kennt, aus dem besten Holz der Deutschen Demokratischen Republik geschnitzt, mit gewaltiger Energie, die er als kleiner Junge mit dem süßen Saft des Aprikosenfallobstes im Mansfelder Land in sich aufgesogen hat und ohne die es ihm niemals gelungen wäre, die Müncheberger Obstzüchtung bis heute am Leben zu erhalten.
Hilmar Schwärzel verkürzt der Menschenmenge, die auf Holzbänken sitzt und in der Sonne schwitzt, die Wartezeit mit allerlei Geschichten, bis auch die letzten Besucher des Seminars die Einlasskontrolle überwunden, die zu erntenden Aprikosen bezahlt und sich um ihn gelagert haben (auf Strausberg-Live wird das Aprikosenseminar in 51 Bildern festgehalten; auf drei Fotos bin auch ich zu sehen).
Die wissenschaftlich fundierte Vermehrung von Aprikosen aus Steinen
Dann verkündet Dr. Schwärzel das Ziel des Seminars: Die Seminar-Teilnehmer:innen sollten in ihren Hausgärten Sämlinge aus Steinen ziehen, um diese später mit Reisern von alten Sorten, wie Ungarische Beste, Luizet oder der jüngeren Mira (die später ausgegeben werden), zu „veredeln“; es geht um die Erhaltung wertvoller Altsorten, um „Generhaltung“ (30 Jahre Testanbau der Aprikosen der Mark Brandenburg, S. 13).
Doch erst einmal geht es um die Anzucht von Sämlingen.
Bei dem Versuch, den Besucher:innen die Anzucht näher zu bringen, stehen Dr. Schwärzel leider – wie ich vermute – seine wissenschaftliche Ausbildung sowie der erst kürzlich beendete Vortrag vor den gewerblichen Aprikosen-Anbauern im Wege.
Die natürlichste Sache der Welt, einen Samen in die Erde zu drücken, verwandelt er in einen derart komplizierten Vorgang, der sicherlich selbst die Besucherin neben mir, die alle notwendigen Schritte fein säuberlich mitschrieb, bei der praktischen Umsetzung vor Probleme gestellt haben dürfte.
Ich rekapituliere die von Dr. Schwärzel empfohlene Vorgehensweise (aus dem Gedächtnis):
Die Kerne müssen vom Fruchtfleisch gesäubert werden (aber bitte ohne Seife, Spül- oder Waschmittel!), danach – vielleicht angeknackst – im kühlen Schlafzimmer unter dem Bett trocken gelagert, im November gewässert (36 bis 48 Stunden), dann erneut einen Tag angetrocknet und bis zum Frühjahr in perforierter Folie im Kühlschrank (Eisfach?) gelagert werden. Ungefähr im Februar sollten sie in ein Eimerchen mit grob-körnigem Kies gelegt und an die frische Luft gebracht werden; aber zuvor sollten in das Gefäß daumenbreit über dem unteren Rand Abflusslöcher für überschüssiges Wasser gebohrt werden.
Wenn erste Würzelchen aus dem Kerngehäuse ausbrechen und eine sichtbare Länge entwickelt haben [bitte immer wieder nachschauen! Nein, das habe ich jetzt böswillig hinzugefügt] und der Keimling erscheint, werden sie endlich dem Erdboden übergeben, aber nicht gewöhnlichem Erdboden aus dem eigenen Garten – nein, der könnte Krankheitskeime enthalten! – sondern sterilisierter Anzuchterde aus dem Fachgeschäft, die in entsprechend große Töpfe zu füllen ist. Erst wenn diese Töpfe von den hoffentlich entstandenen Sämlingen kräftig durchwurzelt sind, werden die neuen Aprikosenvarianten in den Garten ausgepflanzt und den herrschenden Umweltbedingungen unterworfen.
Nun ja, es wäre eben kein richtiges Seminar, wenn es bloß hieße: „Sammeln Sie jede Menge von unseren Aprikosen und genießen Sie sie! Versenken Sie anschließend bitte die Steine der besten Früchte daumentief in ihren Gartenboden; im Frühjahr werden Sie das Ergebnis in Form von jungen Aprikosenbäumchen sehen, die damit bereits ihre erste Umweltprüfung bestanden haben!“
Das wäre einfach zu einfach und einer Einrichtung mit wissenschaftlichem Anspruch nicht würdig…
Baumarten als Unterlagen für die Veredelung von Aprikosen
Nach dieser ausführlichen Einführung geht der Vortrag ansatzlos über in eine ausführliche Vorstellung aller möglichen und unmöglichen Veredlungsunterlagen, die Dr. Schwärzel mitgebracht hat und deren Vor- und Nachteile er diskutiert.
Doch wer braucht umfangreiches Wissen über Unterlagen, wenn er Sämlinge ziehen will, die darüber hinaus selbst als Unterlagen dienen sollen?
Oder war ich der einzige Laie und alle Anderen schon Fachleute, denen nur noch ein letztes Quäntchen Fachwissen fehlte, um einen hervorgehobenen Hinweis des Seminarleiters erfolgreich umsetzen zu können? „Bei zugekaufter Ware gelten im Bereich der Gartenliebhaber dieselben Grundsätze wie im Erwerbsanbau. Es sollte nur zertifiziertes, virusfreies, gesundes Pflanzgut mit eindeutiger Kennzeichnung von Sorte und Unterlage verwendet werden.“ (30 Jahre Testanbau der Aprikosen…, S. 13)
In diesem Fall ist es natürlich nicht verkehrt zu wissen, welche Unterlage das Aprikosenbäumchen haben sollte, das man kaufen will.
Nun ja, ich hatte etwas anderes erwartet; doch dazu siehe weiter unten mehr…
Der Erfolg des Aprikosenseminars
Die meisten Besucher:innen schienen mir vor allem zur Aprikosenernte gekommen zu sein. Als das Team des Seminarleiters das Tor zur Aprikosenanlage öffnete, wurde eifrig geschüttelt und gerüttelt und so manche Pappkiste gefüllt; aber ich bin mir nicht sicher, ob die Pflücker:innen die Steine dieser Aprikosen später anders behandelt haben als die Steine der Früchte, die sie normalerweise in den Supermärkten kaufen: ab in den (Bio)Müll damit!
Leider habe ich versäumt, Besucher:innen zu befragen, warum sie Aprikosen mitnahmen. Ein Pomologe aus dem Vogtland, der eimerweise Aprikosensteine sammelte, erzählte mir, er wolle sie zur Selektion von Aprikosenbäumen nutzen, die an das dortige Klima angepasst seien. Von einem jungen Mann aus dem Spreewald hörte ich nebenbei, dass er über hundert Sämlinge auf seinem Grundstück gezogen habe (die ich mir dann auch bald angeschaut habe).
Hier war ich (noch) nicht erfolgreich. Im nächsten Jahr werde ich genauer nachfragen; denn das Aprikosenseminar findet jedes Jahr statt, da die Obstbauversuchsstation darauf angewiesen ist, Einnahmen zu erwirtschaften.
Über 60 Aprikosen mit ihrem wertvollen Inhalt, den Steinen, habe ich aus Müncheberg davongetragen und diese Steine (neben ca. 20 eigenen) in meinem Garten ausgesät; das kann ich als Erfolg verbuchen.
Aprikosen und ihre genetische Vielfalt
Professionellen Obstzüchtung und genetische Vielfalt
Professionell Aprikosen zu züchten, bedeutet seit über 150 Jahren, aus vielen genetischen Varianten die besten auszuwählen, die (wenigen) Varianten zu finden, die reichen Ertrag liefern, widerstandsfähig gegen die zahlreichen Schadorganismen sind, die dieses Steinobst befallen, deren Früchte ansehnlich und geschmackvoll, leicht zu ernten, gut zu lagern und zu transportieren sind und so weiter und so weiter.
Die genetische Vielfalt wird bei der zielgerichteten Züchtung erheblich eingeschränkt – und das soll auch so bleiben, wie man auf der Internetseite des „Institut für Züchtungsforschung an Obst“, die heute ausschließlich in Pillnitz bei Dresden konzentriert ist, nachlesen kann.
Wie sich Dr. Andreas Jehnde, der Geschäftsführer des Gartenbauverband Berlin-Brandenburg e.V. (GVBB) und stellvertretende Vorsitzende der Lehr- und Versuchsanstalt für Gartenbau und Arboristik e.V. (LVGA), dem jetzigen Träger der Obstbauversuchsstation Müncheberg, die Aufgaben der brandenburgischen Obstbauforschung vorstellt, können wir einer Sonderausgabe der „Berlin-Brandenburgische Gartenbau Mitteilungen“ mit dem Titel „Obstbau in Brandenburg – Forschung für den Obstbau in Müncheberg“ von 2010 entnehmen.
Nachdem Herr Jehnde den Rückgang des gewerblichen Obstbaus in Brandenburg beklagt hat,…
… erläutert er „Ursachen und Lösungsansatz“:
Das ist also der (unmöglich auszufüllende) Rahmen, in dem sich die Müncheberger Obstbauversuchsstation bewegt: Angepasstere und ertragreichere Sorten zu kreieren, im Rahmen klassischer Obstzüchtung.
Die genetische Vielfalt der Aprikosen zu vermehren, gehört nicht zu ihren Aufgaben; bestenfalls sollen „von den besten Mutterpflanzen Sämlinge angezogen und auf ihren Anbauwert hin geprüft werden…“ (30 Jahre Testanbau der Aprikosen…)
Die mögliche genetische Vielfalt der Aprikosen
Auch bei Aprikosen wurde die genetische Vielfalt stark eingeschränkt, seit es die professionelle Obstzüchtung gibt. Die Aprikosenvielfalt wurde in Deutschland nie genau erfasst, da der Aprikosenanbau immer nur eine untergeordnete Rolle spielte; aber da die Auswahlkriterien bei der Aprikosenzüchtung dieselben sind wie bei anderem Obst, sollte auch das Ergebnis dasselbe sein.
In dem ausgezeichneten Werk von 1954 „Die Marille (Aprikose) und Ihre Kultur“ beschreiben Josef Löschnig und Fritz Passecker noch über 150 Sorten in Österreich.
Ich weiß nicht, wie viele Aprikosensorten heute noch in Deutschland angebaut werden, aber viele werden es nicht sein, wenn man sich die Ergebnisse von Sortenprüfungen (z. B. aus der Schweiz) ansieht; dort werden rund 30 Sorten aufgelistet.
„Würden in jedem Garten ein bis zwei Aprikosenbäume an geschützten Standorten stehen, so könnte ihre Gesamtzahl in der Region Berlin/Brandenburg bei 1,5 bis 2,0 Millionen Gehölzen liegen“, hat Dr. Schwärzel ermittelt (30 Jahre Testanbau der Aprikosen…). Wenn jeder Baum aus einem Stein gezogen würde, wären das 1,5 bis 2,0 Millionen genetisch einzigartige Aprikosensämlinge, allein in Berlin und Brandenburg!
Das wäre eine genetische Vielfalt, in der weitaus eher standortangepasste Bäume und nachgefragte Früchte zu finden wären, als unter den wenigen, recht einheitlichen Sorten, die von professionellen Züchtern (vor allem in Frankreich und Italien) heute auf den deutschen Markt gebracht werden und von denen neulich sogar ein paar für Mecklenburg-Vorpommern geprüft wurden.
Dabei könnten genetische Vielfalt und „Bestträgerselektion“ zusammengehen! Den Weg dazu weist Seite 354 des zuvor genannten Buchs „Die Marille (Aprikose) und Ihre Kultur“:
„Wenn man Marillenkerne aussät, erhält man gleichfalls keine erblich einheitliche Form, sondern ein mehr oder minder buntes Formengemisch, selbst dann, wenn alle Kerne von der gleichen Sorte gewonnen wurden. Es ist aber durchaus möglich, daß sich manch wertvolle Form unter den Sämlingen findet, die verdient, als neue Sorte festgehalten und rein weitervermehrt zu werden. In unseren Marillenanbaugebieten wächst mancher unveredelte Sämling unbeachtet heran. Man weiß häufig nichts Näheres über die Herkunft, doch entpuppt sich der eine oder andere solche Baum als wertvoll und wird zum Ausgangspunkt einer neuen Sorte. Man kann annehmen, daß die Mehrzahl unserer Edelsorten den Ursprung von Zufallssämlingen genommen hat.
Neben erblichen Unterschieden, die durch Kreuzung und nachfolgende Aufspaltung entstehen, kommen auch Abänderungen durch Mutation vor. Die Mutationen können generativen oder vegetativen Ursprungs sein. Letztere werden bekanntlich als Sproß- oder Knospenmutationen bezeichnet. Bisher ist über Mutationen bei Marillen noch wenig bekannt geworden, aber wohl nur deshalb, weil man ihnen nicht die nötige Aufmerksamkeit zugewendet hat.“
Die Obstbauversuchsstation könnte die wertvoll erscheinenden Formen unter den 1,5 bis 2,0 Millionen Sämlingen prüfen und weitervermehren!
Sinn und Nutzen genetischer Vielfalt
Die Jagd nach den besten (ertragreichsten, formschönsten usw.) Früchten kann als Wettbewerb im Rahmen einer Marktwirtschaft organisiert sein; aber die Erhaltung und Vermehrung von genetischer Vielfalt ist nur als bewusstes und zielgerichtetes Gemeinschaftswerk möglich, das von der gesamten Gesellschaft getragen wird. Das Reservoir an genetisch unterschiedlichen Varianten aller unserer Nutzpflanzen dient der gesamten Menschheit; denn wir alle sind vom Pflanzenbau abhängig.
Die genetische Vielfalt ist nicht nur ein Sicherheitsnetz für Alle, sondern auch für „Alle Fälle“, für alle zukünftigen Fälle, die nicht vorhersehbar sind – denn Zukunft ist nicht vorhersehbar (auch wenn der Klimawandel intensiv erforscht wird).
Deshalb sollte genetische Vielfalt in größtmöglicher Breite zur Sicherheit gegen unbekannte Gefahren bewusst vorgehalten werden und nicht als Anhängsel der professionellen Züchtung, als Genmaterial-Vorrat oder Ersatzteillager für die laufende Produktion, betrachtet werden, so wie das heute leider der Fall ist. Wir sollten als Menschheit unsere Expedition in die Zukunft, bei der wir uns auf einem immer schmaler werdenden, genetischen Grat unserer Nutzpflanzen bewegen, mit einer Sicherung versehen – wie jeder vernunftgemäß handelnde Bergsteiger und Hochseil-Artist.
Das kann ich nicht oft genug wiederholen.
Meine paar Aprikosenbäume werden die Menschheit nicht retten; aber ich hoffe, auch mit ihrer Hilfe zeigen zu können, dass genetische Vielfalt wieder oder immer noch möglich ist, und dass man dafür – in der Regel – auch mit Früchten belohnt wird, bei Aprikosen in Norddeutschland nur eben bis jetzt nicht jedes Jahr.
Selektion durch die Umwelt oder durch Gen-Analyse im Labor
Auch, wenn es keine Polarwinter wie 1939/40, 1941/42, 1953/54 und 1955/56 mehr zu geben scheint, die große Teile der ostdeutschen Aprikosenbäume zunichte gemacht haben (Walter Fiedler, Manfred Umhauer: Pfirsich und Aprikose, S. 14), behagen den Aprikosenbäumen (südeuropäischer Züchtung) und ihren Früchten das häufig feuchte, norddeutsche Klima und die Spätfröste im April und Mai überhaupt nicht; doch wer weiß, wenn Millionen genetisch unterschiedliche Aprikosenvarianten in Norddeutschland wachsen (und sich frei untereinander kreuzen können), ob darunter nicht auch ein paar Varianten sind, die hierzulande regelmäßig Früchte tragen?
Praktische Erfahrungen und die natürliche Selektion sind hundertmal mehr wert als die Selektion im Labor, wo nach bestimmten, schon bekannten Genen gesucht und selektiert wird, die die gewünschten Eigenschaften (angeblich) bestimmen. Diese Labormethoden mögen zwar unter marktwirtschaftlichem Konkurrenzdruck effizient sein, können aber das extrem komplexe Zusammenspiel von Genen und Umwelt niemals hinreichend erfassen.
Ich bin in diesem Jahr von meinen drei Aprikosenzufallssämlingen zum zweiten Mal – nach 2018 – mit Früchten erfreut worden. Ein paar Ansichten der ca. 40 Früchte habe ich im Beitrag verstreut; sie mögen meine Freude über sie zum Ausdruck bringen – und auch darüber, dass Du bis hierher gelesen hast.
Hallo Jürgen,
wie Du siehst, auch nach so langer Zeit freuen sich noch Menschen über Deinen tollen Artikel.
Ich hatte schon immer mal vor, in den „Garten Eden“ von Hilmar Schwärzel zu fahren, aber ein Aprikosenseminar wäre ja wohl super.
Leider ist Herr Schwärzel seit Ende 2021 im Ruhestand, aber sicher hält es ihn nicht in den vier Wänden, wenn seine Obstbäume blühen und tragen.
Ich werde das mit den Kernen probieren, so wie von Dir beschrieben. Obwohl ein Kern von Deinen Früchten sicherlich besser wäre, als ein Kern aus z.B. Italien.
Gruß Irene
Liebe Irene,
ich danke Dir für Deinen Kommentar!
Ja, ich war auch überrascht im letzten Jahr, dass Herr Schwärzel in den Ruhestand getreten ist…
Die brandenburgischen Aprikosen werden aber auch ohne Seminar jedes Jahr zum Verkosten abgegeben; ein Ausflug nach Müncheberg lohnt sich also in jedem Fall, vor allem, wenn mensch einheimische Aprikosensteine in den Boden stecken will.
Da ich das auch im letzten Jahr wieder ausgiebig getan habe, kann ich Dir (wahrscheinlich) im kommenden Jahr gerne ein paar Bäumchen abgeben. In diesem Jahr musste ich ganz schön suchen, um die neun Aprikosenbäumchen irgendwo unterzubringen, die aus dem Seminarbesuch von 2021 resultierten (drei Stück werden hoffentlich dereinst das Berliner Stadtzentrum schmücken)…
…aber Du kannst auch Steine von italienischen, französischen oder türkischen Aprikosen in Deine Erde stecken; auch daraus können gute Bäume entstehen (meine drei „Großen“ sind aus solchen Steinen erwachsen)
Viele Grüße
J:)rgen
Lieber Jürgen,
ich kann mir nur zu gut vorstellen, wie es Dir im Seminar erging. Vermutlich hätte ich Dir gut Gesellschaft leisten können :). Auch für mich ist die heutige Züchtung befremdlich angesichts der Kriterien, die entstandene Sorten aussortieren. Ich habe in meinem Garten Apfelsämlinge stehen. Die Mutterpflanze ist ein Prinz Albrecht von Preußen, also auch eine alte Sorte. Ich warte leider schon länger darauf, dass sich doch mal eine Blüte zeigt. Und genau in dem Zusammenhang sollte man die Veredelung dann doch nicht so beiseite legen. Denn bis ein Sämlingsbaum Früchte trägt, dauert es viel länger als wenn man Reiser von ihm nehmen und veredeln würde. Außerdem kannst Du Deiner Sortenzüchtungsliebe viel platzsparender nachgehen, wenn Du Sämlinge heran züchtest, aber dann auf eine Unterlage gleich mehrere Sorten veredelst. So sieht Du auch gut den Unterschied von Sorten. Du sieht viel besser, welche Sorte wüchsiger ist. Das habe ich bei Mehrsortenbäumen mit Apfel und Pflaume schon wunderbar beobachten können. Denn das solltest Du auch unbedingt beachten, um bei Deinen neuen Sorten die beste Unterlage zu nutzen. Denn auch hier gibt es große Unterschiede – wüchsige und schwachwüchsige.
Ich merke schon wieder, wie wichtig es ist, dass wir uns beide mal persönlich kennenlernen!
Hast Du schon Bäume veredelt? Wenn nicht, dann übernehme ich das gerne für Dich. Denn darin habe ich schon jahrelange Übung :)
Bei den Mehrsortenbäumen muss man nur gut notieren, wo was drauf ist.
Liebe Grüße
Chrissi
Liebe Chrissi,
danke für Deine Kommentare! Ich hoffe sehr, dass wir uns dieses Jahr mal kennenlernen!
Ich finde es super, dass Du Dich mit Veredlung beschäftigst und Dich auf dem Gebiet auskennst! Gute, interessante Sorten sollen und müssen ja auf jeden Fall auch verbreitet werden – und das geht eben mal nur mit Hilfe der vegetativen Vermehrung.
Ich muss gestehen, dass ich mittlerweile vollkommen vom „Sortenerhalt“ abgekommen bin; für mich zählt nur noch die genetische Vielfalt, je mehr desto besser. Ich überlege sogar, die meisten Bäume in meinem Garten zu roden, die auf Unterlagen stehen (bei Pflaumen nerven mich die „Ausläufer“ der „wilden“ Unterlagen).
Ich mache die Sämlingsaufzucht vor allen Dingen, um zu zeigen, dass man aus Samen allerbeste Obstbäume ziehen kann. Allerdings musste ich lernen, dass im modernen Apfelbau heute häufig Wildäpfel zur Bestäubung eingesetzt werden, dass also aus Samen moderner Apfelsorten oftmals wirklich „ungenießbare“ Äpfel entstehen können; deshalb verwende ich nur Samen von Äpfeln, deren Standort ich kenne, also von Straßen- und Streuobstwiesenbäumen.
2012 habe ich die ersten elf Apfelbäume aus Samen gezogen. Vor drei Jahren haben die ersten Sämlinge Äpfel getragen, bei vieren warte ich noch und zwei hat zwischendurch ein Biber gefällt – die mussten erst wieder austreiben. Es dauert bei allen Bäumen unterschiedlich lange…
Bei einem Baum waren die Äpfel im ersten Jahr außerdem winzig und kaum genießbar – ich wollte ihn schon aussortieren; aber im letzten Jahr waren sie viel größer und wunderbar lecker. Man sollte also immer zwei, drei Jahre abwarten.
Ich will auch die natürliche Wuchsform der unterschiedlichen Apfelbäume sehen. So habe ich meine Sämlinge zwar anfangs beschnitten, aber jetzt lasse ich sie frei wachsen.
Es gibt noch einen weiteren Punkt, warum ich lieber Sämlinge aufziehe: der Überraschungsmoment. Bei Veredelungen weiß ich in der Regel, was ich bekomme, bei einem Sämling nie; das finde ich wahnsinnig spannend.
Liebe Chrissi, ich hoffe, wir sehen uns bald mal: Es gibt noch so viel auszutauschen, habe ich das Gefühl…
Bis dahin, viele Grüße J:)rgen
Toller Beitrag. Ich bin motiviert Aprikosenkerne um unseren Mandelbaum zu pflanzen. Der Mandelbaum ist in den letzten beiden Jahren immer a gefroren. Er könnte Platz für einen Aprikosenbusch machen. Wir haben überall im Garten Mirabellen Sämlinge. Die lasse ich wachsen und die kränkelnden Mutterbäume ersetzen. Danke für die schönen Blog und die Inspiration.
Hallo Jacek, danke für Dein Lob! Es freut mich, dass Du Sämlingen Raum gibst; ich bin mir sicher, dass sie Dich positiv überraschen werden.
Viel Glück und Erfolg!
Jürgen