Der Gartenkürbis, das unbekannte Wesen

oder: Aufstieg, Fall und Wiedergeburt von Cucurbita pepo in Europa.

Heute möchte ich Euch eine Kürbis-Art vorstellen, die in mehr Formen auftritt als jede andere Art im ganzen Pflanzenreich und die deswegen früher mit dem Beinamen „polymorpha“ (Griechisch für „vielgestaltig“) belegt wurde: den Gemeinen oder Garten-Kürbis, Cucurbita pepo. Dieser war lange Zeit die einzige Kürbis-Art, die in Europa genutzt wurde, ist aber irgendwann vollkommen in der Versenkung verschwunden. Obwohl er nun teilweise wieder in Mode gekommen ist, kennt ihn kaum jemand wirklich.

Um Missverständnisse auszuschließen, möchte ich anmerken, dass mit „Gartenkürbis“ nicht alle Kürbisse gemeint sind, die Ihr heute in Euren Gärten zieht, sondern nur eine ganz bestimmte Art, Cucurbita pepo eben (es gibt noch weitere Arten, die gern in Euren Gärten wachsen; um zu erfahren, welche das sind, müsst Ihr „Kürbisse kennen“ lesen…).

Wenn ich im folgenden also von „Gartenkürbissen“ schreibe, sind damit immer nur Früchte der Art „Cucurbita pepo“ gemeint, die Ihr wahrscheinlich nur unter dem Namen „Zukkini“, pardon, „Zucchini“ kennt.

Ich möchte Euch in diesem Beitrag außerdem mit dem Menschen bekannt machen, der die vielen Gestalten der Gartenkürbisse, die es einmal gab, im 18. Jahrhundert als erster gründlich studiert und sie in hunderten, wunderbaren Aquarellen festgehalten hat. Seine Bilder sind bald danach zusammen mit dem Gartenkürbis in Vergessenheit geraten, bis sie neulich wiederentdeckt wurden…

Jetzt möchte ich, dass auch der Gartenkürbis in seiner ganzen Vielfalt wiederentdeckt wird…

Ich bin mir sicher, dass Ihr zum Schluss, wenn Ihr die ganze Geschichte vom Gartenkürbis hier gelesen und die 250 Jahre alten Bilder früherer Gartenkürbisvielfalt gesehen habt, von ihm genauso begeistert sein werdet wie ich – und ihm mehr Raum in Euren Gärten und Küchen gebt.

Zur Einstimmung habe ich den Beginn dieses Beitrags mit ein paar Fotos der vielfältigen Gartenkürbisse dekoriert, die in diesem Jahr in meinen Gärten gewachsen sind.

Lebendige Vielfalt von Gartenkürbissen

Vielfalt an Gartenkürbissen: anderer Tag, andere Perspektive…

Weil der Beitrag wieder unverschämt lang geworden ist, bekommt er ein verlinktes Inhaltsverzeichnis (damit Ihr auch springen könnt):

  1. Fragen über Fragen über Kürbisse
  2. Der Aufstieg des Gartenkürbis in Europa
  3. Der tiefe Fall des Gartenkürbis
  4. Die Wiedergeburt des Gartenkürbis
  5. Der großartige Monsieur Duchesne und sein Kürbiswissen
Gartenkürbisse in verschiedenen Farben und Formen

Gartenkürbisse in verschiedenen Farben und Formen, aber hauptsächlich gelb und rund

Der Zugang zum Gartenkürbis wird nicht nur durch seine vielfältigen Erscheinungsformen erschwert sondern auch durch eine Sphinx, die am Eingang des Gartenkürbis-Wissensschatzes sitzt, um Euer Kürbiswissen zu prüfen; denn nicht jede:r ist würdig, alles zu erfahren…

Fragen über Fragen über Kürbisse

Weißt Du, dass heute hauptsächlich drei verschiedene Arten von Kürbissen zu Speisezwecken genutzt werden?

Weißt Du, dass diese drei Kürbis-Arten von Ur-Einwohnerinnen des amerikanischen Kontinents in Nutzpflanzen verwandelt wurden?

Weißt Du, dass sich diese drei Kürbis-Arten nicht fruchtbar miteinander vermischen können, sich ein „Butternut“ also nicht mit einem „Roten Hokkaido“ und beide nicht mit Zier-Kürbissen kreuzen können?

Weißt Du, dass bei allen drei Kürbis-Arten sowohl rankende Varianten vorkommen, deren Triebe unbegrenzt wachsen, als auch buschige Formen, deren Triebe nur ein begrenztes Wachstum zeigen (genauso wie bei Bohnen und Tomaten)?

Weißt Du, dass der Spagetti-Kürbis, der Steirische Ölkürbis, der Halloween-Schnitzkürbis und auch die Zukkini (Zucchini) Gartenkürbisse sind?

Vorrangig weiße Gartenkürbisse

Weiße und weißliche Formen des Gartenkürbis

Weißt Du, wie sich Gartenkürbisse von den beiden anderen amerikanisch-stämmigen Kürbis-Arten unterscheiden lassen?

Ha, stopp! Diese Frage kommt erst später!

Und? Hast Du bis hierher alles gewusst? Ja?
Puh, dann bin ich mal gespannt, ob ich Dir noch Neues erzählen kann…

Und Du? Du hast nicht alle Fragen mit „Ja“ beantworten können?
Macht nichts! Jetzt weißt Du die Antworten – und ehrlich: Um 1900 herum war selbst Kürbis-Fachleuten nicht mehr bekannt, dass die besagten Kürbisse aus Amerika stammen…

Langstielige Gartenkürbisse

Nie zuvor gesehen: Kürbisse mit derart langen Stielen…

Der Aufstieg des Gartenkürbis in Europa

Jetzt aber mal ernst:

Die meisten Menschen sprechen heute meistens nur von „Kürbissen“, meinen damit aber in der Regel die Früchte von verschiedenen Kürbis-Arten; denn unsere (Haupt)Speisekürbisse, die allesamt vom amerkanischen Kontinent stammen, lassen sich in drei Arten unterteilen, die sich anhand bestimmter Merkmale eindeutig unterscheiden:

  • Gartenkürbis (Cucurbita pepo L.),
  • Riesenkürbis (Cucurbita maxima Duch.) und
  • Moschus(Aroma/Muskat)-Kürbis (Cucurbita moschata Duch.).
Langstielige, weiße Sonderform mit hellgrünen, dünnen Streifen

Langstielige, weiße Sonderform mit hellgrünen, dünnen Streifen

Die amerikanischen Kürbisse wurden erstmalig von Christoph Columbus auf den karibischen Inseln entdeckt und eventuell auch schon von ihm nach Europa gebracht; das war ab dem Jahre 1492.

So wie der neue Erdteil bis dahin unbekannt und ohne Namen war, so waren es auch die neu entdeckten Gewächse: Auch die Kürbisse kamen namenlos in Europa an. Aus pragmatischen Gründen erhielten sie dann erst einmal Namen von Pflanzen, die schon bekannt waren und ihnen ähnelten (teilweise erhielten sie später auch Namen, die von den Namen abgeleitet wurden, die ihnen schon in ihrer Heimat Amerika anhingen).

Im deutsch-sprachigen Raum wurden sie jedoch nicht gleich „Kürbis“ genannt; denn die entscheidenden Leute zu jener Zeit sahen keine Ähnlichkeit der neuen Pflanzen mit derjenigen Pflanze, die damals diesen Namen trug, mit dem Flaschenkürbis nämlich. Dieser war schon zu Zeiten des römischen Reichs bekannt und trug seit damals den lateinischen Namen „Cucurbita“, der dann zu „Kürbis“ wurde.

Wie die neuen Gewächse damals bezeichnet wurden, könnt Ihr gut auf einigen der folgenden Bilder studieren, auf denen die ersten „Kürbisse“ zu sehen sind, die in Europa auf Abbildungen festgehalten wurden; an der Entstehungszeit der Bilder könnt Ihr auch erkennen, wie schnell sich diese neuen, amerikanischen Gewächse in Europa verbreiteten.

Das erste europäische Bildnis der neuen Kürbisse findet sich schon im Jahr 1508 im Gebetbuch einer bretonischen Königin unter der Bezeichnung „Quegourde de Turquie“ (in Frankreich trägt der Flaschenkürbis bis heute auch den Namen „gourde“).

Kürbisbild von 1508 aus Horae ad usum Romanum, dites Grandes Heures d'Anne de Bretagne

Die erste europäische Abbildung einer amerikanischen Kürbispflanze mit Blüten und Früchten von 1508: ein Gartenkürbis

Seit 1518 konnten auch Besucher:innen der römischen Villa Farnesina „Kürbisse“ in einem Deckengemälde entdecken, das „Amor und Psyche“ betitelt ist; einige, der zahlreichen, lebensechten Früchte in diesen Fresken lassen sich eindeutig als „Kürbisse“ identifizieren.

Ausschnitt aus dem Deckenfresken der Loggia Amor und Psyche in der Villa Farnesina in Rom

Ausschnitt aus dem Deckengemälde im Raum „Amor und Psyche“ mit Kürbis, angeblich C. maxima, meiner Meinung nach aber ein…

Buchleser:innen wurden die neuartigen Gewächse erstmalig im Kräuterbuch „De historia stirpium…“ (S. 725 und 726) von Leonhart Fuchs präsentiert, das in Latein geschrieben ist und 1542 in Basel gedruckt wurde; Fuchs zählt sie zu den Gurken und bezeichnet sie in seinem grazilen Holzschnitt folglich mit „Cucumis turcicus“ bzw. „Türckisch Cucumer“.

In Farbe gab es sie dann erstmals 1546 im Kräuterbuch des Hieronymus Bock zu bewundern unter dem Namen „Indianisch Öpffel“ bzw. „Zucco marin“; Bock gefiel die Bezeichnung „Cucumer“ gar nicht, wie Ihr seinem nachfolgenden Erklärungstext im Abschnitt „Von den namen.“ entnehmen könnt…

Indianisch Öpffel oder Zucco marin

In kurtz verschienen jaren seinde viel unnd mancherlei seltzamer gewechs aus frembden landen zu uns Teutschen bracht worden. Under andern seind auch die schöne Summer öpffel auff der erden ligen / un in einem Summer mit der gantzen substantz wachsen blüen und zeitig werden / zu uns kommen / etlich seer groß / etlich gantz rund / etlich lang / zum theil süsse / zum theil bitter / Von farben etliche gold oder wachsgele / die andern bleich geele und etliche weiß. Diese öpffel alle gewinnen fast einerlei kraut / stengel unnd blumen. Doch ein geschlecht grösser das ander kleiner / mögen alle jar vom samen inn den besten gärten die da stets Sonn haben / auffbracht werden / Im Aprillen setzt man die breitte süsse weisse kern (die sich dem geschelten Mandel vergleichen) nit zu dieff in den mürben grundt / je ein kern vom andern einer guten ellen lang / dann sie müssen raum unnd spatium haben inn irem auffwachsen. Die kern schlieffen mit iren keimen auß der erden gemeinlich in zehen tagen / vergleichen sich den Kürbsen / zwischen den selben zweien bletlein dringen andere und grössere bletter herfür die seind schwarz grün rauch / mit der gestalt wie die bletter an den Winter rosen / Malva Hortensis genant. Wann nun diß gewechs auff kumpt das geschicht in einem Monat / als dann mus man es (wie die Kürbs) auff leiten / oder so man im sein wille lassen wil / fert es uber ein gantzen acker / spreit sich inn alle örter auß hencket sich an das graß mit seinen hafften wie die Bryonia / als dan erscheinen auch die wachs geele schelle blümen zweierlei / die erste seind das getreidt unnd fallen on frucht bald abe / wie am Kürbs gewechs / die andern glocken blumen mit fünff spitzen die sitzen auff den runde grüne knöpffen / darauß die frücht wachsen / und haben inn der mitten ire gold geele bützlin von geruch lieblich / unnd so dise glocken blumen anfahen sich zu rumpffen / als dann folgen die öpffel schnell hernach. Etlich lang / etlich rund / etlich glatt / etlich mit vielen groben rippen / etlich weiß / etlich bleich gele / zum teil schwarz grün / und die selben werden in der zeittigung (dz ist im herbst) gantz wachs geele / und habe gerürte öpffel alle sampt herte holzechte schelet / un seind die schwartz grüne öpffel inwendig auch Safran geele / außgefült mit vielen süssen breitten kernen / etwan sollen auff zwei hundert inn einem apffel kern samen gefunden werden / das mittelst aber zwischen der rinden und den kernen / Im apffel ist das best in allen geschlechten / doch so haben die weisse und bleich geele öpffel weiß fleisch inwendig / gleich wie die rüben an der gestalt und geschmack.
Diser öpffel geschlecht verandert sich das ein gold oder wachs geele / dan es würt widerum grün / und das verhart ein monat dann würts widerumb geel je eins umb das ander / darob ich mich offt verwundert.

Die Indianischen Öpffel in Groß

„Indianische Öpffel“ des Hieronymus Bock von 1546: Rankender Gartenkürbis

Von den namen.
Etlich wollen obgerürte öpffel und die Cucumeres mengen / und sprechen es seien Türckische Cucumeren / das gefelt mir gar nit / ursach alle Cucumeres seind feüchter art un gar nit werhafftig / darumb so nenne ich dise frucht Summer öpffel / Indianisch öpffel / Mala Indiana / Crocca / Lutea / Citrina / Nigra etc. eins andern namen Zucco marina. Dann war ists das solche öpffel über meer her kommen seind / eins theils auß Syria / die andern auß India / wie dann ire namen lauten / Zucco de Syria / Zucco Peru etc. wer es besser weiß mags anzeigen.

Von der krafft und würckung.
Es müssen alle ernente öpffel ein rechtmessige qualitet und natur haben nit zu feucht / nit zu drucken / nit zu warm / noch zu kalt / dann sie seind putrefaction / das ist / der feulung ein gute zeit sicher / mögen nützlich inn leib zur speisen erwölt werden.

Innerlich.
aller oberzelten öpffelfleisch (das ist zwischen den rinden und den kernen) mag man seübern von der harten rinden / unnd dem innerlichen weichen marck darin die weisse kern ligen / und das selbig in den hafen bereiten mit wenig wasser / salz unnd buttern / gleich wie man rüben oder öpffel müser kocht / das ist ein gute dracht etc. thut man aber wein daran für das wasser / so vil dester lieblicher würts am geschmack / fast wie ein apffel muß.
Auß den geschelten kernen macht man gutte süsse brülin / un weisse milch / aller ding wie von Mandel kernen / dienen seer wol zur Harnwinde / für den stein / und denen mit hitziger brunst das wasser von sich lassen. Andere würckung mögen mit der zeit an tag kommen.

Die alten Kräuterbücher bequem am Computer durchschauen zu können, ist schon eine feine Sache; es verführt nur leider dazu, noch das eine oder andere Bild auszuwählen, weil es einfach zu schön ist…

Gartenkürbisse alias Zucche marine des Georg Oellinger von 1553

Gartenkürbisse alias Zucchae marinae des Georg Oellinger von 1553 (S. 306 / 307)

Patisson oder Ufo-Kürbisse von 1563

Falls Du gedacht hast, „Patissons“ oder „Ufo-Kürbisse“ seien eine moderne Kreation… (Oellinger, 1553, S. 419)

Um die Mitte des 16. Jahrhunderts sind Gartenkürbisse neben Kohl und Möhren in Marktszenen niederländischer Maler so selbstverständlich präsent, als seien sie hierzulande ebenfalls schon seit Urzeiten angebaut und gegessen worden; als Beispiel füge ich einen Ausschnitt aus dem Gemälde „Die vier Jahreszeiten: Erde“ des Joachim Beuckelaer von 1569 ein.

Gartenkürbisse zwischen Kohl und Möhren auf einem Gemälde von Beuckelaer 1569

Ausschnitt aus dem Gemälde „Die vier Jahreszeiten: Erde“ des Joachim Beuckelaer von 1569: Kürbisse neben Kohl und Möhren

Auch Guiseppe Arcimboldo hat sie in seinen berühmten Porträhs aus Feld- und Gartenfrüchten verwendet: hier im Bild von Kaiser Rudolf II von Habsburg als Vertumnus, das 1590 entstanden ist.

Rudolf II von Habsburg als Vertumnus, gemald von Arcimboldo 1590

Fantastisches Suchbild von 1590: Finde die beiden Gartenkürbisse in diesem Portrait

Kürbisse verbreiteten sich demnach in Europa ziemlich rasant. Es waren jedoch fast ausschließlich Gartenkürbisse, die in den ersten 250 Jahren in Europa kultiviert wurden, wie auf den alten Abbildungen einigermaßen gut zu erkennen ist.

Das hat einen guten Grund: Gartenkürbisse stammen aus den nördlichen Teilen des amerikanischen Kontinents (ab Mexiko nordwärts) und wuchsen somit (auch) in kühlerem Klima; vor allem aber setzten sie unter den dort herrschenden sommerlichen Lichtverhältnissen („Langtag“) Früchte an. Die Aroma(Moschus)-Kürbisse entstammen dagegen den äquator-nahen Gebieten Süd- und Mittelamerikas und waren dort an tropische Bedingungen und den Kurztag angepasst; sie gediehen deshalb unter den europäischen Klimabedingungen nicht oder nur schlecht und bildeten in den langen Tagen des hiesigen Sommers keine Früchte. Die Riesen-Kürbisse der südlichen Hemispäre wurden erst später bekannt.

Gartenkürbisse wurden von den indigenen Völkern Nordamerikas schon tausende von Jahren angebaut und entwickelten dabei viele verschiedene Farben und Formen (Landsorten). Diese Kürbisse wurden ausgereift als Wintervorrat gelagert, aber auch jung, in unausgereiftem Zustand gekocht oder getrocknet; außerdem wurden die öl-haltigen Kerne gegessen (Agriculture of the Hidatsa Indians: An Indian Interpretation, 1916).

Squash slices drying

Scheiben von Gartenkürbissen werden luftgetrocknet (aus: Agiculture of the Hidatsa Indians)

In ähnlicher Weise wurden sie dann auch in Europa verwendet, bis…

Der tiefe Fall des Gartenkürbis

…ja, bis auch die beiden anderen Kürbis-Arten, der Riesen- und der Aroma(Moschus)-Kürbis (Cucurbita maxima und C. moschata), in Europa angebaut wurden; dazu mussten Varianten dieser Arten selektiert oder in den südamerikanischen Staaten südlich des Äquators entdeckt werden, die auch unter Langtagbedingungen Früchte ansetzen und ausreifen konnten…

Das Fruchtfleisch dieser beiden Kürbis-Arten ist dicker, farbiger, fein-faseriger und würziger als das der Gartenkürbisse; außerdem verholzt ihre Außenhaut in der Regel nicht, so dass diese mitgegessen werden kann und nicht (mühsam) abgeschält werden muss (wie bei Cucurbita pepo zumeist).

Courge musquée de Provence

Musquée de Provence (Cucurbita moschata)

Aus diesen Gründen haben Riesen- und Aroma-Kürbisse den Gartenkürbis dann nahezu vollständig von der europäischen Speisekarte verdrängt.

Die Wiedergeburt des Gartenkürbis

Wie Du oben schon lesen konntest, wurden Gartenkürbisse in früheren Zeiten ganz selbstverständlich auch in jungem, unreifen Zustand gegessen. Nachdem Gartenkürbisse jedoch vollständig aus dem Anbau verschwunden waren, war mit ihnen auch das Wissen über diese Form des Kürbisgenusses verlorengegangen.

Mit dem Aufschwung des industriellen Ackerbaus ab 1850 stieg dann einerseits die Kaufkraft größerer Bevölkerungskreise an, andererseits stieg der (Konkurrenz)Druck auf die „Bauern“, neue Anbau- und Verkaufsprodukte zu finden, um überleben zu können.

Seit ungefähr 1850 werden Gartenkürbisse wieder regelmäßiger in Europa verspeist, seit nämlich italienische Gemüsehändler die zarten, jungen Früchte des Gartenkürbis unter dem Namen „Zucchini“ dem wohlhabenden Teil der Bevölkerung schmackhaft machen konnten („Zucchini“ bedeutet im Italienischen ja einfach nur „Kleine Kürbisse“, „Baby-Kürbisse“, „Kürbis-chen“).

Verschiedenfarbige, junge Gartenkürbisse

Alle Gartenkürbisse können in jungem, unausgereiften Zustand, also als Kürbis-chen (Zucchini), gegessen werden

Anfangs wurden sie ausschließlich in einer grünen, geraden Form vermarktet: Grün bedeutet „Frische“ und „Gesundheit“ und die kurze gerade Form ließ sich besser packen und damit kostensparender transportieren. Erst neuerdings sind auch gelbe und runde Zukkini-Formen in den Gemüsetheken der Supermärkte zu finden, wahrscheinlich weil die meisten Menschen nun „Zucchini“ kennen und wissen wie sie zubereitet werden, außerdem die Transportkosten weiter gesunken sind und Anbauer:innen gemeinsam mit den Handelsketten weiterhin nach Marktnischen suchen…

…deshalb: Liebe Direkt-Vermarkter und Bio-Bäuerinnen, schaut auf diese Vielfalt! Mehr Gartenkürbis ist möglich!

Birnenförmiger, grün-weiß gestreifter Gartenkürbis

Grün-weiß gestreifter, birnenförmiger Gartenkürbis

Der großartige Herr Duchesne, seine Erkenntnisse über Kürbisse und seine Kürbis-Bilder

Nachdem Du jetzt den Gartenkürbis besser kennen gelernt hast, will ich Dir noch den Menschen vorstellen, der seine Unterscheidung von den beiden anderen Kürbis-Arten Cucurbita maxima und Cucurbita moschata auf den Weg gebracht hat. Dieser hat uns neben seinen Erkenntnissen auch über 300 Kürbis-Bilder hinterlassen, die Du Dir unbedingt anschauen solltest (ich habe mir erlaubt, ein paar von ihnen als Lockmittel hier einzufügen).

Kürbisse mit System

Ich gehe mal davon aus, dass die meisten von Euch Carl von Linné kennen, der sich bei der wissenschaftlichen Einteilung (Systematik) von Pflanzen und Tieren mit seiner zweiteiligen Benennung durchgesetzt hat (Beispiel: Gattungsname „Cucurbita“, Artname „pepo“, Erstbeschreiber „Linné“; kurz: C. pepo L.); aber wer von Euch hat bisher irgendetwas von Antoine Nicolas Duchesne gehört?

Möglicherweise wird die eine oder der andere schon mal über seine Naturgeschichte der Erdbeeren („Histoire naturelle des fraisiers“), gestolpert sein; aber weiß jemand, dass er als erster das Licht der Aufklärung ins Dunkel unserer Kürbiswelt gebracht hat?

Wie solltet Ihr auch! Nicht einmal die französische Ausgabe der Wikipedia hatte große Ahnung von dieser Leistung eines Franzosen…

Gartenkürbisse als Aquarell

Ich sage Euch: Das sind keine Zierkürbisse!

Auch mir war er bis vor kurzem nicht als Kürbisfachmann ins Bewusstsein gedrungen, obwohl zwei Kürbis-Arten mit seinem Namen ausgezeichnt werden. Den wissenschaftlichen, lateinischen Doppelnamen des Riesen-Kürbis und des Aroma(Moschus)-Kürbis wird jeweils ein „Duchesne“ (abgekürzt „Duch.“) angehängt: Cucurbita maxima Duchesne bzw. Cucurbita moschata Duch. (siehe oben). Diese Auszeichnung haben sie bekommen, weil Monsieur Duchesne diese Kürbisse zuerst als unterschiedliche Arten erkannt und wissenschaftlich korrekt benannt hat (Erstbeschreiber). Vorher nannte sie jeder, wie er lustig war – fast so wie heute…

Bevor ich Euch jedoch mehr über den großartigen Herrn Duchesne und sein Kürbisvermächtnis erzähle, möchte ich gestehen, dass ich seine Bekanntschaft der Ausgräberin Annett Dittrich zu verdanken habe (wenn Ihr Zeit habt, solltet Ihr unbedingt ihren tiefschürfenden Artikel über eine andere, der gesamten Menschheit schon seit 10.000 Jahren bekannten Kürbisart lesen, über den Flachenkürbis Lagenaria siceraria (Molina) Standley). Sie hat mich außerdem mit dem (noch lebenden) Kürbiszüchter und -erforscher Harry Paris bekannt gemacht, der sich wiederum intensiv mit dem Nachlass von Antoine N. Duchesne befasst und dessen Kürbiswissen für uns Heutige zu größeren Teilen zugänglich gemacht hat – er hat die wunderbaren Aquarelle veröffentlicht, die Antoine Duchesne vor allem von Gartenkürbissen gemalt hat.

Die Erkenntnisse des Antoine Nicolas Duchesne über Kürbisse

Antoine Nicolas Duchesne (7. Oktober 1747 bis 18. Februar 1827) hat sich in den Jahren 1769 bis 1774 intensiv mit Kürbissen beschäftigt, sie angebaut, gekreuzt, beobachtet, sie akkurat dokumentiert, indem er sie gemalt hat, und alle seine Erkenntnisse in einem Büchlein festgehalten. Merkwürdigerweise hat dieses Buch nur eine geringe Verbreitung gefunden und ist bis heute nicht digitalisiert worden (zumindest habe ich es trotz intensiver Suche nicht finden können). Da Herr Duchesne sein Wissen jedoch in zwei der damals beliebten Enzyklopädien (Encyclopédie méthodique. Botanique, 1786, S. 148-159 sowie der Encyclopédie méthodique. Agriculture, 1793, S. 606-614) einbringen durfte (die beide digitalisiert wurden), kann ich Euch zumindest diese Ausschnitte (Botanique, Agriculture) hier zur Verfügung stellen (was zumindest denjenigen nützt, die Französisch beherrschen).

Nun ist auch sein damaliges Wissen nicht mehr Up-to-date, aber er war der erste, der bei der Einteilung von Pflanzen von deren verwandschaftlichen Verhältnissen ausgegangen ist und nicht nur von ihren äußeren Merkmalen (wie Linné).

Aufgeschnittener Gartenkürbis (Aquarell von A. N. Duchesne

Aufgeschnittener Gartenkürbis; aus den Aquarellen von Antoine N. Duchesne

Er hat das herausgefunden, obwohl er damals nur wenige Exemplare der Arten Cucurbita maxima und C. moschata anbauen konnte; wie oben schon berichtet, gedieh zu damaliger Zeit nahezu ausschließlich Cucurbita pepo (Gartenkürbis) in Europa, so dass es sich auch beim überwiegenden Teil seiner Kürbis-Bilder um Abbildungen der Art C. pepo handelt.

Seine Erkenntnisse sind um so erstaunlicher, da die Unterschiedlichkeit der Gartenkürbisse allein schon gewaltig war, wie Ihr auf seinen Bildern unschwer erkennen könnt; er nannte diese Art deshalb „Cucurbita polymorpha“, die „vielgestaltige“.

Durch seine Anbauversuche hat er trotzdem festgestellt: Wenn zwei Pflanzen unterschiedlich aussehender Varianten nebeneinander wuchsen, zeigte ihre Nachkommenschaft in der Regel die Merkmale beider Eltern. Bei anderen Zusammenstellungen war das jedoch nicht der Fall; bestimmte Varianten vermischten sich nicht, wenn sie nebeneinander wuchsen.

Aus dieser Erscheinung schloss er, dass alle Varianten, die ihre Merkmale miteinander mischten, sich also gegenseitig befruchten konnten, zu ein und derselben Art gerechnet werden mussten; alle, die sich nicht mischten, mussten demnach eigene Arten bilden.

Während Linné Lebewesen noch allein nach äußerlichen Ähnlichkeiten gruppierte, war für Duchesne das wichtigste Kriterium für die Zuordnung zu einer Gruppe, wenn sie fruchtbare Nachkommen miteinander zeugen konnten (diese Definition von „Art“ ist bis heute gültig).

Zukkini von 1774

Es soll keiner sagen, dass es Zukkini erst seit ca. 1850 gibt…hier siehst Du eine, die viel älter ist

Diese Sichtweise war für die damalige Zeit noch äußerst ungewöhnlich, fast 100 Jahre vor Charles Darwin und Gregor Mendel, die erst die Vorstellung endgültig widerlegen konnten, dass die gesamte Natur durch den einmaligen Schöpfungsakt eines allmächtigen Gottes erschaffen wurde und damit unveränderlich sei. Duchesne verstärkte also schon Zweifel an dieser Vorstellung…

Das Wort zum Abschluss

Ich hoffe, Ihr wisst jetzt genug über Gartenkürbisse der Art Cucurbita pepo und vervielfältigt sie mit mir zusammen wieder zu alter Pracht und Herrlichkeit. Falls Ihr aber durch Ängste gehemmt werdet, weil Ihr gehört habt, dass auch die ungenießbaren, weil Cucurbitacin-haltigen Zier-Kürbisse zu dieser Art gehören und sich folglich mit den den essbaren Gartenkürbissen kreuzen können, dann schließe ich den Beitrag mit der tausendfach verbreiteten Information, dass Cucurbitacin bitter schmeckt und dass man sich nicht den Bauch voll schlagen soll mit bitter schmeckenden Kürbisgerichten; einen Happen zu probieren oder gar zu essen, hat noch niemandem geschadet.

Ängste und Sorgen werden am besten durch Wissen beherrscht…