Der Ring der Züchter:innen

oder: Welche Idee mir nach der 9. Tomatenverkostung kam.

Der Bericht über die Tomatenverkostung fällt in diesem Jahr eher knapp aus, da es aus allerlei Gründen (auf die ich unten näher eingehen werde) kaum Tomaten zu ernten gab. Dafür breite ich eine Idee, die mir im Anschluss kam, etwas ausführlicher aus: die Idee von einem Ring oder einem Netzwerk von Hobby-Züchter:innen.

Wenn eine interessante Kreuzung z. B. von Tomaten (es kann aber auch jede andere Nutzpflanzenart sein) von vielen Hobby-Gärtner:innen angebaut wird, kann daraus viel schneller eine neue, samenfeste Sorte entstehen, als wenn das eine:r alleine macht. Außerdem wird sie gleich unter vielen, verschiedenen Umweltbedingungen getestet und als Sahnehäubchen – wird die genetische Vielfalt vermehrt.

Tomatenernte am 28.August 2021

Die (kümmerliche) Tomatenernte zum Tomatenerntefest

Da auch in diesem Jahr wieder eine interessante Tomatenkreuzung bei mir gewachsen ist, mache ich meine Idee hiermit einmal bekannt: Vielleicht wollen sich ein paar Tomaten-Anbauer:innen von Euch ja an einem Züchtungsring für sie beteiligen…

Gemeinschaftszüchtung

Gemeinschaftliche Züchtung wird ja mittlerweile von der einen Firma, dem anderen Verein oder auch von universitären Einrichtungen betrieben, aber bei diesen Projekten sind die Helfer:innen nur ausführende Organe, die weder Einfluss auf die Auswahlkriterien nehmen können noch Verfügungsgewalt über das Saat-/Pflanzgut haben.

Von einem gemeinschaftlichen Züchtungsvorhaben von gleichberechtigten Hobby-Gärtner:innen habe ich bisher noch nichts gehört.

Einen solchen gemeinschaftlichen Züchtungsring (am Beispiel der Tomate) stelle ich mir ungefähr so vor: Wenn bei jemandem eine Pflanze auftaucht, die höchstwahrscheinlich aus einer Kreuzung hervorgegangen ist und interessante Eigenschaften besitzt, könnte er oder sie von den Früchten dieser Pflanze möglichst viele Samen nehmen und allen Interessenten aus dem Ring/Netzwerk ein paar Körner davon zukommen lassen. Alle Beteiligten bauen dann mindestens eine Pflanze dieser „Sorte“ an und sammeln Samen von den Pflanzen, die mit der Ausgangspflanze am meisten übereinstimmen.

Mittelgroße, gelbe Tomatenkreuzung

Die großen Gelben sind potentielle Züchtungskandidatinnen

Alle Beteiligten dokumentieren ihre Pflanzen, Früchte und Anbaubedingungen möglichst genau und teilen diese Informationen mit den anderen „Züchter:innen“ über einen zentralen Ort im Internet.

Sobald bei jemandem alle Nachzuchten mehrere Jahre hintereinander nur noch das Aussehen des „Originals“ zeigen, kann man annehmen, dass die Pflanzen sich samenfest vermehren.

Nun erhalten alle „Ringmitglieder“ Samen dieser „Sorte“ und testen sie noch einmal bei sich. Tauchen auch bei dieser großen Anbaurunde keine Abweichungen auf, ist wirklich eine neue Sorte entstanden – und kann einen einmaligen Namen bekommen.

Wenn bei manchen Teilnehmer:innen alle Planzen bzw. ihre Früchte ein abweichendes Aussehen zeigen, bekommen sie neues Saatgut von anderen Mitwirkenden, bei der die Nachkommenschaft möglichst der Ausgangspflanze gleicht – am besten aus der näheren Umgebung; ebenso erhalten alle, die sich neu an der Züchtung beteiligen wollen, Samen einer letzten, „erfolgreichen“ Nachzucht.

Neustart, Austausch und Gemeinschaft

Sollte im Laufe der Züchtungsrunden unter den „Abweichlern“ eine neue, interessante Variante entdeckt werden, so kann diese als Ausgangspunkt für einen neuen Züchtungsring dienen.

Außerdem kann in jedem Ring ein reger Austausch über alle Züchtungs- und Anbauprobleme stattfinden und vielleicht ein Gefühl von Gemeinschaft entstehen, das möglicherweise auch zu regelmäßigen Treffen bei einzelnen Teilnehmer:innen oder über eine Video-Konferenz-Software führen kann.

Wenn die Ringmitglieder ihr Saatgut ab und zu mischen, wird auch Inzucht vermieden (sofern die Pflanze zu den „Fremdbefruchtern“ gehört).

So stelle ich mir Hobby-Gemeinschaftszüchtung vor, die Spaß macht und gleichzeitig die genetische Vielfalt zum Nutzen der Menschheit erhöht; außerdem verbreiten sich durch solche Ringe neue Gene und die Freude an der Vielfalt.

Was meint Ihr?

Wenn meine Idee bei Euch auf Interesse stößt, lasst es mich (in den Kommentaren) wissen; dann versuche ich den Anfang zu organisieren. Zwei mögliche Züchtungskanditatinnen kann ich schon anbieten – die 2019er „Rote Fleisch“ und in 2021 die „Große, gelbe (Cocktail-)Tomate“, die ich auf dem Titelbild oben zu einem Ring um eine Ananas-Tomate arrangiert habe…

Eine zufällige Kreuzung: Fleisch von meiner Fleisch, 2019

Wer Samen dieser beiden Tomaten haben möchte, schickt mir einfach seine Adresse per Email

Die Gründe für das Scheitern meines Tomatenanbaus 2021

Verfehlte Voranzucht der Tomaten

Nach dieser Kopfgeburt zurück zum wahren Leben und zu den Gründen, warum aus meinen großartigen Plänen für eine gigantische Tomatenschau nichts geworden ist. Ja, ich wollte in diesem Jahr ganz groß auftrumpfen; aber wie das manchmal so ist: Man setzt großspurig zum Großen Sprung an und fällt dann ganz kläglich auf die Nase… So war das bei mir in diesem Jahr.

Liebe Leserinnen hatten mich mit Saatgut von so vielen, neuen Sorten versorgt, dass ich, zusammen mit meinen eigenen (besten) Sorten, auf 40 verschiedene Tomatensorten gekommen bin, mit denen ich bei der diesjährigen Verkostung Eindruck schinden wollte.

Weil ich jedoch meine Ein-Zimmer-Behausung nicht wieder mehrere Monate mit vielen Pflanzen teilen wollte, hatte ich die Anzucht in diesem Jahr in den Folientunnel verlegt. Dort waren in den letzten Jahren immer zahlreiche Tomatensamen aus freien Stücken und so rechtzeitig gekeimt, dass sie am letzten Samstag im August, dem mittlerweile traditionellen Zeitpunkt des Tomatenfestes, genügend Früchte zur Verfügung stellen konnten. Dieses Verhalten wollte ich mir zum Vorbild nehmen und positionierte deshalb die Anzucht-Töpfe Mitte April in den Tunnel, in die ich dieses Mal – ganz sparsam und akkurat – je fünf Tomatensamen eingelegt hatte.

Anzuchttöpfe im Folientunnel mit Vlies abgedeckt

Am 24. April stehen die Anzuchttöpfe schon eine Woche an Ort und Stelle

Anzuchttöpfe im Tunnel am 3. Mai

So sah das am 3. Mai aus…

Ich hatte die Töpfe mit Vlies bedeckt und auch am nächsten Wochenende schon die Folie über das Tunnelgerippe gezogen, aber erst nach zwei Wochen ließen sich erste Keimlinge blicken, obwohl neben ihnen schon reihenweise „wilde“ Tomatensämlinge mit Laubblättern protzten.

Anzuchttöpfe im Tunnel am 30. Mai

Auch am 30. Mai ist kaum Grün in den Töpfen zu erahnen

Als ich an einem der nächsten Wochenenden nach dem Rechten sah, traf mich der Schlag: „Ich glaub, ich seh nicht recht!“ Irgendein missgünstiges Wesen hatte meine mickrigen Pflänzchen entblättert, die prallen „Wildlinge“ aber nicht angerührt.

Anzuchttopf mit abgefressenen Tomatenkeimlingen

Sauber geköpft! Meine „enthaupteten“ Tomatenkeimlinge am 23. Mai

Nach kurz aufschäumendem Ärger überkam mich Trauer, die dann sehr bald in Fatalismus überging: Die Natur gibt, die Natur nimmt; ich nehme das, was übrig bleibt…

Ein paar Keimlinge blieben tatsächlich übrig, wollten und wollten aber dem Keimstadium nicht entwachsen: Ringsum schoss alles ins Kraut, nur meine kostbare Saat schien stillzustehen.

Irgendwann vermutete ich Nährstoffmangel, hatte ich doch möglichst unkrautsamenfreien Folientunnelgrabenaushub als Töpfchenfüllung verwendet. Eine 10%ige Jauchebrühe sorgte für einen kleinen Wachstumsschub, aber nicht für eine nachhaltiges Entwicklung.

Blick in den Folientunnel am 30. Mai

So grün sah das am 30. Mai rings um die Anzuchttöpfe aus…

Selbstständig gekeimte Tomatenpflanzen im Folientunnel

11. Juni: Ist der Unterschied zwischen selbst- und fremdbestimmten Tomatenpflanzen zu erkennen?

Ich hatte mich inzwischen entschlossen, das 40-Tomatensorten-Projekt mit dem dazu gehörigen Bauvorhaben, einem großen, durchsichtigen Dach, aufzugeben und nur noch einige der Tomatenpflanzen zu adoptieren, die selbstbestimmt im Tunnel und in einem Kartoffelbeet emporgekommen waren. Ich tat so, als hätte ich diese bewusst dorthin gepflanzt, versah sie mit Halteleinen und Dünger und behandelte sie ansonsten genau so wie meine wenigen überlebenden Tomatenkinder.

Tunnelblick am 20. Juni

Am 20. Juni sah der Folientunnel vielversprechend aus…

So machte das Ganze dann irgendwann sogar den Eindruck einer geplanten Tomatenpflanzung und ich begann, mich auf die Früchte der „Überraschungssorten“ zu freuen.

Garten unter Wasser

Doch die Freude währte nur kurz: Auch mein Garten war in diesem Sommer von einer Überschwemmung betroffen. Die reichen Niederschläge zum Monatswechsel Juni/Juli ertränkten alle aufkeimenden Hoffnungen auf positive Überraschungen.

Kleingartenanlage unter Wasser

Vor meinem Zweitgarten steht das Wasser auch am 2. Juli noch…

Das Wasser stand zwar nur einige Stunden bis zu 30 Zentimeter hoch – und war somit weder eine Zeitungsmeldung wert noch hat sie (Pflanzen das) Leben gekostet; aber es hat für einen wassergesättigten Sumpfboden und so viel Feuchtigkeit im Tunnel gesorgt, dass für Pilze der Himmel auf Erden herrschte und die braune Phytophtora meine Tomatenpflanzen kräftig infestieren konnte.

Stuhl mit anhängendem Schwemmgut

Ein Stuhl als Messgerät für den Höchststand des Wassers…

Das sah übel aus und ließ mich endgültig alle Hoffnung fahren: Die Tomatenernte gab ich für dieses Mal verloren und sagte innerlich das dazugehörige Fest ab.

Braunfaule Tomatenpflanzen

Das üppige Grün hat sich an vielen Stellen in Braun verwandelt…

Tomatenpflanze mit Braunfäule

Tomatenpflanze, von Phytophtora infestans, der Braunfäule, befallen

Doch wie dichtete Hölderlin: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Das Wetter wechselte und entzog den Pilzen seine Gunst: Diese konnten daher meine Tomatenpflanzen nicht so schnell verdauen, wie befürchtet, so dass ich wenigstens ein paar Früchte ernten konnte. Diese wenigen rechtfertigten jedoch keine große Werbekampagne für ein Fest, so dass die allermeisten Freunde und Bekannten ohne eine extra ausgesprochene Einladung blieben.

Kleine Verkoster:innenrunde

Niemand traut sich, von den wenigen Tomaten zu probieren…

Es wurde nicht die große Sause wie im letzten Jahr, sondern nur eine kleine, feine Runde, die sich dafür aber um so intensiver genießen ließ.

In trauter Runde bei der Tomatenverkostung

Auf dem Smartphone finden sich auch noch Ansichten vergangener Herrlichkeit

Drei Tomatenverkoster

Ja, ich war auch dabei, als es kaum etwas zu verkosten gab…

Phönix aus der Asche

Wie ich oben schon angedeutet habe, hatte dieser Reinfall auch eine gute Seite: Ich konnte einige, unbekannte Sämlinge aufziehen.

Obwohl Tomaten als „Selbsbefruchter“ seltener zu Fremdbestäubung und damit zu Kreuzungen neigen, erhöht sich der Anteil verkreuzter Tomaten jedoch im Laufe des Sommers: Bienen und Hummeln haben sich dann im Tunnel eingeflogen und vor allem letztere nutzen gegen Sommers Ende auch gern die Tomatenblüten als Futterquelle, da andere Quellen langsam versiegen. Dadurch sind die späten Tomatensamen häufiger durch das Erbgut anderer Pflanzen „verunreinigt“, d. h., fremdbestäubt, und produzieren somit im Folgejahr F1-Hybride.

Mittelgroße, gelbe Tomatenkreuzung

Die mittelgroßen, gelben, ehemaligen Cocktail-Tomaten harren der züchterischen Bearbeitung…

Diese letzten Tomaten vergammeln bei mir dazu noch häufiger im Folientunnel und liefern somit die Samen, die im Frühjahr selbstbestimmt keimen können. Sie bilden ein Reservoir für neue Sorten; denn aus der F2-Generation, die sich in neue genetische Varianten aufspaltet, lassen sich neue, interessante Früchte auslesen und gezielt weitervermehren, bis sie in Generation F5, F6 oder F7 samenfest geworden sind.

Die (fast normal) große, gelbe Tomate, die in diesem Jahr aus dem Schlammassel hervorging, ist ziemlich sicher noch nicht samenfest, da sie ein Kind der, von mir „Dutch Yellow“ benannten, Cocktail-Tomate ist, die ich vor ein paar Jahren von einer Supermarktkette gekauft habe – und die ich gerne mit Euch weiterzüchten würde, damit aus der Asche des diesjährigen Desasters wenigstens eine wunderbare, neue Tomatensorte erwächst.

Als ihren Namen würde ich „Phönix“ vorschlagen…