Der Ring der Züchter:innen
oder: Welche Idee mir nach der 9. Tomatenverkostung kam.
Der Bericht über die Tomatenverkostung fällt in diesem Jahr eher knapp aus, da es aus allerlei Gründen (auf die ich unten näher eingehen werde) kaum Tomaten zu ernten gab. Dafür breite ich eine Idee, die mir im Anschluss kam, etwas ausführlicher aus: die Idee von einem Ring oder einem Netzwerk von Hobby-Züchter:innen.
Wenn eine interessante Kreuzung z. B. von Tomaten (es kann aber auch jede andere Nutzpflanzenart sein) von vielen Hobby-Gärtner:innen angebaut wird, kann daraus viel schneller eine neue, samenfeste Sorte entstehen, als wenn das eine:r alleine macht. Außerdem wird sie gleich unter vielen, verschiedenen Umweltbedingungen getestet und als Sahnehäubchen – wird die genetische Vielfalt vermehrt.
Da auch in diesem Jahr wieder eine interessante Tomatenkreuzung bei mir gewachsen ist, mache ich meine Idee hiermit einmal bekannt: Vielleicht wollen sich ein paar Tomaten-Anbauer:innen von Euch ja an einem Züchtungsring für sie beteiligen…
Gemeinschaftszüchtung
Gemeinschaftliche Züchtung wird ja mittlerweile von der einen Firma, dem anderen Verein oder auch von universitären Einrichtungen betrieben, aber bei diesen Projekten sind die Helfer:innen nur ausführende Organe, die weder Einfluss auf die Auswahlkriterien nehmen können noch Verfügungsgewalt über das Saat-/Pflanzgut haben.
Von einem gemeinschaftlichen Züchtungsvorhaben von gleichberechtigten Hobby-Gärtner:innen habe ich bisher noch nichts gehört (es gibt aber schon seit 2005 das gemeinschaftliche Züchtungsprojekt „Dwarf Tomato Project“, das „Zwerg-Tomaten-Projekt“, von Craig LeHoullier).
Einen solchen gemeinschaftlichen Züchtungsring (am Beispiel der Tomate) stelle ich mir ungefähr so vor: Wenn bei jemandem eine Pflanze auftaucht, die höchstwahrscheinlich aus einer Kreuzung hervorgegangen ist und interessante Eigenschaften besitzt, könnte er oder sie von den Früchten dieser Pflanze möglichst viele Samen nehmen und allen Interessenten aus dem Ring/Netzwerk ein paar Körner davon zukommen lassen. Alle Beteiligten bauen dann mindestens eine Pflanze dieser „Sorte“ an und sammeln Samen von den Pflanzen, die mit der Ausgangspflanze am meisten übereinstimmen.
Alle Beteiligten dokumentieren ihre Pflanzen, Früchte und Anbaubedingungen möglichst genau und teilen diese Informationen mit den anderen „Züchter:innen“ über einen zentralen Ort im Internet.
Sobald bei jemandem alle Nachzuchten mehrere Jahre hintereinander nur noch das Aussehen des „Originals“ zeigen, kann man annehmen, dass die Pflanzen sich samenfest vermehren.
Nun erhalten alle „Ringmitglieder“ Samen dieser „Sorte“ und testen sie noch einmal bei sich. Tauchen auch bei dieser großen Anbaurunde keine Abweichungen auf, ist wirklich eine neue Sorte entstanden – und kann einen einmaligen Namen bekommen.
Wenn bei manchen Teilnehmer:innen alle Planzen bzw. ihre Früchte ein abweichendes Aussehen zeigen, bekommen sie neues Saatgut von anderen Mitwirkenden, bei der die Nachkommenschaft möglichst der Ausgangspflanze gleicht – am besten aus der näheren Umgebung; ebenso erhalten alle, die sich neu an der Züchtung beteiligen wollen, Samen einer letzten, „erfolgreichen“ Nachzucht.
Neustart, Austausch und Gemeinschaft
Sollte im Laufe der Züchtungsrunden unter den „Abweichlern“ eine neue, interessante Variante entdeckt werden, so kann diese als Ausgangspunkt für einen neuen Züchtungsring dienen.
Außerdem kann in jedem Ring ein reger Austausch über alle Züchtungs- und Anbauprobleme stattfinden und vielleicht ein Gefühl von Gemeinschaft entstehen, das möglicherweise auch zu regelmäßigen Treffen bei einzelnen Teilnehmer:innen oder über eine Video-Konferenz-Software führen kann.
Wenn die Ringmitglieder ihr Saatgut ab und zu mischen, wird auch Inzucht vermieden (sofern die Pflanze zu den „Fremdbefruchtern“ gehört).
So stelle ich mir Hobby-Gemeinschaftszüchtung vor, die Spaß macht und gleichzeitig die genetische Vielfalt zum Nutzen der Menschheit erhöht; außerdem verbreiten sich durch solche Ringe neue Gene und die Freude an der Vielfalt.
Was meint Ihr?
Wenn meine Idee bei Euch auf Interesse stößt, lasst es mich (in den Kommentaren) wissen; dann versuche ich den Anfang zu organisieren. Zwei mögliche Züchtungskanditatinnen kann ich schon anbieten – die 2019er „Rote Fleisch“ und in 2021 die „Große, gelbe (Cocktail-)Tomate“, die ich auf dem Titelbild oben zu einem Ring um eine Ananas-Tomate arrangiert habe…
Wer Samen dieser beiden Tomaten haben möchte, schickt mir einfach seine Adresse per Email…
Die Gründe für das Scheitern meines Tomatenanbaus 2021
Verfehlte Voranzucht der Tomaten
Nach dieser Kopfgeburt zurück zum wahren Leben und zu den Gründen, warum aus meinen großartigen Plänen für eine gigantische Tomatenschau nichts geworden ist. Ja, ich wollte in diesem Jahr ganz groß auftrumpfen; aber wie das manchmal so ist: Man setzt großspurig zum Großen Sprung an und fällt dann ganz kläglich auf die Nase… So war das bei mir in diesem Jahr.
Liebe Leserinnen hatten mich mit Saatgut von so vielen, neuen Sorten versorgt, dass ich, zusammen mit meinen eigenen (besten) Sorten, auf 40 verschiedene Tomatensorten gekommen bin, mit denen ich bei der diesjährigen Verkostung Eindruck schinden wollte.
Weil ich jedoch meine Ein-Zimmer-Behausung nicht wieder mehrere Monate mit vielen Pflanzen teilen wollte, hatte ich die Anzucht in diesem Jahr in den Folientunnel verlegt. Dort waren in den letzten Jahren immer zahlreiche Tomatensamen aus freien Stücken und so rechtzeitig gekeimt, dass sie am letzten Samstag im August, dem mittlerweile traditionellen Zeitpunkt des Tomatenerntefestes, genügend Früchte zur Verfügung stellen konnten. Dieses Verhalten wollte ich mir zum Vorbild nehmen und positionierte deshalb die Anzucht-Töpfe Mitte April in den Tunnel, in die ich dieses Mal – ganz sparsam und akkurat – je fünf Tomatensamen eingelegt hatte.
Ich hatte die Töpfe mit Vlies bedeckt und auch am nächsten Wochenende schon die Folie über das Tunnelgerippe gezogen, aber erst nach zwei Wochen ließen sich erste Keimlinge blicken, obwohl neben ihnen schon reihenweise „wilde“ Tomatensämlinge mit Laubblättern protzten.
Als ich an einem der nächsten Wochenenden nach dem Rechten sah, traf mich der Schlag: „Ich glaub, ich seh nicht recht!“ Irgendein missgünstiges Wesen hatte meine mickrigen Pflänzchen entblättert, die prallen „Wildlinge“ aber nicht angerührt.
Nach kurz aufschäumendem Ärger überkam mich Trauer, die dann sehr bald in Fatalismus überging: Die Natur gibt, die Natur nimmt; ich nehme demütig das, was übrig bleibt…
Ein paar Keimlinge blieben tatsächlich übrig, wollten und wollten aber dem Keimstadium nicht entwachsen: Ringsum schoss alles ins Kraut, nur meine kostbare Saat schien stillzustehen.
Irgendwann vermutete ich Nährstoffmangel, hatte ich doch möglichst unkrautsamenfreien Folientunnelgrabenaushub als Töpfchenfüllung verwendet. Eine 10%ige Jauchebrühe sorgte für einen kleinen Wachstumsschub, aber nicht für eine nachhaltiges Entwicklung.
Ich hatte mich inzwischen entschlossen, das 40-Tomatensorten-Projekt mit dem dazugehörigen Bauvorhaben, einem großen, durchsichtigen Dach, aufzugeben und nur noch einige der Tomatenpflanzen zu adoptieren, die selbstbestimmt im Tunnel und in einem Kartoffelbeet emporgekommen waren. Ich tat so, als hätte ich diese bewusst dorthin gepflanzt, versah sie mit Halteleinen und Dünger und behandelte sie ansonsten genau so wie meine wenigen überlebenden Tomatenkinder.
So machte das Ganze dann irgendwann sogar den Eindruck einer geplanten Tomatenpflanzung und ich begann, mich auf die Früchte der „Überraschungssorten“ zu freuen.
Garten unter Wasser
Doch die Freude währte nur kurz: Auch mein Garten war in diesem Sommer von einer Überschwemmung betroffen. Die reichen Niederschläge zum Monatswechsel Juni/Juli ertränkten alle aufkeimenden Hoffnungen auf positive Überraschungen.
Das Wasser stand zwar nur einige Stunden bis zu 30 Zentimeter hoch – und war somit weder eine Zeitungsmeldung wert noch hat sie (Pflanzen das) Leben gekostet; aber es hat für einen wassergesättigten Sumpfboden und so viel Feuchtigkeit im Tunnel gesorgt, dass für Pilze der Himmel auf Erden herrschte und die braune Phytophtora meine Tomatenpflanzen kräftig infestieren konnte.
Das sah übel aus und ließ mich endgültig alle Hoffnung fahren: Die Tomatenernte gab ich für dieses Mal verloren und sagte innerlich das dazugehörige Fest ab.
Doch wie dichtete Hölderlin: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Das Wetter wechselte und entzog den Pilzen seine Gunst: Diese konnten daher meine Tomatenpflanzen nicht so schnell verdauen, wie befürchtet, so dass ich wenigstens ein paar Früchte ernten konnte. Diese wenigen rechtfertigten jedoch keine große Werbekampagne für ein Fest, so dass die allermeisten Freunde und Bekannten ohne eine extra ausgesprochene Einladung blieben.
Es wurde nicht die große Sause wie im letzten Jahr, sondern nur eine kleine, feine Runde, die sich dafür aber um so intensiver genießen ließ.
Phönix aus der Asche
Wie ich oben schon angedeutet habe, hatte dieser Reinfall auch eine gute Seite: Ich konnte einige, unbekannte Sämlinge aufziehen.
Obwohl Tomaten als „Selbsbefruchter“ seltener zu Fremdbestäubung und damit zu Kreuzungen neigen, erhöht sich der Anteil verkreuzter Tomaten jedoch im Laufe des Sommers: Bienen und Hummeln haben sich dann im Tunnel eingeflogen und vor allem letztere nutzen gegen Sommers Ende auch gern die Tomatenblüten als Futterquelle, da andere Quellen langsam versiegen. Dadurch sind die späten Tomatensamen häufiger durch das Erbgut anderer Pflanzen „verunreinigt“, d. h., fremdbestäubt, und produzieren somit im Folgejahr F1-Hybride.
Diese letzten Tomaten vergammeln bei mir dazu noch häufiger im Folientunnel und liefern somit die Samen, die im Frühjahr selbstbestimmt keimen können. Sie bilden ein Reservoir für neue Sorten; denn aus der F2-Generation, die sich in neue genetische Varianten aufspaltet, lassen sich neue, interessante Früchte auslesen und gezielt weitervermehren, bis sie in Generation F5, F6 oder F7 samenfest geworden sind.
Die (fast normal) große, gelbe Tomate, die in diesem Jahr aus dem Schlammassel hervorging, ist ziemlich sicher noch nicht samenfest, da sie ein Kind der, von mir „Dutch Yellow“ benannten, Cocktail-Tomate ist, die ich vor ein paar Jahren von einer Supermarktkette gekauft habe – und die ich gerne mit Euch weiterzüchten würde, damit aus der Asche des diesjährigen Desasters wenigstens eine wunderbare, neue Tomatensorte erwächst.
Als ihren Namen würde ich „Phönix“ vorschlagen…
ich züchte seit 15 Jahren eigene Tomaten, immer um die beste Braunfäuletoleranz bemüht. Dieses Jahr würde ich als vollen Erfolg bezeichnen. Eine Saatgutlinie war bis Oktober Bt frei, während alle anderen längst schon tot waren. Von der Cocktailtomate bis zur großen Fleischtomate war alles dabei. Diesmal waren sie alle rot. Aber das wechselt von Jahr zu Jahr. Meine Tomaten sind sehr verkeuzungsfreudig.
Bin gespannt, wie die Nachkommen nächstes Jahr werden…
Ich gebe gerne Saatgut ab.
Hallo Mikkel,
danke für Deine Kommentare!
Ich würde gerne Saatgut von Dir zur Vermehrung meiner Tomatenvielfalt verwenden (wenn Du diesen Kommentar nicht lesen solltest, melde ich mich per Email bei Dir)
Viele Grüße
Jürgen
Lieber Jürgen
Deine Idee ist hervorragend! Und für unsere Gegenwart ist ein solcher nichtkommerzieller „Züchterring“ geradezu überfällig.
Ich bin dabei!
Allerdings nicht mit Tomaten, sondern mit Kartoffeln aus Eigenzüchtung.
Wenn es also hier Gärtner/innen gibt mit Interesse, kann meine Mailadresse gerne weiter gegeben werden.
Und noch das: mein Züchtungsgarten befindet sich am Bodensee.
Einen herzlichen Gruss
Gerhard
Lieber Gerhard!
Das freut mich, dass Dir meine Idee gefällt und dass Du gleich einen eigenen Züchtungsring starten willst!
Gibst Du auch Kartoffelsamen weiter oder Knollen Deiner „Zuchtkartoffeln“?
Beste Grüße an den Bodensee!
J:)rgen
Hi Jürgen
Ja, Im kommenden Frühjahr kann ich gerne Material weitergeben, Samen und Knollen.
(für Leute aus der Nähe evtl. auch Jungpflanzen aus Samen)
Jetzt liegt alles erst mal im Kühlhaus, ca 70 (hauptsächlich) alte Landsorten und ca 60 Sorten aus Spontankreuzungen. Allerdings habe ich nach dem verregneten Jahr 2021 und einem Umzug auf neues Gartengelände zwar viele Sorten und Sortenanwärter, von allen aber nur wenige Exemplare. Dafür jetzt aber erheblich mehr Anbaufläche. Und ich hoffe sehr, dass die Ernte 2022 wieder mengenmässig grösser wird.
Herzlichen Gruss
Gerhard
Lieber Gerhard,
da melde ich mich doch sofort als Interessent an :). Bei mir haben im letzten Jahr Schnecken und Mäuse ganze Arbeit geleistet und alles an Tomaten weggeputzt, was im Angebot war :(. Deshalb muss ich diese Jahr von ganz von vorn beginnen. Leider ist das Angebot an Pflanzkartoffeln für Sortenliebhaber ein Trauerspiel. Jürgen kann hier gerne meine Kontaktdaten vermitteln.
Liebe Grüße
Chrissi
Moin Jürgen,
ich finde deine Idee sehr gut und logisch und das mit den Tomaten tut mir leid, rechtfertigt allerdings nicht, mir keine Einladung zum Fest gegeben zu haben.
Lieber Jacobus,
entschuldige bitte vielmals, dass nicht einmal Du eine Extra-Einladung bekommen hast! Eingeladen bist Du ja jederzeit, das weißt Du; aber hiermit lade ich Dich für jedes Jahr zum letzten Samstag im August in meinen Garten ein, so lange ich dort mein Unwesen treibe! Und wenn Du möchtest, bekommst Du auch jedes Jahr noch eine Extra-Einladung; denn ich weiß, Du kommst nicht (nur) wegen der Tomaten…
Liebe Grüße
J:)