Der Same ohne Eigenschaften
oder: Warum man Sämlinge ziehen und Pflanzen kreuzen sollte.
Die eine oder der andere wird sich beim Titel dieses Beitrags an Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ erinnert fühlen. Und das ist korrekt; ich habe ihn an jenen Romantitel angelehnt, um maximale Aufmerksamkeit für meine neue Mission zu erregen (ja, ich will aus meiner bisherigen Passion eine Mission machen!): ich möchte möglichst viele Menschen animieren, Samen auszusäen, aus denen sich Pflanzen ohne bekannte Eigenschaften entwickeln; deshalb müsste der Titel eigentlich genau genommen „Der Same ohne bekannte Eigenschaften“ lauten (aber das klingt nicht annähernd so interessant).
Für alle Leser*innen, die sich möglicherweise dazu entschließen, Pflanzen mit unbekannten Eigenschaften anzuziehen, bevor sie den Beitrag bis zum Schluss gelesen haben, sei hier vorweggeschickt: Pflanzen mit unbekannten Eigenschaften bringen kein vorhersehbares Ergebnis, sie liefern ausschließlich Überraschungen, manchmal erfreuliche, manchmal aber auch „unschöne“, meistens aber solche, die zumindest zufrieden stellen, was das Ernteergebnis anbelangt.
Bevor ich zum Schluss komme, will ich aber erst einmal ein paar (weitere) Unklarheiten beseitigen, die möglicherweise bis hierher schon aufgetreten sind; dazu versuche ich Antworten auf die Fragen zu geben: „Was verstehe ich unter Pflanzen mit unbekannten Eigenschaften?“ und „Warum will ich jedermann/-frau ermuntern, derartige Pflanzen aufzuziehen?“.
Den Antworten schließe ich Kurzberichte über meine eigenen praktischen Erfahrungen mit verschiedenen Nutzpflanzenarten an, die ich aus Samen mit unbekannten Erb-Eigenschaften gezogen habe.
Was sind Pflanzen ohne bekannte Eigenschaften?
Normalerweise zieht ein*e Gärtner*in Pflanzen mit bekannten, genau definierten Eigenschaften auf, die genau das halten (sollen), was auf den Samentütchen versprochen wird. Wenn dem nicht so ist, verursacht das maximalen Ärger über die verlorene Liebesmüh‘.
Warum will ich nun das Gegenteil propagieren?
Einschränkend bzw. erklärend sei zweierlei vorweggeschickt:
- Ich will selbstverständlich nicht dazu aufrufen, Saatgut blindlings zu benutzen. Wenn jemand z.B. Zwiebeln anbauen will, soll er auch Samen von Zwiebeln verwenden; so viel soll von den Eigenschaften der zukünftigen Gewächse schon bekannt sein.
Ob im Spätsommer aber rote, gelbe oder weiße Zwiebeln aus der Erde gezogen werden, längliche, birnenförmige, runde oder platte oder merkwürdig unförmige oder eine bunte Mischung aus Farben und Formen, das soll ungewiss sein. - Diese bunte Mischung soll nicht dadurch entstehen, indem Samen von möglichst vielen Sorten gemischt und dann ausgesät werden.
Die Mischung der Sorten soll vielmehr bei ihrer Vermehrung stattfinden; ihre Gene, ihre Eigenschaften sollen gemischt werden, indem sich verschiedene Sorten gegenseitig befruchten – nun ja, das machen natürlich in der Regel Insekten für uns.
Wir können (oder müssen das teilweise) aber auch selbst tun, indem wir gezielt Pollen – sie enthalten die „männlichen“ Eigenschaften (kodiert in den Genen) – der einen Sorte auf die Narben von anderen Sorten bringen – die Narben nehmen den Pollen auf und „leiten“ sie zu den Eizellen mit den „weiblichen“ Eigenschaften, will ich mal grob verkürzt hinzufügen.
Durch eine solche gegenseitige Befruchtung (Kreuzung) verschiedener Sorten entstehen „gemischterbige“ (heterozygote) Pflanzen – und da die Vermischung der Eigenschaften völlig zufällig geschieht und auch mit Fehlern (z. B. Mutationen) gerechnet werden muss, weiß man nicht, welche Eigenschaften eine Pflanze haben wird, die aus einer solchen Vermischung entsteht.
Wenn man zwei reinerbige (homozygote) Sorten miteinander kreuzt, ist die erste Kindgeneration äußerlich sehr einheitlich. Das macht man sich bei der sogenannten Hybrid-Zucht zunutze, bei der F1-Saatgut entsteht. Die nächste Generation, F2 genannt, ist dann aber auf jeden Fall auch äußerlich bunt gemischt und zu großen Teilen mit unbekannten Eigenschaften ausgestattet; deshalb könnte man auch aus Hybrid(F1)-Saatgut letztlich Pflanzen mit unbekannten Eigenschaften gewinnen.
Aber ich würde als Samen für Kreuzungszwecke besser solche von „alten“ Sorten empfehlen, da diese weniger „Hochleistungseigenschaften“ (s. u.) besitzen und auch weniger Eigenschaften von „wilden“ Verwandten, deren Resistenzeigenschaften heutzutage oft eingekreuzt/gen-technisch eingesetzt werden.
Wenn eine solche Vermischung wiederholt stattfindet, d. h., über mehrere Generationen und an vielen Stellen auf der Welt, dann kann innerhalb der Nutzpflanzenarten eine ungeheure genetische Vielfalt, eine gigantische Anzahl von Pflanzen mit unterschiedlichsten, unbekannten Eigenschaften entstehen.
Nun muss man nicht alle Nutzpflanzen erst kreuzen, damit sie heterozygot (gemischterbig) werden; fast alle Nutzpflanzen, die vegetativ, d. h., durch Teile der Pflanze (Knollen, Brutzwiebeln, Reiser, Stecklinge, Ableger, Ausläufer, Teilung des Wurzelstocks etc.) vermehrt werden, wie z. B. Kartoffeln, Erdbeeren, nahezu alle Obstbäume und -büsche, sind (fast) immer gemischterbig.
Wenn man Samen dieser Pflanzen aussät, erhält man immer Nachkommen mit unbekannten Eigenschaften, d. h., die Nachkommen haben äußerst selten die gleichen Eigenschaften wie die Pflanzen, von denen man die Samen genommen hat.
Warum ich will, dass Nutzpflanzen mit unbekannten Eigenschaften aufgezogen werden
Nun muss ich natürlich erklären, was ich mit einer solchen Aktion bezwecke, warum ich Euch ermuntern will, Samen auszusäen, bei denen Ihr nicht wisst, welches Ernteergebnis Ihr damit erzielt?
Die Geschichte von Acker- und Gartenbau sowie Viehzucht beruht ja auf dem gegenteiligen Prinzip: Es wurde/wird versucht, Pflanzen und Tiere möglichst reinerbig (homozygot) zu machen, damit man sich auf die (guten) Eigenschaften ihrer Nachkommen verlassen konnte, damit man genau wusste, welche Ergebnisse man zumindest erwarten konnte (auf Wind und Wetter, die – neben anderen Bedingungen – beim Anbau ebenfalls eine Rolle spielen, hat man je bekanntlich wenig Einfluss).
Dieses Prinzip möchte ich auf keinen Fall infrage stellen: Der Anbau von Pflanzen mit bekannten Eigenschaften wird und soll immer an erster Stelle stehen!
Es geht einzig und allein darum, die genetische Vielfalt/Variabilität unserer Nutzpflanzen (wieder) maximal zu erhöhen.
Die genetischen Grundlagen der heutigen Nutzpflanzen sind im Verlauf der sich entwickelnden, industrialisierten Landwirtschaft auf ganz bestimmte, eng umrissene Eigenschaften zugeschnitten worden (bei den heutigen „Zuchtmethoden“ im wahrsten Sinne des Wortes); ihr Erbgut ist auf diese wenigen Eigenschaften eingeengt worden.
Eine heutige Kartoffelsorte z. B. muss unter den gegenwärtigen Anbaubedingungen gut gedeihen, vor allem einen hohen Ertrag bringen, dazu widerstandsfähig gegen Krankheiten sein, sich leicht ernten, schälen und lange lagern lassen, darüber hinaus noch gut aussehen – heute zumeist außen ockerfarben und innen gelb – bestimmte Koch- bzw. Verarbeitungseigenschaften besitzen und ganz zum Schluss auch noch schmecken; die heute angebauten Kartoffelsorten sind deshalb extrem einheitlich.
Dass „Hochleistungssorten“ die genetische Basis einer Nutzpflanzenart dramatisch einengen, haben Wissenschaftler*innen und Zuchtbetriebe schon vor über 100 Jahren erkannt. Aus diesem Grunde wurden „alte“ Sorten und wilde Verwandte der Arten gesammelt, um deren „genetisches Material“ in (heute so genannten) „Genbanken“ zu erhalten; denn Züchter*innen können nur vorhandene Gene (Eigenschaften) für ihre Zuchtziele nutzen, sie können (noch) keine Gene für bestimmte Eigenschaften vollkommen neu erschaffen/herstellen (auch wenn das mit mutationsauslösenden Mitteln versucht wird, aber das Ergebnis ist hierbei nicht vorhersehbar, es erhöht nur die Wahrscheinlichkeit eines „Fehlers“, wie er auch unter „normalen“ Umständen immer wieder vorkommt).
Aber auch die genetische Variabilität, die in diesen „Genbanken“ erhalten wird, ist ziemlich gering. Eine Genbank erhält zwar in günstigen Fällen tausende von Sorten mit jeweils einigen Individuen (oder gar nur einigen einzelnen Zellen); das wären im schlechtesten Fall so viele genetische Varianten, wie Sorten erhalten werden (bei reinerbigen, homozygoten Sorten – hauptsächlich auf Selbstbefruchter zutreffend), und im besten Fall eine darüber hinaus gehende Zahl, wenn die einzelnen Exemplare einer Sorte jeweils leicht unterschiedliches Erbgut besitzen (heterozygot sind, was zumeist bei Fremdbefruchtern der Fall ist).
Mal abgesehen davon, dass es ein kolossaler Irrglaube ist, man könne etwas Lebendiges wie (totes) Material behandeln und entsprechend „erhalten“ (ich habe mich damit in meinem Beitrag „Heilige Vielfaltigkeit“ ausführlich auseinandergesetzt), so sind doch die Gene dieser Sorten in den Genbanken (im „Hochsicherheitsbunker“ auf Spitzbergen) keiner „echten“ Selektion, d. h., einer Selektion durch die real existierenden Verhältnisse ausgesetzt; die dort erhaltenen Gene werden im Gegenteil mit der Zeit an die (mehr oder minder künstlichen) Erhaltungsbedingungen angepasst – und sind somit im „Ernstfall“ (z. B. bei klimatischen Änderungen) unter natürlichen Bedingungen wenig wert.
Die Gen-Techniker mögen zwar glauben, sie könnten aus diesem „Gen-Material“ hilfreiche Gene extrahieren oder in naher Zukunft auch selbst ganz neue Gene kreieren, die weitere Ertragssteigerungen und Krankheitsresistenzen befördern, und diese unter erklecklichen Kosten in Pflanzen einbauen und damit neue Nutzpflanzensorten schaffen; aber selbst Klein-Hänschen kann sich an fünf Fingern abzählen, dass sie gegen den milliardenfachen Zufall, mit dem ihre natürlichen Gegenspieler, die „Unkräuter“, Pilze, Bakterien und Viren „arbeiten“, niemals eine Chance haben werden: Glyphosat und das „Super-Unkraut“ lassen grüßen.
Nein, dem milliardenfachen Zufall der freien genetischen Kombination (und Mutation) unserer pflanzlichen, bakteriellen, pilzlichen und virösen „Mitesser“ können wir nur eine möglichst große genetische Variabilität unserer Nutzpflanzen entgegensetzen: Dann haben wir eine Chance, immer wieder widerstandsfähige Individuen unter ihnen zu finden, deren Gene wir dann (auch) gezielt nutzen können.
Ein zusätzliches Argument möchte ich schlussendlich noch anführen, wenn ich zum Anbau von Nutzpflanzen mit unbekannten Eigenschaften und der damit verbundenen Ausweitung der genetischen Vielfalt aufrufe: z. B. könnten unter den vielen neuen Kartoffelpflanzen, die bei der Vermehrung durch Samen entstehen, einige sein, die mancheinem/mancheiner besser gefällt oder schmeckt als die in den Geschäften angebotenen („Gut“ und „Schlecht“ sind immer subjektive Einschätzungen oder Bewertungen im Hinblick auf bestimmte Ziele). Und der- oder diejenige wäre dann glücklich, wird diese Kartoffelpflanze evtl. weiter vermehren und auf sie achtgeben, sie womöglich weitergeben – und damit noch mehr Menschen glücklich machen.
Drei Punkte sprechen also für den Anbau von Pflanzen mit unbekannten Eigenschaften:
- die große genetische Variabilität, die dadurch entsteht
- ihre praktische Prüfung (Auslese) durch die realen Umweltbedingungen
- die Freude, die bei Menschen ausgelöst wird, die etwas „Besseres/Besonderes“ bekommen
Ich weiß, dass mein Aufruf nur sehr wenige Menschen erreichen wird, dass selbst die Anzahl der Gärtner*innen sehr stark begrenzt ist, die von meinem Aufruf überhaupt erreicht werden könnten (wie viele Gärtner*innen oder auch allgemeiner: „Nutzpflanzenbauer*innen“ gibt es denn überhaupt noch und wie viele von ihnen würden Anbauflächen für Pflanzen mit unbekannten Eigenschaften opfern?); deshalb sollte die Saat von Pflanzen mit unbekannten Eigenschaften letztlich eine öffentliche, gesamtgesellschaftliche Angelegenheit sein, von öffentlichen Institutionen (Grünflächenämtern u. ä.) ausgeführt und von höchsten Stellen gefördert.
Auch die privat-wirtschaftlich organisierten Saatgut-Konzerne und die wissenschaftlichen Forschungsinstitute sollten ein starkes Interesse an der Verbreitung meiner Initiative haben (und sie ideell und finanziell unterstützen), damit sie in dem großen Reservoir an entstehenden genetischen Kombinationen die Gene finden können, die sie (einst) brauchen; aber da kein direkter Gewinn aus solcher Unterstützung zu erwarten ist, sehe ich da eher schwarz: Privatwirtschaft nutzt nur die öffentlichen Güter, trägt aber wenig zu ihrer Erhaltung bei – bestenfalls auf Spendenbasis.
Praktische Erfahrungen mit Obst- und Gemüsepflanzen mit unbekannten Eigenschaften
Nach dieser Abschweifung in die graue Theorie lande ich wieder in meinem bunten Garten und weise mit dem Finger auf die Pflanzen mit unbekannten Eigenschaften, die ich bisher aus Samen gezogen habe – oder die durch „Gottes Hand“ zwischen meinen erworbenen Pflanzen aus Samenkörnern geschlüpft sind und dort das Licht der Welt genießen.
Obstbäume
Gleich zu Beginn meiner „Gartennahme“ habe ich einige Aprikosen-, Pflaumen- und Pfirsichkerne dem Boden anvertraut, die ich von „leckeren“ (sie haben mir geschmeckt), gekauften Früchten übrig behalten hatte, später noch weitere Pflaumenkerne.
Vier Aprikosenbäumchen, mehrere Pflaumen- und ein Pfirsichbaum sind daraus entsprungen und breiten sich mittlerweile im Garten aus, während ich auf die ersten Früchte warte; anhand ihrer Qualität werde ich dann ein Urteil über die Bäumchen sprechen – und ihnen womöglich das Lebenslicht wieder ausblasen (auf öffentlichem Grünland dürften sich die Sämlinge länger mit Umweltbedingungen und Verbraucheransprüchen auseinandersetzen; in m/einem Privatgarten werden sie höchstens ein paar Jahre getestet, um dann evtl. neuen Unbekannten zu weichen).
Inzwischen haben sich noch zwei Pfirsichbäumchen dazugesellt, die den Samen eines Pfirsichbaumes entsprungen sind, der ehedem auf meinem Grundstück heimisch war, dann aber überraschend verendete; zu seinem Gedenken – und in der Hoffnung auf eine Wiedergeburt seiner köstlichen Früchte – habe ich die beiden emporkommen lassen.
Genauso wird es einer Handvoll Apfel-, Birnen- und Kirschbäumen ergehen, die ich aus Samen gezogen habe: Fünf Jahre dürfen/müssen wir zusammen warten, bis mein (grüner) Daumen nach oben oder unten zeigen und damit über ihr Schicksal entscheiden kann; denn solange brauchen diese Bäume mindestens, bis sie zum ersten Mahle Früchte tragen.
Ein Kirschbaum, der am Gartenhintereingang aus einem unbekannten Kern entwachsen durfte, sollte bald soweit sein.
Ich weiß, fünf Jahre sind eine lange Zeit – und der Erfolg völlig ungewiss; aber die Spannung ist gewaltig: Ich weiß gar nicht, ob ich warten kann, bis die erste Frucht wirklich ausgereift ist.
Bei den Aprikosenbäumen hoffe ich schon im kommenden Frühjahr (bald!) auf Blüten und Früchte.
Weinreben
Auch vor der Aussaat von Weintraubensamen bin ich nicht zurückgeschreckt: Ein Sämling wächst nun schon den dritten Sommer zusammen mit den 14 Exemplaren meiner vier „echten“ Rebsorten – und sollte in diesem Jahr schon ein paar Trauben reifen lassen, sofern er denn den Mehltau-Befall der letzten zwei Jahre sowie die Unbilden der Witterung überlebt hat.
Im letzten Jahr habe ich hinter dem kleinen Gewächshaus ein kleines Beet mit Traubensamen angelegt, die ich im Herbst zuvor in der Gegend von Heilbronn und Stuttgart geerntet hatte. Sie keimten unerwartet schnell und zahlreich, gediehen prächtig, so dass ich schon leichte Bauchschmerzen bekam bei der Frage, wo ich diesen Sämlingen bis zur ersten Fruchtreife Platz gewähren könnte?
Von der Antwort „erlöste“ mich aber ihr früher (heftiger) Befall mit Mehltau, der mich darüber im Unklaren ließ, ob den Pflänzchen überhaupt eine Zukunft vergönnt ist.
Insgeheim hatte ich darauf gehofft, so erfolgreich zu sein, wie der lettische Traubenzüchter Pauls Sukatnieks, dass ich nämlich aus meinen Sämlingen den einen oder anderen auslesen könnte, der an meine (nördlichen) Umweltbedingungen angepasst ist.
Doch ich muss wohl auf die Vorarbeit der heimischen Rebzuchtanstalten zurückgreifen, die schon krankheits- und kälte-resistente Sorten gefunden haben; ich glaube, diese gedeihen in größerer Zahl in den Gärten der umliegenden Kleingartenkolonien.
Mit einem halben Auge sah ich im letzten Herbst zwei, drei kräftige, grüne Sämlinge in meinem Obstgarten – wohl von Vögeln oder sonstigen Traubenliebhabern dort ausgesät. Ich werde ein aussichtsreiches Rebsorten-Zuchtprogramm vor allem auf diese Sämlinge aufbauen müssen, sofern es denn überhaupt weintrauben-liefernde Reben sind.
Ich hoffe nur, ich finde sie wieder.
Johannisbeeren
Auch bei Johannisbeersämlingen weiß man nicht, wie die Früchte, die sie tragen werden, schmecken werden; aber die Wartezeit ist erheblich kürzer: Sie tragen zumeist schon nach drei Jahren.
Von den zahlreichen Johannisbeersträuchern, die am Orte eines verstorbenen Busches emporwuchsen, habe ich schon in meinem Beitrag „Schwarz, weiß, rot“ berichtet; und auch von den Sämlingen „polnischer“ Schwarzer Johannisbeeren.
Zusammengefasst sei gesagt: es war nichts auffallend Gutes dabei, ein paar Schwarze musste ich gar in die Rubrik „Grenzwertig“ einteilen (obwohl ich im zweiten Ertragsjahr bemerkt habe, dass die Früchte besser werden, wenn ich sie länger am Strauch hängen lasse). Zwei, drei Büsche waren zumindest guter Durchschnitt.
Was in der Abteilung „Johannisbeeren“ noch fehlt: Im Frühjahr 2016 entdeckte ich in meinem „Obstgarten“ zwischen reichlich „Unkraut“ unzählige Keimlinge von unbekannten Pflanzen. Weil ich vermutete, dass es Johannisbeeren sein könnten, ließ ich sie zusammen mit dem „Unkraut“ sprießen. Ich dachte, dass ich sie in ausgewachsenerem Zustand besser erkennen und vom „Unkraut“ unterscheiden und jenes dann besser von ihnen trennen könne. Letzteres geschah zwar erst im Herbst, aber bis dahin hatten sich die Johannisbeersämlinge – die es tatsächlich waren – prächtig entwickelt und eine erste Reaktion auf die Umweltverhältnisse jenes Jahres gezeigt: Die meisten hatten ihre Blätter frühzeitig verloren, aber einige grünten noch so grün wie der Mai.
Nur diese erwählte ich vorläufig für weitere Beobachtungen – denn es stehen nicht nur grüne (gesunde) Blätter auf meiner Anforderungsliste für Johannisbeeren – sie müssen mich als Kleingärtner vor allem geschmacklich überzeugen; aber wenn beides zusammenkäme, wäre ich natürlich doppelt glücklich.
Stachelbeeren
Mittlerweile kann ich auch über erste Ergebnisse meiner Stachelbeersammlung berichten.
Ich hatte sämtliche Stachelbeersämlinge, die irgendwo im Garten auftauchten, an einem Ort versammelt (und das werde ich auch weiterhin tun). 2016 trugen einige von ihnen schon erste Früchte, die in der nachfolgenden Bildergalerie zu betrachten sind.
Die Beeren eines Busches schmeckten vielversprechend; die der anderen konnte ich immerhin noch für ein Glas Stachelbeermarmelade verwenden.
Ihre Blätter wurden im letzten Jahr nicht übermäßig durch Krankheitserreger geprüft, oder der Witterungsverlauf hat erstere begünstigt.
Die Spannung bleibt auch hier hoch.
Erdbeeren
Noch schneller ist der Erfolg bei den Sämlingen von Erdbeeren mit Händen zu greifen: sie können schon im zweiten Jahr erste Früchte tragen.
Mit Erdbeeren habe ich mein „Sämlingsprojekt“ auch begonnen. Schon in den ersten Jahren meines Gartenlebens fand ich immer wieder kleine Erdbeerpflänzchen zwischen meinen sonstigen Kulturen; sie wuchsen dort wie Unkraut. Da ich mein „Unkraut“ nicht hacke, sondern nur jäte, fielen sie mir auf; einige pikierte ich an besondere Stellen, andere ließ ich an ihrem „Geburtsort“ auswachsen. Ich würde ihre Gesamtzahl auf 30 schätzen.
Drei Pflanzen haben mich mit ihren Früchte bisher bei Geschmacksproben einigermaßen überzeugt; diese habe ich als neue Sorten in mein persönliches Sortenregister eingetragen: „Ulrike von Solf“, „Ninotschka“ und „Camarilla“.
Mittlerweile keimen in meiner ausgedehnten Erdbeeranlage von fast 30 Sorten dermaßen viele Samen von Erdbeeren, die ich als Wochenendgärtner nicht ernten konnte, dass ich mit ihrer Pflege kaum hinterherkomme: Muss ich sie doch an einen getrennten Platz pflanzen (und Platz ist bei mir eine echte Mangelerscheinung), sie wässern, mulchen und düngen, ihre Ausläufer im Zaum halten und sie zum Schluss alle probieren.
Aber was tut man nicht alles zum Wohle der Menschheit!
Kartoffeln
Mit den Kartoffeln ergeht es mir mittlerweile nicht anders. Neben den Sämlingen, die ich mühsam im Frühjahr in unserem Wohnzimmer anziehe, keimten doch tatsächlich im letzten Jahr (2016) zahlreiche Kartoffelsämlinge an Orten, an denen in den Vorjahren Kartoffeln gewachsen waren (und es waren keine Emporkömmlinge aus vergessenen Knollen, es waren Sämlinge, ganz sicher, das könnt Ihr mir glauben!).
Im Widerstreit der Interessen – auf der einen Seite will ich das ernten, was ich aussäe und anpflanze, auf der anderen Seite platze ich vor Neugier, wie die Knollen der Sämlinge wohl aussehen und schmecken könnten – obsiegt zumeist die Neugier.
So gesellen sich dann im Herbst zu den Pflanzkartoffeln der Sorten, die ich bisher aus der Genbank, von Sammler*innen oder Spezialhändlern bezogen habe, die Knollen von (äußerlich) gefälligen „Saatkartoffeln“. – Und im nächsten Frühjahr (wenn die Pflanzkartoffeln den Winter überstanden haben) laufe ich dann verzweifelt durch den Garten auf der Suche nach Fleckchen, an denen ich noch Kartoffeln in die Erde stecken kann.
Dabei darf ich den Überblick nicht verlieren: ich will alle Sorten getrennt erfassen, beschreiben, vermessen und probieren; dazu muss ich sie mit Namensschildern versehen, die nicht verwischen oder verschwinden dürfen, ihnen möglichst gleiche Wachstumsbedingungen geben und sie zum Schluss getrennt lagern.
Das ist bei mittlerweile über 70 Sorten kein leichtes Unterfangen.
Ihr seht, ich opfere mich echt für Euch auf!
Melonen
Melonen habe ich hauptsächlich aus den Samen gekaufter Früchte gezogen – und das waren bislang fünf verschiedene Sorten (die kroatische Wassermelone dieses Mal mitgezählt; wenn ich von Melonen spreche, meine ich in der Regel aber Honig- bzw. Zuckermelonen); merkwürdigerweise ähnelten die meisten Melonen stark ihren Eltern (und haben ausgezeichnet geschmeckt); ich glaube, nur zwei Sorten aus Costa Rica waren Hybrid-Sorten, sogenannte F1, die etwas anders aussahen als die Eltern.
Doch dieser Einkauf war auch der Beginn meiner „Melonenzucht“ (über die gibt es demnächst einen eigenen Beitrag); eine „Gelbe Kanarische“ Zuckermelone hat sich (höchstwahrscheinlich) in diese „Sucrin de Tours“ verliebt und sich mit ihr eingelassen (obwohl ich nicht ausschließen kann, dass ein Befruchtungsversuch, den ich mit Hilfe eines Bindfadenendes durchgeführt habe, für diese Vereinigung ursächlich war).
In den zwei folgenden Jahren bekam ich die Quittung, als ich mir Melonen aus den Samen der „Gelben Kanarischen“ ziehen wollte: Eine bunte, leckere Melonenmischung – so, wie ich es mir für jeden wünsche, der sich auf die Nachzucht von Nutzpflanzen aus Samen mit ungeprüfter Elternschaft einlässt.
Das folgende Bild zeigt eine der bisher entstandenen Varianten (den Rest gibt’s in dem Beitrag „Liebling, ich habe die Melonen gekreuzt„); obwohl sich über Geschmack immer streiten lässt, behaupte ich, dass alle „Sorten“ trefflich gemundet haben (gut, eine „Sorte“ hatte einen leichten Beigeschmack nach der „unguten“ Sucrin de Tours, war aber zumindest genießbar).
Kürbisse und Zukkini (Zucchini auf Italienisch)
Kürbisse habe ich gleich zu Beginn meines Gartenbaus aus Samen gezogen, die ich gekauften Kürbissen entnommen hatte. Bisher mit bestem Erfolg. Die Panzerbeeren (so werden die Früchte der Kürbisse von Botaniker*innen genannt) fallen nicht einheitlich aus; so hatte 2016 eine Pflanze eher längliche Beeren zu bieten.
Im letzten Jahr habe ich drei Sorten zusammen gezogen, den mehrjährig nachgebauten „Hokkaido“, die Sorte „Butternut“ (Samen aus einer gekauften Frucht) sowie den „Muscat de Provence“ (aus regulär im Baumarkt gekauftem Saatgut), in der Hoffnung, dass die drei sich gegenseitig befruchten – und mir ganz ausgefallene, neue Varianten gebären.
Ich werde im kommenden Jahr mehr wissen (Ja, in jenem Jahr habe ich erfahren, dass sich sich die verschiedenen Kürbisse garnicht vermischen können, weil sie verschiedenen Arten angehören).
Auch von meinen Zukkini habe ich jedes Jahr Samen gewonnen. Eine Frucht wird immer zu groß, so dass ich sie nur noch als „Samenspender“ und „Winterkürbis“ verwenden kann.
Da ich bisher immer mindestens zwei Sorten zusammen angebaut habe, kann es zu Mischungen gekommen sein; die einzige Testsaat zeigte jedoch keine Auffälligkeiten.
Ich bin noch im Stadium des Sammelns von Sorten; wenn ich dann eines Tages 10 verschiedene besitze, werde ich sie alle gemeinsam wachsen, blühen und fruchten lassen – und im nächsten Jahr prüfen, ob es zu einer „Rassenmischung“ gekommen ist.
Paprika
Meine Paprikapflanzen habe ich bisher fast alle aus Samen gezogen, die ich gekauften Früchten entnommen hatte. Rote Kasten- und Spitzpaprika, Jalapeño und Peperoni. Irgendwelche Vermischungen hat es noch nicht gegeben, zumindest keine, die mir aufgefallen wären; aber mein Anbau steckt ja hier noch in den Kinderschuhen.
Zwiebeln
Im letzten Jahr habe ich das erste Mal (gezielt) versucht, Samen von Zwiebeln zu gewinnen. Ich hatte eine Handvoll kleinerer Zwiebeln der Sorten Rossa di Tropea, Pâle de Niort, Zittauer Gelbe und Dresdner Pattrunde überwintert und dann gemeinsam blühen lassen. In diesem Jahr (2017) werde ich sehen, was dabei herausgekommen ist.
Da Zwiebeln Fremdbefruchter sind (d. h., immer von einer anderen Pflanze der gleichen Art befruchtet werden müssen – der Pollen muss von einer anderen Pflanze kommen – im Gegensatz zu Selbstbefruchtern, die vom Pollen derselben Pflanze, ja, derselben Blüte befruchtet werden können), ist die Reinheit ihres Erbguts (ihre Homozygotie) meistens nicht sehr ausgeprägt, d. h., sie sind zumeist nicht besonders einheitlich; aber durch eine Mischung mit anderen Sorten wird diese Variabilität noch erhöht – hoffe ich.
In den kommenden Jahren versuche ich meine Zwiebeln deshalb noch bunter zu mischen, also noch mehr Sorten gemeinsam blühen und Samen bilden zu lassen. Die Grundlage dazu habe ich schon gelegt, indem ich mir Samen von 11 weiteren Sorten zugelegt habe.
Tomaten
Um gleich an das Vorangegangene anzuknüpfen und ein wenig Wissen über Pflanzenzucht einzuflechten: Tomaten sind (strenge) Selbstbefruchter; in einer Tomatenblüte gelangt der Pollen dieser Blüte in der Regel von selbst auf die Narbe derselben Blüte und kann sie erfolgreich befruchten (was am Bau der Blüte liegt).
Wenn eine Tomatensorte mit einer anderen Sorte gekreuzt wird (zwangsweise vom Menschen oder zufällig durch ein Insekt), enstehen nach dem Gesetz der Aufspaltung (2. Gesetz von Gregor MENDEL) nach wenigen Generationen wieder reinerbige (homozygote) Pflanzen, neue reinerbige Sorten.
Wenn man also den Samen aus Tomaten gewinnt, von denen man sicher weiß, dass es keine Kreuzungen sind (in den Geschäften werden heutzutage fast ausschließlich einheitlich aussehende Hybrid-Tomaten verkauft, als F1 bezeichnet, deren Samen unberechenbar aufspalten, d. h., die unbekannte Eigenschaften besitzen), dann kann man sicher sein, dass die Tomaten im folgenden Jahr sich nicht von denen unterscheiden, aus denen man die Samen entnommen hat.
Wenn man selbst Tomaten anbaut und Samen mit bekannten Eigenschaften haben möchte, sollte man zur Samengewinnung die ersten reifen Früchte verwenden; denn zu Beginn der Tomatenblüte besuchen Insekten zumeist lieber andere Blüten (falls sie dann überhaupt schon zahlreich unterwegs sind), wodurch die Gefahr einer Fremdbefruchtung – und der damit einhergehenden Vermischung – nahezu ausgeschlossen ist.
Da sich Tomatensorten also nicht besonders leicht mischen (lassen) – und es genügend unterschiedliche Sorten als Samen zu kaufen gibt – habe ich mich bei dieser Nutzpflanzenart bisher nicht sonderlich um eine Kreuzung bemüht (von einem früheren, mehr oder weniger erfolglosen Versuch abgesehen, eine geschmacklose Eier- mit einer schmackhaften Cocktailtomate zu kreuzen); trotzdem habe ich fast jedes Jahr ein bis zwei Pflänzchen aufgezogen, die aus unbekannten Samen irgendwo selbstständig gekeimt waren.
Im letzten Jahr waren zum ersten mal zwei unbekannte „Typen“ dabei (ansonsten entstammen sie den kompostierten Früchten von Sorten, die ich schon mal angebaut habe, und sehen auch entsprechend aus).
Warnung: wenn man Pflanzen aus Samen mit unbekannten Eigenschaften zieht, ist das Ergebnis nicht vorhersehbar
Wer vor allen Dingen hohe Erträge erzielen möchte oder an einer bestimmten Eigenschaft interessiert ist, verwendet am besten Hybrid(F1)-Saatgut von konventionellen Saatgut-Erzeugern.
Wer Sämlinge mit unbekannten Eigenschaften aufzieht, betreibt ein Glücksspiel: Einen Hauptgewinn, eine Pflanze, die besser ist als alle schon existierenden, wird man genau so selten finden wie einen Sechser im Lotto.
Man muss Spaß daran haben, Neues zu entdecken, Eigenes zu schaffen, örtlich angepasste Sorten zu züchten oder einfach nur die genetische Basis unserer Kulturpflanzen zu verbreitern, oder einfach nur Spaß an Überraschungen haben; nur dann streut man, wo man nur kann, Samen mit unbekannten Eigenschaften aus – und freut sich über das Ergebnis!
Olala, das war ein langer, langer Artikel, aber ein interessantes Thema. Ich begnüge mich meistens damit, Saatgut von alten Sorten zu kaufen. Einiges (Tomaten, Salat, Kohl) vermehre ich auch selbst. Aber eher in der Hoffnung, dass die daraus entstehenden Pflanzen die gleichen Eigenschaften haben wie ihre Vorgänger. Im besten Fall noch ein bisschen besser an die regionalen Bedingungen angepasst sind. Wünsche dir weiterhin viel Spaß mit deinem Projekt.
Liebe Grüße
Anja aus dem kleinen Horrorgarten
Hallo Anja, danke für Deine Geduld, den langen Text zu lesen und dann auch noch einen Kommentar zu schreiben. Danke auch für Deine Antwort auf meine „Mirabellen“-Frage auf Deinem Blog.
Kohl zu vermehren, ist ja schon ziemlich anspruchsvoll. Nimmst Du nicht auch Samen von anderen eigenen Pflanzen, die leichter zu vermehren sind, wie z. B. Bohnen, Erbsen, Zukkini und Kürbis?
Und wenn sich Deine Pflanzen ein bisschen besser an das regionale Klima anpassen, hast Du ja schon eine neue genetische Variante geschaffen. Darüber hinaus öffnest Du die Tür für Überraschungen, die durch (von Dir ungewollte aber nicht ausschließbare) Fremdbestäubung und Mutationen passieren.
Eigenes Saatgut zu gewinnen, ist der Schlüssel, um Vielfalt zu erhalten und zu vermehren.
Liebe Grüße in Deinen hübschen Schrebergarten
und weiterhin viel Glück mit Deinen Pflanzen und Tieren!
Jürgen