Die Blaue Kartoffel
oder: Welche blau-schaligen Kartoffelsorten in meinem Garten wachsen.
„Die Blaue Kartoffel“ – das klingt nicht ganz so poetisch wie „Die Blaue Lagune“, „Die Blaue Grotte“, „Die Blaue Blume“ oder „Die Blaue Stunde“; aber so könnte doch ein expressionistisches Gemälde vom Anfang des 20. Jahrhunderts betitelt sein, möglicherweise von Wassily Kandinsky oder Franz Marc gemalt, Mitgliedern der Künstlergruppe „Der Blaue Reiter“. Das würde „Die Blaue Kartoffel“ zu einem begehrenswerten, millionen-teuren Kunstwerk machen, welches in einem Atemzug mit den vorgenannten „Blauen Wundern“ genannt werden würde.
Aber ein solches Gemälde gibt es nicht.
Das Bild, um das es hier geht, heißt schlicht und ergreifend „Die Odenwälder Blaue“ und zeigt einige eher lila, violett oder fast schwarz aussehende Kartoffelknollen und wurde von mir mit einer neuzeitlichen Digitalkamera geknipst; es handelt sich also um ein banales Foto, für das sich kaum jemand interessiert – genauso wenig wie für blaue Kartoffeln allgemein.
Ich muss mich korrigieren: Neulich hat doch jemand für die Fotografie einer Kartoffel – angeblich – eine Million Euro gezahlt; vielleicht sind ja auch blaue Kartoffeln schon total begehrt – nur ich habe davon noch nichts mitbekommen.
Womit ich aber beim Thema dieses Beitrags wäre: Bei den 13 Kartoffelsorten (von meinen diesjährigen 53) mit einer bläulichen, lila, violetten oder schwarz gefärbten Schale, die ich in diesem Jahr angebaut habe; diese will ich hiermit kurz vorstellen und vor allem – Werbung für sie machen.
Am Ende dieses Beitrags findet sich eine Tabelle mit allen Namen sowie den Erntergebnissen.
Die Odenwälder Blaue
Von den blauen war die „Odenwälder Blaue“ die interessanteste für mich, weil ich auf ihren Namen schon in zahlreichen alten Büchern gestoßen war.
Diese Kartoffelsorte wurde im Jahre 1909, zu Anfang des 20. Jahrhunderts also, vom Kartoffelzüchter Georg Friedrich Böhm aus Groß-Bieberau (Odenwald/Hessen) auf den Markt gebracht und war lange Jahre überaus beliebt in deutschen Landen.
Im Norden und Osten waren mehlig-kochende und weiß-fleischige Kartoffeln wie die „Odenwälder Blaue“ viel länger im Anbau als z. B. im Rheinland, von dem die Vorliebe für fest-kochende, gelb-fleischige Kartoffeln ausging.
Mein Gartennachbar H. erzählte mir, dass seine Großeltern in Fehrbellin/Brandenburg bis Mitte der 1970er Jahre noch blau-schalige Kartoffeln für den Eigenbedarf angebaut hätten. Eine „Schwarzblaue aus dem Frankenwald“ wird bis zum heutigen Tag in der namengebenden Gegend angebaut. Bei beiden handelt es sich höchstwahrscheinlich um die „Odenwälder Blaue“.
Die „Odenwälder Blaue“ wollte ich deshalb unbedingt mal kennenlernen.
Der Zufall wollte es, dass die „Kartoffel-Genbank“ die „Odenwälder Blaue“ im letzten Herbst auf ihre Abgabeliste setzte; außerdem hatte sie noch die „Vogtländische Blaue“ sowie ein paar amerikanische Blaue im Angebot.
Und ich hatte das Glück, von jeder gewünschten Sorte drei Knollen zu bekommen.
Schon seit ein paar Jahren sind zwei andere blau-schalige Kartoffelsorten in meinem Garten heimisch: Vitelotte und Blauer Schwede (alias Blue Congo oder Salad Blue); diese besitzen nicht nur eine blaue Schale sondern auch blaues bzw. violettes Fleisch.
Diese beiden reichten mir nicht mehr. Ich wollte mehr Ungewöhnliches, mehr Ausgefallenes, mehr Aussterbendes, mehr Interessantes, mit einem Wort: mehr Vielfalt.
Nachteile blauschaliger Kartoffeln
Nun haben blauschalige Kartoffeln für den Hobby-Anbauer ein paar Nachteile, das sei hier nicht verschwiegen:
- Sie heben sich bei der Ernte optisch oft nur schlecht vom Erdreich ab, in dem sie wachsen, weshalb ein Teil der Knollen leicht unendeckt und damit ungeerntet bleiben kann (Bei Lars aus Weimar ist das am Beispiel der „Schwarzen Ungarin“ ganz gut ersichtlich). Im gewerbsmäßigen Anbau sollte das „Übersehen“ bei der heutzutage üblichen Ernte mit Maschinen aber keine Rolle mehr spielen.
- Dann haben blau-schalige Kartoffelsorten oft auch weißes oder bestenfalls hell-gelbes oder sogar blaues/violettes Fleisch und tiefe Augen, was die Verbraucher*innen in Deutschland nicht sonderlich schätzen; sie wollen ohnehin kaum noch etwas vom Kartoffelschälen, dem dafür nötigen Zeitaufwand und den sonstigen Mühen der Kartoffelzubereitung wissen (die schnelllebige, industrialisierte Gesellschaft ernährt sich überwiegend von Fast-Food).
- Auch der Geschmack der „Blauen“ ist meines Erachtens nicht so unterschiedlich oder herausragend gut (wie manchmal behauptet wird), dass sie wenigstens damit zu besonderen Anlässen punkten könnten. Von der gesundheitsfördernden Wirkung des blauen Farbstoffs, des Anthocyans, der blaufleischigen Sorten bin ich auch nicht sonderlich überzeugt.
Der Pluspunkt der Blau-Fleischigen
Der einzige Punkt, der wenigstens für die blau-fleischigen spricht: Man kann aus ihnen ansehnliche Gerichte zaubern, wie in einem Beitrag des Schweizer Fernsehens (in schönstem Schwiizer Düütsch) gezeigt wird: „Familie Gämperli weiht Ivo Adam in die Geheimnisse der blauen Kartoffel ein“ („Blaue St. Galler ist die Bezeichnung einer neu gezüchteten Kartoffelsorte aus der Schweiz. Sie entstand durch Kreuzung des Blauen Schweden mit der Schweizer Frühkartoffel Prättigau, benannt nach der Talschaft Prättigau im Kanton Graubünden. Züchter Christoph Gämperli arbeitet in Flawil, Kanton St. Gallen, deshalb die Bezeichnung St. Galler.“ Quelle: Wikipedia; die Blaue St. Galler ist seit 2007 in der Schweiz offiziell zum Anbau zugelassen)
Kommt es zu einer Wiedergeburt Blauer Kartoffeln?
Trotz der genannten Nachteile erhoffe ich mir eine Renaissance blauer Kartoffelsorten, nur damit die Eintönigkeit wenigstens auf den Wochenmärkten ein wenig gemildert wird: Für blaue (lila, violette, schwarze) Kartoffeln spricht allein das Besondere, die Abwechselung, das Außergewöhnliche und – dass sie durch Nutzung erhalten bleiben.
Das reicht doch, oder?
Die „Blaue Frankenwälder“, von Robert Bauer 2011 in seiner Masterarbeit ausführlich untersucht [1], wurde 2014 in die „Arche des Geschmacks“ der Slow-Food-Bewegung aufgenommen: ist das schon der Beginn einer Wiedergeburt blauer Kartoffeln?
Ich würde mich freuen, wenn dieser Beitrag ein wenig (Wieder)Geburtshilfe leistet.
Bilder von 13 blauen Kartoffelsorten
Da der Hauptsinn des Menschen ja nun mal das Auge ist, beginne ich meine Überzeugungsarbeit mit Bildern „meiner“ 13 blauen Sorten und schließe dann eine Tabelle mit den Ernteergebnissen des Jahres 2016 an (für die eher wissenschaftlich interessierten Leser*innen und für die, für die der Ertrag von Bedeutung ist); danach ziele ich noch einmal mit Nahaufnahmen von Schale und Fleisch aller blauen Sorten auf den visuellen Cortex Deines Gehirns, liebe*r Leser*in.
Den Abschluss des Beitrags bilden Bilder und Zahlen meiner beiden ertragreichsten, „modernen“ Sorten: Birte und Rosara, damit mensch vergleichen kann, wie groß der Unterschied im Ertrag war.
Von jeder Sorte hatte ich drei Knollen gepflanzt und gepflegt (bis zum Häufeln hatte ich schon über ihre Entwicklung berichtet). Bis Mitte Juli gediehen die Kartoffelpflanzen prächtig; aber dann schlug die Braunfäule (Phytophthora infestans) gnadenlos und blitzartig zu: innerhalb von zwei Wochen war der größte Teil des Krauts dahingerafft.
Es war das erste Mal, dass die Braunfäule in derartiger Heftigkeit wütete: Das kann einmal am Standort gelegen haben; dieser war ziemlich stark von Büschen, Bäumen und Hecken umgeben, die den trocknenden Lüftchen den Zugang versperrten. Morgens ist es nämlich in der Talniederung, in der mein Garten liegt, häufig sehr feucht durch Tau – und wenn dann noch eine Schlechtwetterperiode dazukommt, wie es in diesem Jahr zu Anfang Juli der Fall war, dann kann der böse Pilz sich leicht im üppigen Blattwerk der Kartoffel ausbreiten.
Weil ich mir anschließend Sorgen machte, dass die Braunfäule auch auf die Knollen übergreifen könnte, wenn sie zu lange in der Erde bleiben – irgendwo, meinte ich, dazu mal etwas gelesen zu haben – holte ich die meisten von ihnen am 8. August aus derselben.
Wie groß war der Ertrag der blauen Kartoffeln?
Dabei wertete ich den Ertrag jeder Pflanze einzeln aus (nur, damit man auch mal die Schwankungsbreite innerhalb der Sorten sieht – obwohl drei Pflanzen für eine statistische Absicherung natürlich vollkommen unzureichend sind, aber trotzdem…)
Sorte (Einzelpflanze)1 |
Anzahl Knollen | Gesamtgewicht | ∅ gr / Knolle2 | Schwerste Knolle | |
---|---|---|---|---|---|
1. Bell’s Blue (1.1) (1.2) (1.3) Gesamt / ∅ |
11 11 8 30 |
760 775 510 2045 |
69 70 64 68 |
150 125 100 125 |
|
2. Blauer Schwede (2.1) (2.2) (2.3) Gesamt / ∅ |
22 16 9 47 |
700 1000 550 2250 |
32 63 61 48 |
75 150 125 117 |
|
3. Blue Christie (3.1) (3.2) (3.3) Gesamt / ∅ |
8 10 6 24 |
650 650 825 2125 |
81 65 138 89 |
150 200 250 200 |
|
4. Long Blue (4.1) (4.2) (4.3) Gesamt / ∅ |
13 17 15 45 |
550 625 890 2065 |
42 37 59 46 |
100 80 100 93 |
|
5. Maori (5.1) (5.2) (5.3) Gesamt / ∅ |
9 7 9 25 |
300 250 100 650 |
33 36 11 26 |
100 100 25 75 |
|
6. Mesabi Purple (6.1) (6.2) (6.3) Gesamt / ∅ |
11 15 8 34 |
900 690 550 2140 |
89 46 69 63 |
125 100 100 108 |
|
7. Odenwälder Blaue (7.1) (7.2) (7.3) Gesamt / ∅ |
8 15 13 36 |
200 300 200 700 |
25 20 15 19 |
50 50 30 43 |
|
8. Sämling BS_F1 (wahrscheinlich Nachkomme von Blauer Schwede, 2015) (8.1) (8.2) (8.3) Gesamt / ∅ |
5 15 3 23 |
590 450 150 1190 |
118 30 50 52 |
175 60 50 95 |
|
9. Schwarze Ungarin (9.1) (9.2) (9.3) Gesamt / ∅ |
42 14 18 74 |
2400 1100 650 4150 |
57 79 36 56 |
150 150 100 133 |
|
10. Shetland Black (10.1) (10.2) (10.3) Gesamt / ∅ |
18 15 12 45 |
300 475 400 1175 |
17 32 33 26 |
50 50 50 50 |
|
11. Titicacasee (11.1) (11.2) (11.3) Gesamt / ∅ |
10 6 15 31 |
250 210 300 760 |
25 35 20 25 |
75 75 75 75 |
|
12. Vitelotte (12.1) (12.2) (12.3) Gesamt / ∅ |
5 4 6 15 |
175 100 210 485 |
35 25 35 32 |
75 40 90 68 |
|
13. Vogtländische Blaue (13.1) (13.2) (13.3) Gesamt / ∅ |
39 16 38 93 |
1740 610 1875 4225 |
45 38 49 45 |
150 50 125 108 |
|
1 Die Zahlen in Klammern bezeichnen die drei Einzelpflanzen jeder Sorte 2 Das Durchschnittsgewicht der Einzelknolle habe ich jeweils aus dem Gesamtgewicht geteilt durch die Gesamtzahl der Knollen gebildet (Gewicht / Knollenzahl) |
Insgesamt sind knapp 24 Kilogramm blaue Kartoffeln bei der Ernte angefallen (die meine Liebste, Familie nun mit mir verzehren muss – nun ja, nicht alle: 10 – 12 mittelgroße Knollen habe ich als Pflanzkartoffeln für die nächste Saison abgezweigt: Sie dürfen versuchen, den Winter in Eierkartons und im Gartenhaus zu überstehen).
Mittlerweile spiele ich mit dem Gedanken, mich in den nächsten Jahren auf blaue, lila, violette und schwarze Kartoffeln zu spezialisieren und evtl.sogar eine neue blau-schalige Sorte zu züchten; aber ich fürchte, ich werde mich von keiner einzigen Sorte trennen können – und deshalb lieber meine Anbauflächen ausdehnen (einen Nachbargarten habe ich schon in Pflege genommen).
Bis zu dieser Zeitenwende will ich eine möglichst große Zahl von Kartoffelsorten aller Farben ausprobiert, studiert und dokumentiert haben; denn damit habe ich fast noch mehr Zeit verbracht als mit dem Anbau und der Pflege der Kartoffeln: Mit dem Fotografieren der Pflanzen, Blätter und Blüten, dem Wiegen und Zählen der Knollen.
Der Kartoffel-Atlas, für den ich das alles mache, soll bald mehr zu bieten haben als die paar Seiten (kartoffelsorten.org, wawiwo.de), die sich bisher mit der Vorstellung von Kartoffelsorten befassen (wobei einige Seitenbetreiber anscheinend eher Werbeeinahmen im Sinn haben als die fundierte Information von Besucher*innen).
Wenn jemand an dieser Stelle jedoch ernsthaftes Interesse in sich aufsteigen spürt, in seinem eigenen Garten auch einmal (oder auch öfters) blaue Kartoffeln anzubauen (was ich stark hoffe), dann kann er oder sie sich an eine der folgenden Quellen wenden: Karsten Ellenberg, Sven Gündel, Vreeken/Niederlande oder die deutsche Genbank; diese bieten zahlreiche blaue, lila, violette und schwarze Sorten an – neben vielen andersfarbigen natürlich.
Ich werde mir im kommenden Jahr auch noch die eine oder andere blauschalige Sorte von diesen Anbietern kommen lassen, wie z. B. Arran Victory, Skerry Blue oder Bleue d‘Auvergne; Koopmanns Blauwe lagert übrigens schon in meinem Kühlschrank als Direktimport aus den Niederlanden – mein guter Eduard hat sie dort für mich aufgetrieben.
Sorte (Einzelpflanze)1 |
Anzahl Knollen | Gesamtgewicht | ∅ gr / Knolle2 | Schwerste Knolle | |
---|---|---|---|---|---|
1. Birte (1.1) (1.2) (1.3) Gesamt / ∅ |
28 12 28 68 |
2150 1675 2350 6175 |
77 140 84 91 |
240 375 200 272 |
|
2. Rosara (2.1) (2.2) (2.3) Gesamt / ∅ |
26 27 25 78 |
1725 1800 1590 5115 |
66 67 64 66 |
250 175 175 200 |
|
1 Die Zahlen in Klammern bezeichnen die drei Einzelpflanzen jeder Sorte 2 Das Durchschnittsgewicht der Einzelknolle habe ich jeweils aus dem Gesamtgewicht geteilt durch die Gesamtzahl der Knollen gebildet (Gewicht / Knollenzahl) |
Zum Vergleich: die beiden besten blauen (alten) Sorten haben einen Ertrag von gut vier Kilogramm auf die Waage gebracht, die beiden besten modernen gut fünf bzw. sechs Kilogramm (es gab jedoch auch moderne Sorten mit weitaus weniger Knollengesamtgewicht). Mein Schlusswort lautet deshalb: Man kann nicht nur mit blauen Kartoffelsorten sondern auch von ihnen leben!
Ich danke für Ihre/Deine Aufmerksamkeit!
[1] Robert Bauer: Agronomische, phänotypische und genotypische Charakterisierung der Kartoffelsorte Schwarzblaue aus dem Frankenwald; Masterarbeit am Lehrstuhl für Chemie Biogener Rohstoffe der Technischen Universität München und an der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft, Freising 2011