Die Kehrseite der Pflanzenzüchtung
oder: Warum Zucht-Sorten das Überleben unserer Nutzpflanzen gefährden.
Heute möchte ich mich einmal kritisch mit Sorten und ihrer Züchtung auseinandersetzen, wie sie seit ca. 200 Jahren betrieben wird – und mit „Sorten“ meine ich sowohl „alte“, samenfeste Sorten als auch moderne (samenfeste) Hochleistungssorten sowie die F1-Hybrid-Sorten; denn zwischen diesen dreien besteht kein grundsätzlicher Unterschied: Alle drei sind Zucht-Sorten.
Der Gegensatz zu diesen Zucht-Sorten sind „Landsorten“, die zwar unglücklicherweise ebenfalls den Begriff „Sorten“ im Namen tragen, obwohl sie nichts mit den zuvor genannten Sorten zu tun haben; dazu aber später mehr…
Heute erfahrt Ihr, ab wann und wie reine Sorten überhaupt gezüchtet wurden; dann, wie das „Becken“ aussah, aus dem sie anfangs „gefischt“ wurden. Zu guter Letzt sollt Ihr wissen, warum ich die einseitige Sicht auf die Vorteile von Zucht-Sorten – die es fraglos gibt – für äußerst bedenklich halte; denn Zucht-Sorten haben eine gefährliche Nebenwirkung…
Den wieder langen Text schmücke ich mit ein paar Bildern des „Land-Roggens“, den ich erzeugen will, weil ich das Thema heute schwerpunktmäßig am Beispiel des Getreides behandele; die Fotos zeigen seine Entwicklung von der Aussaat Anfang Oktober 2022 bis zur Not-Ernte Anfang Juli 2023, als meine Ratten anfingen, ihn zu mögen…
Meine kritische Betrachtung von Zucht-Sorten starte ich, indem ich Euch enthülle:
Wann enträtselt wurde, wie man reine Sorten züchtet
Die modernen Pflanzenzüchter verbreiten gerne die Erzählung, dass es Züchtung schon seit Beginn des menschlichen Pflanzenbaus gab und unsere Nutzpflanzen ihr Ergebnis seien (Getreide – Wie alles begann); diese Darstellung wird leider von sehr vielen Menschen kritiklos übernommen.
Dass Die Pflanzenzüchter jedoch „Fake-News“ verbreiten, erfahrt Ihr heute schon, obwohl ich mich mit dieser Mär in einem der folgenden Beiträge noch intensiver beschäftigen werde.
Nein, Züchtung, die zu reinen Pflanzen-Sorten (und Tier-Rassen) führt, gibt es erst seit ungefähr 200 Jahren!
Das beweise ich Euch anhand des Buches „Pflanzenzüchtung“, das Hugo de Vries 1908 veröffentlicht hat. In einem Kapitel dieses Buches beschreibt er ausführlich „Die Entdeckung der elementaren Arten landwirtschaftlicher Pflanzen durch Hjalmar Nilsson“.
Erst diese Entdeckung machte Züchtung im heutigen Sinne möglich; vorher gab es keine (gezielte) Züchtung!
Lasst Euch durch den sperrigen Titel und den Begriff „elementare Arten“ (erkläre ich gleich) nicht abschrecken, den Text zu lesen. Er enthält jede Menge Informationen über den Beginn der Pflanzenzüchtung am Beispiel des Getreides; aber vor allem finden sich in ihm zahlreiche Hinweise, wie unsere Nutzpflanzen im „Original-Zustand“, also als „Landsorten“ aussahen, bevor sie durch eine gezielte Züchtung in „Zuchtsorten“ verwandelt wurden.
Aus diesem Grunde habe ich eine PDF-Version des Kapitels im Original sowie eine in moderner Schrift erstellt, da heute sicher nicht mehr jede:r Fraktur-Schrift entziffern kann…
…aber Ihr müsst das Kapitel nicht unbedingt lesen; denn seine Quintessenz habe ich für Euch extrahiert:
Die Entdeckung der „elementaren Arten“ landwirtschaftlicher Pflanzen
De Vries unterstellt in seiner Darstellung zwar schon den Römern „erhaltungszüchterische“ Maßnahmen, mit denen sie ihr Getreide in einem guten Zustand bewahren wollten, doch scheint ihm der „Gedanke an die Verbesserung dieser wertvollen Früchte […] erst nach dem Anfange des letzten Jahrhunderts aufgetaucht zu sein“ (S. 25), also ungefähr ab 1800.
Damit benennt er das, was Züchtung bezweckt: bewusste, zielgerichtete Verbesserung unserer Nutzpflanzen; der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter (BDP) lobt die Zuchtprodukte seiner Mitglieder heute so: „Optimal angepasste Sorten von 115 Kulturarten bringen hohe Qualität und beste Erträge.“
Ich lasse nun de Vries mehr oder weniger wortgetreu berichten, wie der erste bekannte, englische Züchter Le Couteur gegen 1830 auf die Vorbedingungen stieß bzw. gestoßen wurde, die für Züchtung notwendig sind (S. 27):
Bevor also die ersten Züchter daran gehen konnten, ihre Nutzpflanzen gezielt zu verbessern, mussten sie Unterschiede zwischen den einzelnen Pflanzen einer Nutzpflanzen-Art erkennen. Erst dann konnten sie die Varianten, die ihnen besser als andere erschienen, aus der Masse der vielen Unterschiedlichen auswählen und miteinander vergleichen, um letztlich die besten Varianten herauszufinden.
Le Couteur war somit „der Entdecker des Grundsatzes der Getreideverbesserung durch Auslese“ (de Vries S. 26).
Die Hauptstreitfrage jener Anfangszeit der Pflanzenzüchtung, die in dem Kapitel anschließend ausführlich diskutiert wird, bestand aus zwei unterschiedlichen Ansichten:
- Die eine Seite, zu der die meisten, damaligen, deutschen Züchter und auch Charles Darwin gehörten, wollte heterogene Populationen, wie die damals angebauten „Landsorten“, durch jährliche Auslese der „Besten“ langsam, aber zielgerichtet verbessern (dieses Ausleseverfahren wird heute „Positive Massenauslese“ genannt)
- Die andere Seite, zu der die ersten britischen Züchter Le Couteur, Shirreff u.a. zählten, hatten ihre Sorten durch die einmalige Auslese der „elementaren Arten“ und deren getrennte Vermehrung gewonnen (dieses Verfahren wird heute Einzel- oder Individual-Auslese mit anschließender Nachkommenschaftsprüfung genannt).
Hier bekommt Ihr nun eine Erklärung für „elementare Arten“: Unter „elementaren Arten“ sind die einzelnen, unterschiedlichen Linien innerhalb einer Selbstbefruchter-Population (z. B. Weizen) bzw. die einzelnen, unterschiedlichen Individuen innerhalb einer Population von Fremdbefruchtern (wie z. B. Roggen) zu verstehen; es sind damit also die, nicht mehr weiter teilbaren „Grundelemente“ gemeint, aus denen die damaligen „Landsorten“ bestanden.
Die Streitfrage, welches Ausleseverfahren nun wirklich zu einer Verbesserung des Getreides führte, wurde letztlich vom schwedischen Züchter Hjalmar Nilsson in den 1890er Jahren in der schwedischen Saatzuchtanstalt in Svalöf mit Hilfe des Zufalls und aufwändiger Untersuchungen geklärt: Nur die Individual-Auslese erbrachte verbesserte Nutzpflanzen; die positive Massenauslese führte, auch über zahlreiche Generationen angewandt, nur zu einer kaum merklichen Verbesserung einer Population.
„Darum ist es jetzt Nilssons Grundsatz für alle Zuchtzwecke, mit seiner Zuchtreihe von einer einzigen Mutterpflanze auszugehen. Nur solche Zuchten ergeben reine Sorten.“ (de Vries S. 90)
Reine Sorten (Zuchtsorten) konnten also nur durch Auswahl und Vermehrung einzelner Pflanzen-Individuen mit gewünschten Eigenschaften entstehen. Alle Individuen einer solchen Sorte sind somit genetisch in hohem Maße identisch und verwandt (sie sind homozygot, reinerbig), was die Einheitlichkeit ihrer äußeren Merkmale und inneren Eigenschaften garantiert.
Das hat sich bis heute nicht geändert, auch wenn die Ausgangspflanzen für Zuchtsorten nicht mehr aus bereits vorhandenen Populationen („Landsorten“) selektiert, sondern auf anderen Wegen gezielt erzeugt werden:
- Kombinations- und Hybridzüchtung: Nachdem die von Gregor Mendel formulierten Vererbungsregeln ab 1900 wiederentdeckt worden waren, konnten gezielt „Starter“-Pflanzen für neue Sorten geschaffen werden, indem (zwei) verschiedene Pflanzen mit positiven Eigenschaften (Genen) gekreuzt wurden.
- Gen-Technik: Heute werden die Individuen, aus denen Sorten entstehen sollen, auch mit Hilfe gen-technischer Methoden erzeugt, indem gezielt positive Gene in sie eingeschleust (Gen-Transfer) bzw. ihre Gene gezielt in gewünschte Richtung geändert werden (Gen-Editing).
Es bleibt jedoch festzuhalten, dass immer einzelne Individuen der Ausgangspunkt für Sorten sind. Die Individual- bzw. Einzel-Auslese mit anschließender Inzucht ist das Grundprinzip von Züchtung; auf ihr beruhen alle heutigen Sorten.
Diesen Fakt sollte jede:r klar vor Augen haben, wenn von „Sorten“ (auch von „alten“ oder samenfesten) die Rede ist; aber jetzt wollt Ihr noch einmal ganz genau wissen:
Woher stammten die ersten Zuchtsorten?
Wie im vorigen Abschnitt berichtet, wurden die ersten Zuchtsorten aus Beständen (Populationen) von Nutzpflanzen-Arten ausgelesen, die bis dahin keiner zielgerichteten, menschlichen Selektion unterlagen. Derartige Populationen wurden später (nach 1900) „Landsorten“ genannt.
Obwohl der Begriff „Landsorte“ irreführend ist, da er nichts mit „Sorten“ zu tun hat, verwende ich ihn, weil ich ihn für „Nutzpflanzen-Populationen, in denen sich alle Individuen frei miteinander kreuzen können“ einbürgern will (wie schon erwähnt, sind „Landsorten“ das Gegenteil unserer heutigen „Zuchtsorten“).
„Landsorten“ bildeten das „Becken“ aus denen Zuchtsorten „gefischt“ wurden. Wie Landsorten damals aussahen, beschreibt de Vries ziemlich präzise in jenem, oben schon zitierten Kapitel seines Buches „Pflanzenzüchtung“ auf Seite 90:
Die Felder der Nutzpflanzen-Arten, die vor Beginn von Pflanzenzüchtung angebaut wurden, bestanden also aus einem unüberschaubaren Gemisch genetisch unterschiedlicher Linien und Individuen („elementarer Arten“). Jede einzelne, unterschiedliche Pflanze hätte zu einer Zucht-Sorte werden können.
Diese ursprünglich vorhandene Individuen-Vielfalt ist der zweite Fakt, auf den ich besonders hinweisen möchte. Nur aus dieser Vielfalt konnten die Pflanzenzüchter ab 1850 ihre Zuchtsorten gewinnen…
Antwort: aus (verwandten) Wildpflanzen…
Damit komme ich zu einer Sehbehinderung, die durch die Fixierung auf „Sorten“ bedingt ist; ich komme zur Kehrseite der Pflanzenzüchtung:
Wie „Sorten“ verhindern, die wahre Ursache für die Verluste von Vielfalt auf den Feldern zu erkennen
Seit einigen Jahren tönt der Klageruf durchs Land, z. B. des Vereins zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt (VEN): „Der größte Teil der Nutzpflanzensorten ist durch die Industrialisierung der Landwirtschaft verloren gegangen“.
Es wird lauthals der Verlust von Sorten beklagt, von Zucht-Sorten.
Dabei wird vollkommen ausgeblendet, dass der allergrößte Teil genetischer Vielfalt gerade durch die Züchtung von (Zucht-)Sorten verloren gegangen ist.
Wie zuvor deutlich geworden sein sollte, bestanden die früheren „Landsorten“ aus einer gewaltigen Anzahl genetisch unterschiedlicher Individuen und Linien, von denen aber nur wenige als Stammhalter von Zuchtsorten überlebt haben; im Beitrag „Zeit für bessere Menschen“, führe ich Euch diesen Verlust an (Individuen-)Vielfalt noch einmal besonders drastisch vor Augen, indem ich eine (fiktive) Menschenzüchtung durchführen lasse.
Die Verluste an genetischer Vielfalt, die durch die Sorten-Züchtung verursacht wurden, sind in Prozent kaum auszudrücken. Wenn ich sie auf 99,99 Prozent der ursprünglichen Vielfalt beziffern würde, wäre das wahrscheinlich noch zu niedrig angesetzt.
Ihr müsst Euch nur vorstellen, dass bis zum Beginn professioneller Pflanzenzüchtung bei fremdbefruchtenden Arten, wie Roggen, Mais, Zwiebeln, Möhren u. a., nur genetisch einzigartige Pflanzen-Individuen auf den Feldern und in den Gärten Deutschlands (und in allen anderen Teilen der Welt) wuchsen.
Bei Selbstbefruchtern, wie Weizen, Gerste, Busch- und Stangenbohnen, war zwar nicht jede Pflanze einzigartig, aber ein Feld bestand doch aus einer großen Zahl an Varianten (unterschiedlichen Linien), wie de Vries in seinem Buch berichtet.
Erst ab 1950 wurde dann auch die Anzahl der Sorten, die bis dahin gezüchtet (aus der Landsorten-Vielfalt ausgelesen) worden waren, durch die weitere, beschleunigte, technische Entwicklung auf das heutige, überschaubare Maß reduziert.
Die häufig genannten Verluste von 75 Prozent der Nutzpflanzen-Vielfalt beziehen sich auf die bis ungefähr 1950 genutzte Anzahl an Zuchtsorten.
Aber die Propaganda der Pflanzenzüchter hat dazu geführt, dass wir nur noch in Sorten denken; dadurch bleibt verborgen, dass die wahren Verluste gerade durch die Züchtung von „Sorten“ verursacht wurden, und wie groß diese waren.
Nur so kann ich mir erklären, dass z. B. der österreichische Verein „ARCHE NOAH“, der sich der „Sorten-Erhaltung“ verschrieben hat, in seinem Newsletter vom 6. Oktober 2023 stolz verkünden kann (Hervorhebungen im Original):
„Sortenerhaltung braucht außer geschickten Gärtner:innenhänden auch den geübten Blick für das Wesentliche. Im Jahr 2000 erhielten wir den Paprika „Zipser Türkenspitz“, eine Landsorte aus der Ostslowakei, den wir auch dieses Jahr in unserem Schaugarten gepflanzt haben. Die Früchte stellten sich als wildes Formengemisch heraus, vieles davon völlig untypisch und sehr scharf. Dass hier noch etwas zu retten war, ist Marc Bosse zu verdanken, damals Gärtner im Schaugarten und routinierter Sortenvermehrer. Er begann, auf den Originaltyp zu selektieren. Nach einigen Vermehrungsschritten kommt der Paprika dem Original nun wieder sehr nahe: kegelige Früchte mit markanter Spitze. Der Geschmack ist (weitgehend) mild, knackig, mit fruchtigem Paprika-Aroma. An den Pflanzen reifen die Früchte von Grün-Violett entweder nach Rot oder nach Honig-Gelb ab. Eine Variabilität, die sich bereits in der Originalbeschreibung andeutet und die wir beibehalten wollen.“
Ich konnte es nicht glauben, als ich das gelesen habe: Dieser Verein bekommt Saatgut einer genetisch vielfältigen „Landsorte“ und was macht er daraus? Eine genetisch (ziemlich) einheitliche Zuchtsorte!
Sorten-Erhalter:innen vernichten und verhindern also genetische Vielfalt anstatt sie zu erhalten und zu vermehren – wie die Pflanzenzüchtung seit 200 Jahren, weil sie in „Sorten“ denken. Als Beweis können die zahlreichen Anleitungen dienen, wie Sorten rein zu erhalten sind.
…dabei wäre das Gegenteil vonnöten: Variationen, Varianten, Individuen-Vielfalt durch Sortenmischung zuzulassen.
Womit ich zum nächsten Kapitel komme, in dem ich zeigen will,
Warum Individuen-Vielfalt (Variantenreichtum) von existenzieller Bedeutung ist
Die Grundlage jeglichen „Lebens“ auf der Erde sind bestimmte Stoffe und vor allem Energiequellen. Darüber hinaus basiert das „Leben“ auf zwei Bedingungen, die erfüllt sein müssen (an anderen Stellen werden mehr Bedingungen genannt, die jedoch zumeist vom Zustand der jetzigen Lebewesen ausgehen. Die Grundbedingungen müssen jedoch schon gültig gewesen sein, als „Leben“ begann, als „Organismen“ nur „lebende Moleküle“ waren):
- Die Fähigkeit zur selbstständigen „Fortpflanzung“ (Stichworte: Replikation, Kopie, Erhaltung, Vermehrung)
- Die Fähigkeit, Varianten zu bilden (Stichworte: Abweichung, Veränderung, Mutation, Rekombination, Vermischung)
Ohne diese beiden Bedingungen ist kein Leben möglich.
1. Grundbedingung des Lebens: Fortpflanzung
„Lebendes“ („lebendes Molekül“/“Organismus“) zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass es sich selbstständig „fortpflanzen“ kann. Durch Fortpflanzung ist sichergestellt, dass ein „Organismus“, der in seiner Umwelt (über)lebensfähig ist, dies auch in Zukunft tun kann. Ein erfolgreiches Modell bleibt durch Fortpflanzung erhalten.
2. Grundbedngung des Lebens: Variation/Varianz
Die Fortpflanzung eines dazu fähigen „Organismus“ setzt jedoch konstante Umweltbedingungen voraus; sobald sich die Bedingungen ändern, besteht die Gefahr, dass der „Organismus“ unter den neuen Umweltverhältnissen nicht mehr fortpflanzungsfähig ist.
Aus diesem Grunde ist die zweite Bedingung ebenfalls „lebens-wichtig“: Ein „Organismus“ muss lebensfähige Varianten bilden können. „Variantenreichtum“ ist die Bedingung, die das Leben sicherstellt.
Schon bei der ersten Umweltänderung (die „Ursuppe“ wurde wärmer oder kälter oder nährstoffärmer oder oder oder) mussten alle „Organismen“ ihre Existenz- und Fortpflanzungsprozesse beenden („sterben“), die sie unter den veränderten Bedingungen nicht erfolgreich fortsetzen konnten. Nur Varianten, die unter den neuen Bedingungen existieren und sich fortpflanzen konnten, hielten die Organismengruppe am Leben.
Ohne Varianten hätte das Leben nicht bis heute überleben und sich darüber hinaus nicht alle möglichen Energie- und Stoffquellen erschließen können. Ausdruck dieser „Evolution“ ist die heutige, unüberschaubare Vielfalt an sichtbaren und unsichtbaren Lebensformen.
Diese unüberschaubare Anzahl an Lebensformen (heute zumeist „Arten“ genannt) besteht jedoch wiederum aus einer unüberschaubaren Anzahl unterschiedlicher Varianten (Individuen). Das wird zumeist übersehen…
Die Umweltverhältnisse ändern sich weiterhin – mit und ohne Zutun des Menschen; aber überleben (sich fortpflanzen und evtl. vermehren) können im Zweifelsfall nur (wenige) Individuen.
Solche Varianten waren auch die Pflanzen, die wir heute nutzen; sie wurden ebenfalls als einzelne Abweichungen unter Wildpflanzen gefunden und weitervermehrt. Unsere Nutzpflanzen-Arten haben anschließend nur deshalb 10.000 Jahre überleben und sich in alle Welt ausbreiten können, weil sie Varianten gebildet haben und bilden durften.
Heute dagegen bestehen unsere Nutzpflanzen-Arten nur noch aus sehr wenigen Varianten, die obendrein genetisch wenig unterschiedlich sind (siehe dazu meinen Beitrag „Nutzpflanzen-Vielfalt neu berechnet“). Darüber hinaus werden sie strikt daran gehindert, neue Varianten zu bilden (vorgeschriebene Sortenechtheit!); deshalb mache ich mir ernstlich Sorgen um unsere Nutzpflanzen und frage mich,
Wie das Überleben unserer Nutzpflanzen gesichert werden könnte
Wenn die zuvor genannte (Über)Lebensbedingung „Variantenreichtum“ richtig ist, sollte daraus logischerweise der Schluss gezogen werden, den Variantenreichtum unserer Nutzpflanzen (und -tiere) wieder maximal zu erhöhen, um ihr Aussterbe-Risiko zu verringern.
Mein Vorschlag, dies zu ereichen, sähe vor, wieder „Landsorten“ zu schaffen (Evolutionäre Populationen oder Composite Crosses könnten erste Ansätze in diese Richtung darstellen) und zwar auf folgende Weise:
- Es wird ein gewisser Prozentsatz (s. u.) der landwirtschaftlichen Anbaufläche mit Saat- bzw. Pflanzgut einer Nutzpflanzen-Art bestellt, das willkürlich gewählt oder gemischt worden ist.
- Die Pflanzen können sich frei miteinander kreuzen und unterliegen keiner zielgerichteten, menschlichen Selektion.
- Das Saatgut für diesen Anbau wird jährlich ausschließlich dem Erntegut entnommen.
- Die Anbaumethoden können sein: konventionell, intensiv, ökologisch, traditionell oder anders geartet.
Ein bis zehn Prozent der landwirtschaftlichen Anbaufläche sollte diesem Zweck gewidmet werden.
Dieser Prozentsatz ist ungefähr der Rahmen, in dem auch „das Leben“ für Varianz sorgt, um auf der sicheren Seite zu sein. Das zeigt meines Erachtens die allgemeine Mutationsrate oder die durchschnittliche Fremdbefruchtungsrate bei Selbstbefruchtern, die ungefähr diese Größenordnung besitzen.
Genetische Rekombinationen, Mutationen und die „Natürliche Selektion“ (Erhaltung aller lebensfähigen Formen) sorgen für die Anpassung an die unterschiedlichen Umwelt- und Anbaubedingungen und vermehren so die Individuen-Vielfalt unserer Nutzpflanzen-Arten.
Dieser Plan bedarf gesellschaftlicher Unterstützung, da er allein nach marktwirtschaftlichen Prinzipien nur ungenügend umzusetzen ist (der gesamte Hobby-Garten- und Bio-Anbau-Bereich könnte jedoch schon heute der „Vielfaltsmehrung“ dienen).
Die gegenwärtige Saatgut-Gesetzgebung hat keine Bedeutung, da das genutzte Saatgut weder verkauft noch gekauft wird; außerdem bezieht sie sich auf…
…Sorten.
Vielfalt hat jedoch nichts mit „Sorten“ zu tun; die Zucht-Sorten der Pflanzenzüchtung waren die Totengräber der Vielfalt. Ich hoffe, das ist bis hierhin deutlich geworden…