Die Wanderratte und wir
oder: Der Umgang mit „Gegenspielern“ sollte rational begründet sein und nicht auf Ängsten und Vorurteilen beruhen.
Nachdem ich neulich die „Naturgesetze des Miteinanders“ entdeckt und beschrieben habe, möchte ich hier demonstrieren, welche Vorteile ihre bewusste Anwendung bringen könnte, gerade auch im Garten.
Ich verknüpfe diese Naturgesetze deshalb mit einem Tier, das bei sehr vielen Menschen tief verankerte Ängste und besonders extreme Abwehrreflexe auslöst, der wild lebenden Ratte, der Wanderratte, „Rattus norvegicus (Berkenhout, 1769)“; an der Wanderratte lässt sich besonders deutlich zeigen, welche Auswirkungen der Krieg gegen sie hat, ein Krieg, der allein aufgrund heftiger Gefühlsregungen erbarmungslos und brutal geführt wird.
Der Umgang mit Wanderratten dient aber hier nur als Beispiel; die gleiche, rationale Betrachtungweise, wie ich sie nachfolgend ausbreite, sollte gegenüber jedem anderen „Schadorganismus“ zur Anwendung kommen (wie z. B. gegenüber Kartoffelkäfern und Schnecken).
Ich stelle mir folgende Fragen: Welche Kosten verursacht mittlerweile der „Krieg gegen die Ratten“? Wie wäre es, Ratten einmal rational, ohne Ängste, zu betrachten und zu behandeln? Bringt eine geregelte Koexistenz nicht mehr Vorteile als ihre ständige, gnadenlose Bekämpfung?
Ich bin mir sicher, dass Euch meine Antworten nachdenklich stimmen werden…
Kuscheltiere oder Erzfeinde?
Ich schreibe es gleich vorweg: Ich möchte Ratten nicht zu Kuscheltieren machen!
Ich möchte Ratten als Gegenspieler sehen, die es in Grenzen zu halten gilt; die einzige Frage ist nur: Wie am besten?
Stadtratten – Unbekannte Parallelwelt
Wenn Du noch ein wenig Einstimmung für diesen Beitrag brauchst (oder lieber einen Film betrachtest, anstatt zu lesen, kannst Du Dir den Fernsehbeitrag „Stadtratten – Unbekannte Parallelwelt“ ansehen, der am 25. Februar 2023 von ARTE ausgestrahlt wurde und auf den mich neulich eine Freundin aufmerksam machte. Dieser Film nähert sich den Tieren in ähnlicher Weise, wie ich es im Folgenden versuche – ich möchte behaupten: erstmalig. Er widmet sich ausschließlich dem „Ratten-Management“, das an einigen Orten erprobt wird; er beschwört nicht die Gefahren, die Ratten darstellen können, und ruft nicht zu ihrer Bekämpfung auf wie die allermeisten Fernseh-Sendungen, die ich verfolgen konnte (einige werden später zitiert werden).
Der ARTE-Beitrag macht mir Hoffnung auf Veränderungen in die richtige Richtung; deshalb empfehle ich ihn hier ausdrücklich!
Schach der Ratte!
oder: Wie lassen sich Ratten überlegt in Grenzen halten?
Selbstverständlich stehen Ratten unseren Interessen entgegen; deshalb sollten wir uns selbstverständlich darum bemühen, sie in Grenzen zu halten. Doch auch beim „Problem Ratte“ – so, wie beim „Problem Kartoffelkäfer“ oder beim „Problem Nacktschnecke“ – sollte der Umgang mit ihnen unter rationalen Gesichtspunkten erfolgen.
Wenn ich davon ausgehe, dass ein Miteinander erfolgreicher ist als ein Gegeneinander, sollten die Grundgesetze des Miteinanders Grundlage aller Maßnahmen sein: Nach dem 1. Grundgesetz ist die Existenz der Ratten zu akzeptieren; nach dem 2. Grundgesetz sollte ein geregelter Umgang mit ihnen etabliert werden, das schon erwähnte „Ratten-Management“. Die Basis dafür sollte eine sachliche Analyse der Mittel und Wege sein, wie sich ihre Anzahl am besten wirksam und dauerhaft begrenzen ließe.
Momentan ist das genaue Gegenteil der Fall: Es gibt keinen durchdachten Plan. Ratten sollen als verhasste Wesen einfach radikal von diesem Erdball getilgt werden und zwar ohne Wenn und Aber. Eine rationale Abwägung der Mittel findet dabei nicht statt – der Zweck heiligt die Mittel, seien sie noch so gefährlich und gefühllos. Eine Überprüfung der Ergebnisse (Evaluation) findet ebenfalls nicht statt.
Dabei würde eine sachliche Begutachtung des Ausrottungsvorhabens schon zu seiner Aufgabe führen müssen; bei einer Evaluation der Ergebnisse wäre dies sogar zwingend.
Schauen wir uns die bisherige Strategie, die Ratten auszuratten, einmal an…
Unverstand bei der Rattenbekämpfung
Wie soll ich z. B. Maßnahmen bezeichnen,
- die nur das Symptom bekämpfen, die Ursache des Problems aber unangetastet lassen? (so als würde man immer wieder nur die Samen eines ausdauernden Unkrauts wegsammeln, anstatt es mit der Wurzel auszureißen)
- die sich trotz wiederholtem und verstärktem Einsatz im Endeffekt als nutzlos erweisen; Stichwort: neue Zuwanderung oder Resistenzen gegen die eingesetzten Giftstoffe? (so als müsse man Null nur oft genug mit einer größeren Zahl multiplizieren, um irgendwann einen Wert größer Null zu erhalten)
- die uns selbst letztlich mehr Schaden zufügen, als es ein (geregeltes) Zusammenleben mit den „Schadnagern“ tun könnte? (so als würde Suizid das Problem aus der Welt schaffen)
Wäre dafür die Bezeichnung „unklug“ übertrieben?
Die Waffenarsenale der Rattenbekämpfer
Obwohl die Waffen von geringem Interesse sind, die in einem sinnlosen Krieg eingesetzt werden, will ich sie Euch doch einmal kurz vorstellen; damit Ihr wisst, wovon ich später rede. Mancheine:r wird bei manchen dieser Waffen schon schwerwiegende Verstöße gegen bereits geltende Regeln feststellen.
Nach dem Grundsatz: „Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem anderen zu!“ müssten „Schädlingsbekämpfer“ und ihre Auftraggeber ihr Handeln umgehend überdenken; denn sie wollten sicher nicht:
- mit Luftgewehren hinterhältig erschossen und von Hunden oder anderen Tieren lustvoll zerrissen werden, also Todesarten sterben, bei denen ein qualvoller Tod wahrscheinlich ist.
- in heimtückischen (Schlag)Fallen sterben, auch wenn diese „tierschutzgerecht“ töten; dass dies nicht immer der Fall ist, lassen die beiden nachfolgenden Filmausschnitte erahnen, in denen die Ratte nach dem tödlichen Treffer noch deutlich zuckt.
- mit schnell oder langsam wirkenden Stoffen vergiftet werden.
Ihr seht schon: Der Kampf gegen die Ratten ist nicht nur schrecklich irrational sondern auch schrecklich roh, brutal und hinterhältig – wie alle Kämpfe eben.
Wenn Ihr jetzt noch seht, dass auch die Begründungen für diesen Krieg schrecklich irrational sind, überdenkt Ihr vielleicht noch einmal Eure Haltung den Ratten gegenüber, so sie denn feindlich ist…
Denn die Gründe, die angeführt werden, warum Ratten unbedingt bekämpft werden sollten, entpuppen sich bei näherer Betrachtung als solche, die vorrangig von Gefühlen bestimmt werden, hier: von Ängsten, und folglich irrational genannt werden müssen.
Im Vordergrund steht dabei die Angst, Ratten würden gefährliche Krankheiten übertragen, dicht gefolgt von der Angst, Ratten würden sich unbegrenzt vermehren.
Ihr werdet sehen: Eine rationale Betrachtung fördert Erkenntnisse zutage, die andere Handlungsoptionen eröffnen…
Horrorgeschichten und Panikattacken
oder: Können sich Ratten wirklich unbegrenzt vermehren?
Überaus häufig wird verbreitet, dass wir die Ratten bekämpfen müssten, damit sie sich nicht unbegrenzt vermehren (und dann die Weltherrschaft übernehmen).
Eine Rattenmutter soll pro Jahr rund 100 Junge gebähren können, die nach drei Monaten selbst geschlechtsreif werden und sich dann ebenfalls vermehren und so weiter und so weiter, bis sich letztlich alle zusammen zu der stolzen Anzahl von 1500 Exemplaren summiert haben, von denen dann nach Abzug der natürlichen Verluste durch Krankheiten und Beutegreifer „nur“ 500 übrig bleiben sollen, wie gesagt, pro Jahr. Diese Hochechnung verbreitet das Niedersächsiche Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) in der folgenden Grafik:
Ein exponentielles, grenzenloses Wachstum der Rattenpopulation wird hier gespenstisch an die Wand gemalt…
…zu unser aller Einschüchterung, die wir, in Angst und Schrecken, ja, Panik versetzt, jede erdenkliche Gegenwehr gutheißen…
…zur Freude der gewerblichen, organisierten Schädlingsbekämpfer, deren Existenz, sprich Einkommen, in der Marktwirtschaft dadurch gesichert ist.
Diesem Horror-Szenario möchte ich – ganz rational – entgegenhalten, dass es einen Zusammenhang von Nahrung, Wohnraum und Größe einer Population gibt: Ohne Fressen und trockene, sichere Unterkünfte können auch Ratten nicht leben und ohne entsprechende Mengen dieser lebensnotwendigen Dinge können sie sich auch nicht entsprechend vermehren; außerdem vermehren sich mit den Ratten auch ihre Fresser und Krankheitserreger und halten sie dadurch in Schach.
Das sind Grundkenntnisse in Ökologie.
Ratten können sich also auf keinen Fall unbegrenzt vermehren! Und tun das auch nicht, wie schon diese Untersuchung von 1962 zeigen konnte.
Wenn irgendwo also die Anzahl der Ratten eine „Erträglichkeitsgrenze“ überschreitet, bedeutet das immer: ein Überangebot an Nahrung und Wohnstätten; der nachfolgende Film, der in New York spielt, gibt davon einen plastischen Eindruck…
Das Nahrungs- und Wohnungsangebot für Ratten einzuschränken, ist die einzig wirksame und vernünftige Maßnahme, um das „Übel“ an der Wurzel zu fassen und eine „Rattenplage“ einzudämmen!
Wie verhält es sich nun mit dem anderen Szenario „Angst-essen-Verstand-auf“:
Ratten sind die Pest!
oder: Wie gefährlich sind die von Ratten übertragbaren Krankheiten und gibt es nicht bessere Wege, ihre Übertragung auf Menschen zu verhindern?
Ratten wären also relativ einfach in Grenzen zu halten, wenn ihnen konsequent Nahrung und Wohnstätten entzogen würden; aber da dies nie vollständig gelingen kann (wie die langjährige Geschichte ihrer Bekämpfung zeigt), wird es immer Ratten geben.
Aus diesem Grunde betrachte ich die Krankheiten näher, die sie auf uns übertragen können sollen.
Ohne Zweifel gibt es Gründe für die tief sitzende Abneigung gegen Ratten, die der Abneigung nahekommt, die wir gegenüber „Parasiten“ empfinden, also Lebewesen, die uns direkt als Nahrungsquelle nutzen und die wir deshalb meiden (sollten) wie die „Pest“.
Ratten ernähren sich zwar nicht direkt von uns, sondern oft „nur“ von Nahrungsstoffen, die wir auch nutzen (wollen), aber aufgrund ihrer räumlichen Nähe (kommensalen Lebensweise) können sie auch Parasiten („Krankheitserreger“) auf uns übertragen, die sie mit sich schleppen – wie alle Wildtiere.
Doch auch hier wird viel verallgemeinert, werden Einzelfälle aufgebauscht oder rein theoretische Möglichkeiten dargestellt und so Ängste geschürt, anstatt sachlich aufzuklären: Jüngst wurde z. B. nachgewiesen, dass die Pest in erster Linie von Menschenflöhen verbreitet wurde und nur sehr selten von Rattenflöhen; das ist auch naheliegend, da die Wahrscheinlichkeit weitaus größer ist, dass ein Menschenfloh, der mit dem Pest-Bakterium Yersinia pestis infiziert ist, von einem Menschen, der an der Pest erkrankt oder gestorben ist, auf einen gesunden Menschen wechselt, als ein Rattenfloh von einer verendeten Ratte auf einen Menschen; außerdem kommt der Rattenfloh in unseren Breiten überhaupt nicht vor.
Wer außerdem einmal die Zustände betrachtet, unter denen sich Krankheitserreger, wie das Pest-Bakterium, bestens verbreiten konnten, wird feststellen, dass diese Zustände immer von Menschen gemacht wurden: Städte, die überbevölkert waren, weil ihre Schutzmauern aufgrund feindlicher Menschen nicht eingerissen werden konnten; Kriegswirren, in denen Menschen eng zusammengedrängt, unter schrecklich unhygienischen Bedingungen in Fluchtburgen Schutz vor anderen Menschen suchen mussten…
Nicht die Ratten waren schuld; Ursache für Pestepedimien waren fast immer Auseinandersetzungen zwischen Menschen!
So viel zur Vergangenheit.
Was wissen wir heute über die Krankheiten, die Ratten (angeblich oder manchmal) auf Menschen übertragen können? Was sagt z. B. ein langjähriges Mitglied des „Beirat der Nationalen Forschungsplattform für Zoonosen“, der Wissenschaftler Professor Rainer Ulrich dazu? In der ARD-Sendereihe „Planet Wissen“ äußert er sich im Beitrag Ratten – müssen wir Angst vor ihnen haben? folgendermaßen:
Er erzählt, man wisse nix Genaues über die Krankheiten, die Ratten übertragen können, man müsse sie erst einmal gründlich erfassen und erforschen…
…und was macht der Kommentator daraus? Er raunt etas von „Gefahr“ und „Dunkelziffer“; er nutzt das Unwissen, um Angst zu schüren.
Fakt ist: Über Krankheiten, die Ratten tatsächlich auf Menschen übertragen, ist kaum etwas bekannt.
Bei so viel Vor-Urteil ist es wahrscheinlich müßig, auf die Gefahren hinzuweisen, die von anderen Tieren ausgehen, mit denen wir (noch viel enger) zusammenleben. Auch unsere Haus- und Nutztiere (Hunde, Katzen, Vögel und Schweine) können Krankheiten übertragen, die für uns Menschen gefährlich sind.
Außerdem: Ließe sich eine Ansteckungsgefahr nicht weitaus effektiver bekämpfen, indem die Ratten gegen die gefährlichsten Krankheiten, wie z. B. die Leptospirose, geimpft oder behandelt werden (gefüttert werden!), so wie die Füchse gegen den Tollwut-Virus? Auch Füchse wurden jahrelang erbarmungslos getötet, um die Tollwutgefahr zu bannen. Erfolglos. Erst als die Füchse gegen die Tollwut geimpft wurden, veringerte sich diese Gefahr deutlich…
Und: Gäbe es nicht sinnvollere Maßnahmen, um Menschenleben zu retten, als die großflächige Vergiftung von Ratten in „Elendsvierteln“, die z. B. hier in Salvador (Brasilien) beschrieben wird?
Schon Ende des 20. Jahrhunderts dienten Ratten in den USA als Vorwand, „herunter gekommene“ Stadtviertel zu entvölkern – erst von Ratten, dann von den entsprechenden Menschen („Red-Lining“).
Ich frage Euch zuletzt: In welchem Verhältnis steht die Gefahr, sich mit einer „Rattenkrankheit“ zu infizieren, zu den Gefahren, die durch die gängigste Rattenbekämpfung, das unkontrollierte Verbreiten von Giftstoffen, heraufbeschworen werden, von Stoffen, die immer gefährlicher werden für Mensch und Umwelt?
Vergiftet die Ratten!
oder: Wie hoch sind die Kosten der Rattenbekämpfung durch Giftstoffe für Mensch und Umwelt?
Wie ich oben dargestellt habe, ist die Bekämpfung von Ratten eine völlig sinnlose Tätigkeit, wenn ihnen nicht Futter und Wohnstätten entzogen werden; denn aufgrund des Schlaraffenlandes, das den Überlebenden (oder den nicht betroffenen Nachbarn) nach einer Vergiftung der meisten Artgenossen zur Verfügung steht, vermehren sich diese bestens (ja, zu Anfang exponentiell!). Ohne lästige Konkurrenz stehen ihnen Nahrung und Nistplatz in Hülle und Fülle zur Verfügung (unter „normalen“ Verhältnissen ziehen Rattenmütter bis zu fünf Junge groß; unter günstigen Umständen können sie aber auch über 10 Jungtiere aufziehen).
Nun könnten mir sinnfreie Tätigkeiten anderer Menschen ziemlich egal sein, so lange sie nicht gegen schon bestehende Regeln des Miteinander verstoßen (Tierquälerei sind) oder mir und meinen Nächsten mehr Schaden zufügen als die Ratten…
Diese Gefahr besteht jedoch bei den hochgefährlichen, heimtückischen Stoffen, die tonnenweise gegen Ratten eingesetzt werden, den so genannten Rodentiziden („Nagetier-Vernichtern“).
Ratten sind intelligente und soziale Tiere, die aus dem Tod von Artgenossen Schlüsse ziehen können; deshalb werden zu ihrer Vergiftung Stoffe eingesetzt, die erst nach zwei bis drei Tagen zum Tode führen, so dass es für die Ratten schwierig(er) wird, einen Zusammenhang zwischen dem gefressenen Giftstoff und dem Tod eines Artgenossen herzustellen.
Diese Stoffe, so genannte Blutgerinnungshemmer („Antikoagulantien“), von denen mittlerweile die 2. (giftigere und noch wirkende) Generation im Einsatz ist, sind schwer abbaubar (Persistent), reichern sich in Organismen an (Bioakkumulierend) und sind giftig (Toxisch) und werden deshalb zu den PBT-Stoffen gerechnet.
Diese Antikoagulantien wirken selbstverständlich nicht nur bei Ratten, sondern auch bei allen anderen Warmblütlern, deren Blut bei Verletzungen gerinnen muss; immer wieder verenden „Nicht-Ziel-Tiere“, weil sie das Gift direkt aufnehmen (primäre Vergiftung) oder mit Gift belastete Tiere fressen (sekundäre Vergiftung).
2017 wurden allein den Kanalratten in Städten und Dörfern knapp 900 Tonnen Rodentizide zum Fraße vorgeworfen – und ein Großteil davon mit dem Regen- und Abwasser in Bäche und Flüsse geschwemmt…
Die Mengen, die von den zahlreichen, gewerblichen „Schädlingsbekämpfern“ in unsere Umwelt ausgebracht werden, dürften um ein Mehrfaches darüber liegen (es gibt dazu keinerlei Zahlen). Wo diese Mengen letzten Endes verbleiben, werden wir nie erfahren, so lange sie „ordnungsgemäß angewendet und entsorgt“ werden…
Seit 2013 dürfen nur noch Personen mit entsprechender Sachkunde diese gefährlichen Mittel einsetzen, was aber nicht jedem recht ist:
„In Deutschland liegt der jährliche Bedarf an chemischen Rodentiziden durch Privatpersonen bei deutlich über einer Million Einheiten“, verbreitet der Verband der Hersteller von Rodentiziden und würde diese Einheiten (was immer damit gemeint sein mag) gerne jedem Menschen zur Verfügung stellen, damit Mann und Frau sie, durch die oben beschriebenen Horrormärchen panisch verängstigt, in die Umwelt ausbringen kann; denn die Hersteller müssen auf ihre (Entwicklungs)Kosten kommen – auf unser aller Kosten.
Lebensmittelbetriebe, die sich z. B. nach bestimmten Standards (AIB, IFS) zertifizieren lassen wollen, müssen konsequent auf den Einsatz von Rattengiften in Räumen verzichten, in denen sie Lebensmittel verarbeiten, weil – ja, weil ihre Geschäfte ansonsten empfindlich geschädigt werden könnten; denn Ratten, die mit Blutgerinnungshemmern vergiftet werden, sterben in den seltensten Fällen am Ort der Giftaufnahme, sondern zumeist an einem unbekannten Ort, möglicherweise an einem, der später von einem Kunden entdeckt wird.
O, nein!
Geschäftsschädigung ist also ein Grund, den Gifteinsatz zu vermeiden, nicht aber die (noch) unvorhersehbaren Schäden, die diese Gifte in der Umwelt und letztlich an unser aller Gesundheit anrichten können. Ja, von einem Gesellschaftssystem, in dem der private Nutzen (Selbstversorgung!) an erster Stelle steht, ist nichts Anderes zu erwarten…
Ich kann diesem, jeder Vernunft widersprechenden, dauerhaften, gefährlichen Giftauslegen nicht gleichgültig zuschauen, genauso wenig wie dem sinn- und empathielosen Töten durch Erschießen, Zerreißen und Erschlagen, vor allem dann nicht, wenn es eine bessere Alternative gibt: die geregelte Koexistenz.
Womit ich das vorletzte Kapitel einläute…
Hilfe, die Ratten sind resistent geworden!
oder: Führt der rücksichtslose Giftkrieg gegen die Nagetiere je zu einem „Endsieg“?
…und die Ratten mit meinem Lieblingsthema, der genetischen Vielfalt, verbinde.
Bei der zuvor erwähnten Rattenbekämpfung in Salvador (Brasilien) wurde untersucht, wie sich die Rattenpopulation durch die Vergiftungsaktion genetisch veränderte. Wie nicht anders zu erwarten, veränderte sie sich nachweislich; auch wenn es aus dieser Untersuchung nicht direkt hervorgeht, ist sicher: Die vorsichtigen und „resistenten“ Exemplare überlebten…
…und vermehrten sich aufgrund des großen Nahrungs- und Wohnungsangebots exponentiell, so dass Wissenschaftler nach wenigen Vergiftungszyklen und nachwachsenden Rattengenerationen feststellen können: Die Anzahl der Tiere ist durch die eingesetzten Giftstoffe kaum noch zu minimieren; sie sind resistent geworden.
…woraufhin der Ruf nach neuen und stärkeren Giften aus dem Lager der panisch Verängstigten folgt…
…und eine neue Runde des Wettrüstens, der Eskalation des Krieges beginnt…
…aber darauf wollte ich nicht hinaus…
Ich finde ein andere Frage in diesem Zusammenhang nämlich weitaus interessanter: Hätten Gen-Techniker die Stellen in der Erbsubstanz (DNS) herausfinden können, die sie hätten ändern müssen, damit die Ratten resistent werden?
„Liebe Gen-Techniker:innen, ich übertrage Euch hiermit die Aufgabe, Ratten gegen den Wirkstoff der 3. Generation resistent zu machen…
Ich bin gespannt; aber ich verwette schon jetzt mein gesamtes Sparguthaben, dass Ihr es nicht schaffen werdet!
Wie solltet Ihr es schaffen? Ihr kennt die passende Gen-Kombination nicht!
Ihr könntet deshalb nichts anderes tun wie jeder normale Passwort-Knacker: Milliarden Kombinationen testen…“
Milliarden Variationen bieten die einzige Chance auf einen Treffer!
…genau das, was die „Natur“ auch tut!
Unter Milliarden genetischen Varianten ist vielleicht die eine „richtige“, die unter neuen Bedingungen (mit den neuen Giftstoffen) leben kann…
Das beweisen nicht nur die immer wieder von Neuem resistenten „Schadorganismen“, das hat „das Leben“ seit Jahrmillionen bewiesen…
Ich wiederhole deshalb meine Mahnung: Wir müssen die genetische Vielfalt unserer Nutzpflanzen und -tiere wieder maximal erhöhen, damit wir eines Tages, unter den zukünftigen, unbekannten Umweltbedingungen, die Varianten besitzen, die uns ein Überleben ermöglichen!
Das Ende vom (Ratten)Lied
oder: Kommen wir eines Tages zur Vernunft, d. h., vom Krieg zur friedlichen Koexistenz?
Ich plädiere eindringlich dafür, Ratten als unauslöschlichen Teil der „Lebensgemeinschaft“ auf unserer Erde zu betrachten und sie ausschließlich nach den erfolgreichen Gesetzen der Koexistenz zu behandeln, d. h., sie mit rationalen Maßnahmen in Schach zu halten, indem wir ihnen möglichst wenig Futter und Wohnplätze zur Verfügung stellen, einer Maßnahme, die zwar häufig zur Vorbeugung oder auch als Nachbehandlung von Gifteinsätzen empfohlen, aber nirgends als die einzig sinnvolle Maßnahme beschrieben und noch viel seltener konsequent umgesetzt wird.
Stattdessen wird immer wieder einfach nur messerscharf kurzgeschlossen, wie es z. B. das Schweizer Bundesamt für Umwelt mit folgenden Worten demonstriert: „Da die Nager sich bei gutem Nahrungsangebot rasch vermehren, sollten sie bei einem Befall rasch bekämpft werden.“
Bei so viel amtlichem Einsatz für das Gewerbe der Schädlingsbekämpfer frage ich mich: Kann man als „Normal-Bürger“ solchen Behörden vertrauen?
Hunderte von Internetseiten beschreiben detailliert die Bekämpfungsmaßnahmen von Ratten in der Kanalisation; aber ich konnte nicht eine einzige Untersuchung darüber finden, wo Ratten im Kanalsystem ihre Jungen aufziehen und ob man diese Zufluchtsorte nicht unzugänglich machen könnte?
Das Nahrungsangebot in Städten zu verringern ist ziemlich aussichtslos, allein schon wegen der vielen einsamen Menschen, die Stadttieren ihre Fürsorge angedeihen lassen.
Von achtlos weggeworfenen Abfällen und sonstigen Nahrungsquellen will ich gar nicht reden (darüber wird andernorts genug lamentiert)…
…aber ihre Zufluchtsorte könnte mensch schon verknappen…
Schaut Euch z. B. im obigen „Mink and Dogs OBLITERATE 133 Rats!“-Video den Ort der Handlung an, den Haufen mit uralten Batterien; der gesamte Hof ist eine einzige Müllkippe, ein wahres Rattenparadies!
Die Zeit, in der sich die „Kämpfer“ auf der Farm mit dem rohen Umbringen von Ratten beschäftigt haben, hätten sie sinnvoller z. B. in entsprechende Aufräumarbeiten investieren sollen. Das hätte die empfindsamen Nagetiere sogar zur Flucht veranlasst…
…wie anscheinend in Fachkreisen bekannt ist; aber für Menschen, die panisch reagieren, unüberlegt kämpfen oder von der Rattenbekämpfung leben, scheint eine solche, äußerst wirksame Methode zur Vertreibung von Ratten eher ein Dorn im Auge zu sein. Empfiehlt doch die bundesamtliche Ratgeber-Broschüre „Ratten und Hausmäuse – Sachgerechte Nagetierbekämpfung“ auf Seite 28: „Der Lebensraum der Tiere sollte während der Bekämpfung möglichst nicht verändert werden (auch keine Aufräum- und Reinigungsarbeiten), da die Nager sehr empfindlich auf Veränderungen in ihrer Umgebung reagieren. Sie meiden dann die Köderplätze oder verlagern ihren Aktionsraum.“
Es wird also von einer Maßnahme abgeraten, die, bei klarem Verstand betrachtet, das Problem lösen oder zumindest erheblich verkleinern könnte…
Ihr seht, es gibt eindeutig vernünftigere und wirksamere Möglichkeiten, Ratten an der (unbegrenzten) Vermehrung zu hindern, als Giftmord und Totschlag.
Wir sollten die Vorzüge der Koexistenz und der Kooperation erkennen, und mit „wir“ meine ich die Mehrheit der Vernünftigen und Empathischen, der Friedfertigen (ich weiß, dass ich nicht allein bin); wir sollten nicht mehr den Kriegstreibern aller Art das Feld überlassen!
Guten Morgen Jürgen, bin mal wieder auf Deine Seite gesurft und Dein Beitrag spricht mir aus dem Herzen…. ich liebe Ratten eigentlich, weil es so hübsche, große Mäuse sind und wenn sie nicht im Dreck leben, auch nix anderes übertragen als Hühner, Katzen, Hunde und der liebe Mitmensch. Durch unsere Hühnerhaltung bieten wir automatisch ein ganz erquickliches Zuhause für diverse Nagetiere…im alten Zuhause hatten wir nebendran eine Familie mit Kleinkindern wohnen, da mussten wir aufgrund der sozialen Einbindung in die Gesellschaft die Ratten vertreiben und bekämpfen. Da sie die Lebendfallen schnell durchschaut hatten (und Aussetzen in 10km Entfernung auch nicht das wahre ist, weil die Ratten ihren Familienverband brauchen); mir Totschlagfallen unangenehm sind, wegen der Konfrontation mit dem ermordeten oder auch zu erlösenden Gegner , griffen wir zu Gift. Das Elend wurde somit unter Tage verlegt. Das ist mir auch sehr unangenehm, weil es ein grausamer Tod ist.
Wir leben nun auf dem Land und unsere Hühner vermehren sich über Naturbrut selbst und einen Teil des Gartens habe ich als Beeren- und Gluckengarten eingezäunt und da hat sich nun eine Kolonie Großmäuse eingenistet. Begünstigt durch die Futterstellen (verteilte Näpfe, damit die Hühnermütter sich nicht bekämpfen) biete ich somit ein Paradies nicht nur für verwöhnte Hühner. Sie sind recht zutraulich und spazieren zwischen den Küken und ihren Müttern am hellichten Tage herum. Also Schauermärchen von angeknabberten Flauscheküken erlebe ich hier nicht. Nachts ausgelegte Giftköder liegen morgens symphatischerweise noch unangetastet da und wurden wieder weggeräumt. Unsere Katze fängt nur die kurzschwänzige Version, die als Beetschädlinge eigentlich viel unangenehmer sind als Ratten. Mein Mann versucht durch diverse Duftmittel in die Löcher die Tiere zu bitten, ein paar Meter weiter neu zu bauen…. wenn wir ganz abseits leben würden, würde ich sagen, leben und leben lassen, Hühnerfutter nur im Stall nach der Kükensaison, Lagerung in Tonnen etc. Wir haben angrenzend an den Kükengarten ein ganz liebes altes Ehepaar mit ihrem Garten, die schauen so gerne den Hühnern zu, ich hoffe, die Sehkraft hat schon nachgelassen… das Gras darf auch gerne höher wachsen….
Liebe Alexandra, danke für Deinen ausführlichen Bericht über Eure Koexistenz mit den großen Mäusen!
Es ist schön zu lesen, dass mensch auch ruhig reagieren kann, wenn diese Tiere in der Nähe sind; ich bin auch merklich ruhiger geworden, seit ich mich mehr mit den Tieren beschäftigt habe…
Viele Grüße, J:)
Bei mir im Gartenhaus besucht mich auch immer mal die ein oder andere Ratte. Die trappelt dann im Dach herum. Ich habe mir im Internet eine Hochfrequenz-Antimaus-Maschine bestellt. Die sendet Schallwellen aus, die für Ratten und Mäuseohren unangenehm sind. Ich höre die zwar auch, habe mich aber dran gewöhnt. Man kann die Intervalle einstellen.
Natürlich darf nichts zu Essen rumliegen – oder, wenn die Ratte brav ist, gibt es was auf dem Kompost.
Leider sonst auch kein Vogelfutter für die Vögel.
In Essigessenz getränkte Lappen verteilen, hilft auch.
Ich habe das Gefühl, dass wir so ganz gut miteinander auskommen. Die Ratte darf draußen im Garten sein, aber das Haus gehört mir. Bin hier seit 5 Jahren und bisher sind es nie mehr Ratten und Mäuse geworden. Die kommen und gehen.
Hatte gegoogelt, ob man mit Ratten koexistieren kann und bin so auf diesen Beitrag gestoßen. Hat mich sehr gefreut.
Wer dem Planeten wirklich schadet, sind jawohl leider eher wir ….Gruss Manju
Liebe Manju,
Dank für Deinen Kommentar! Es freut mich sehr, dass es mehr Menschen gibt, die hoffen, auch mit Ratten koexistieren zu können!
Ich bin der festen Überzeugung, dass auch Ratten unter normalen, friedlichen Umständen nicht die Pest oder sonstige Krankheiten verbreiten, bestenfalls solche, die sie sich vorher vom Menschen eingefangen haben.
Kanalisation und Keller in gutem Zustand zu halten, ist allemal besser als diese grausame, letztlich sinnlose Verbreitung von Giftstoffen.
Viele Grüße und auf gedeihliche Nachbarschaft mit allen Lebewesen!
Jürgen