Ein Denkmal für Stachelbeeren
oder: Wie ein Buch über die Vielfalt der Stachelbeeren diese hätte vermehren können.
Neulich habe ich sie per Zufall entdeckt: Eine neue Monografie der Stachelbeeren! Druckfrisch.
150 Jahre nach dem „Versuch einer Monographie der Stachelbeeren“ von Johann Pansner und 100 Jahre nach dem „Stachelbeerbuch“ von Louis Maurer haben die beiden Schweizer Biologen Claudio Niggli und Martin Frei diese Tat erneut vollbracht und den aussterbenden Stachelbeeren damit ein Denkmal gesetzt, das diese überdauern wird.
Ich kann natürlich nicht das Hohelied auf ein Werk anstimmen, das vor allem der Beschreibung (noch) vorhandener Sorten und deren Erhaltung gewidmet ist, ohne auch mein Lieblingslied zu summen: „Neue Stachelbeeren braucht das Land!“
Aber immer eins nach dem anderen: Erst einmal lobe ich dieses wirklich wunderbare neue Werk – unbesehen, aber nach einer Leseprobe.
Bevor ich zum Thema komme, noch ein Blick in die Vergangenheit: Ein paar Abbildungen aus einem der ersten Werke über Stachelbeeren „Monographie ou Histoire naturelle du genre groseillier“ von Claude-Antoine Thory, 1829; vielleicht ist es aber auch ein Vorgeschmack auf die Zukunft – wer weiß.
Welche Ziele verfolgen Verlag und Autoren mit der Veröffentlichung des Buches „Stachelbeeren“?
Sortenvielfalt und Kulturgeschichte lautet der Untertitel des Buches.
Der Haupt-Verlag, in dem das Buch erschienen ist, wirbt auf einer Webseite: „Die ganze Farbenfülle und Formenvielfalt der Stachelbeeren: 100 ausführliche Sorten-Beschreibungen mit Fotografien.“ .
Ja, ich möchte das Buch gerne besitzen, es in Händen halten, es berühren, darin blättern, mich an der Farbenfülle und Formenvielfalt der Stachelbeeren berauschen, ein wenig über die Kulturgeschichte der Stachelbeere erfahren, ja, ich hoffe heimlich, dass der Verlag (oder irgend jemand) mir das Buch schenkt (der Verlag hat mir ein Gratis-Exemplar zukommen lassen. Vielen Dank dafür!); denn ich bin nicht nur Stachelbeerliebhaber sondern auch ein Bücherliebhaber.
Aber was mache ich dann mit dem Buch?
Ich stelle es zu meinen zahlreichen anderen Büchern ins Regal.
Der Verlag hat das Buch „Stachelbeeren“ als „umfassendes Nachschlagewerk für Obstfreunde und -bauern“ konzipiert.
Also einerseits für einen wie mich, einen Obstfreund, der aber nur noch äußerst selten etwas in einem Buch nachschlägt.
Außerdem weiß der Verlag: „Stachelbeeren werden von wenigen verehrt, von manchen erduldet, von vielen verschmäht“, weil sie „in der Kultur unbequem“ sind.
An dieser Tatsache wird auch ein wunderschönes Buch nichts ändern.
Es gibt also nur nur sehr wenige Obst- bzw. Stachelbeerfreunde und diese wenigen schlagen außerdem nur noch sehr wenig in Büchern nach.
Überdies müssen sich die meisten Stachelbeerfreunde mit nur zwei Sorten begnügen, die sie im besten Falle hier und da in Baumärkten und Baumschulen angeboten bekommen: Hinnonmäki rot und grün.
Bleiben also noch die Obstbauern als potentielle Käufer dieses Buches.
Gewerbliche Stachelbeer-Anbauer werden aber wohl eher die „Beschreibende Sortenliste“ des Deutschen Bundessortenamtes konsultieren, in der die gegenwärtig empfohlenen Strauchbeeren dargestellt werden.
In dieser Liste werden 19 Stachelbeersorten beschrieben, 19 Sorten, die heute vielleicht eine wirtschaftliche Bedeutung haben. Mehr brauchen die gewerblichen Anbauer auch nicht.
Wozu brauchen die vom Verlag ins Auge gefassten Kreise also ein Nachschlagewerk mit 100 Sorten, die es nur in Riehen in der Schweiz gibt?
Ich bewundere den Mut des Verlages.
Die beiden Autoren wollen mit ihrer Arbeit die Stachelbeere, „dieses gefährdete Kulturerbe ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken.“
Sie arbeiten für PRO SPECIE RARA, die „Schweizerische Stiftung für die kulturhistorische und genetische Vielfalt von Pflanzen und Tieren“ und sind dort vor allem im Bereich der Erhaltung des Beerenobstes aktiv.
Sie beschreiben im Buch ausführlich, wie die Sammlung entstanden ist, und auch den großen Aufwand, den es kostete, alle Beeren exakt zu beschreiben und zu identifizieren.
Sind alle unbekannten Stachelbeeren „Alte Sorten“?
In dem Buch werden auch 32 Sorten vorgestellt, die in schweizerischen Privatgärten gefunden wurden und für die kein Sortenname ermittelt werden konnte („Sortenbestimmung noch offen“).
Ich finde es erstaunlich, dass die Autoren glauben, zu jeder Stachelbeere auch einen Sortennamen finden zu können.
Ist es heutzutage schon so abwegig, überhaupt daran zu denken, dass ein Stachelbeerbusch in jedem Garten zufällig aus einem Samen entstanden sein kann – und dann von den Besitzer:innen jahrelang gehegt und gepflegt wird, weil ihnen die Früchte schmecken?
Sie führen in dem Buch die bekannten Argumente ins Feld, die für den Erhalt genetischer Ressourcen, hier: der Beerenobst-Sammlung, zumeist vorgebracht werden:
Vom Wert genetischer Ressourcen
- …Damit aber auf einen breiten Katalog von Eigenschaften zugegriffen werden kann, muss die Verfügbarkeit verschiedener Sorten für die Züchtung und den Anbau garantiert werden können.…
- …Die Sorten müssen gleichzeitig auch in Freilandsammlungen als blühende und fruchtende Bestände bestehen, da sie nur hier als reelle Referenz für die wissenschaftliche Arbeit und als effiziente Vermehrungsgrundlage („Muttergarten“) dienen können.…
- …Doch die Landwirtschaft und die Bedürfnisse der Menschen verändern sich stetig und zum Teil rasch. Deshalb ist es wichtig, dass ungeachtet der aktuellen Produktionstrends eine möglichst breite Auswahl an genetischen Ressourcen erhalten werden kann.…
- …Werte wie guter Geschmack, Gehalt an Pflanzenstoffen als Gesundheitsfaktor (Vitamine, Antioxidantien usw.) werden zusehends wichtiger.…
- …Solche Einsichten bergen neue Chancen für die genetische Diverstät alter Sorten, da deren Qualitäten besonders in ganzheitlichen, traditionellen und nachhaltigen Kulturformen zum Vorschein kommen.
Ich will mich an dieser Stelle nicht lange mit den Schwächen des gegenwärtigen mechanistischen Erhaltungsansatzes sowie seiner Kurzsichtigkeit aufhalten, das habe ich andernorts schon ausführlich getan, und ich werde weiter unten noch einmal kurz darauf zurückkommen.
Ich frage mich vielmehr: Wer ist „die Öffentlichkeit“, in deren Bewusstsein die Stachelbeere wieder gerückt werden soll?
Sind das die schon genannten, wenigen Verehrer:innen der Stachelbeeren?
Oder sind es die Politiker:innen, die öffentliche Gelder verwalten und diese für die komplizierte, anspruchsvolle, wissenschaftliche „Sortenerhaltung“, wie sie auch im Buch dargestellt wird, zur Verfügung stellen sollen?
Dient das Buch also als „Arbeitsnachweis“ der mit viel Fördergeld geförderten Beerenobst-Erhalter:innen? Zumindest in einem Buch bleiben 100 Sorten erhalten…
Lebendige Stachelbeerkultur statt lebloser Stachelbeerkulturgeschichte
Dieses Buch ist eine hervorragende Dokumentation, die ich nicht genug bewundern und loben kann, doch leider fehlt mir an ihr das Wichtigste: Ein Samenkorn für eine zukunftsträchtige Entwicklung, für die Wiedererweckung einer lebendigen Stachelbeervielfalt.
Die akkurate Darstellung von 100 alten Stachelbeersorten ist ein Blick in die Vergangenheit und deren Huldigung.
Ebenso sind die gegenwärtigen Erhaltungsbemühungen der aufwändige Versuch, einen vergangenen Zustand zu fixieren: Die alten Obst- und Gemüsearten werden in Buchform, in Filmen, auf Fotos und „lebend“ bestenfalls in ein paar Museen und Schaugärten konserviert, wo sie, eh schon bedroht, tödlichen Gefahren ausgesetzt sind, von denen ich eine beispielhaft im nachfolgenden Kasten vorstelle.
Tödliche Gefahr für die „wissenschaftliche“ Sortenerhaltung
In dieser Bachelorarbeit wurden schwarze Johannisbeeren (Ribes nigrum L.) in der Einführungssammlung von ProSpecieRara (PSR) auf das Blackcurrant Reversion Virus (BRV) untersucht und es wurde nach einer Methode zur Virusfreimachung der infizierten Pflanzen gesucht. PSR sammelt in der Einführungssammlung und in der nationalen Beerensammlung (beide in Riehen BS) diverse Beerenarten. Das Ziel ist, alte Sorten zu erhalten und Wissen darüber zu gewinnen. BRV ist die schlimmste Krankheit bei R. nigrum. Es verursacht grosse Ertragseinbussen und verändert die morphologischen Sorteneigenschaften – dies beeinträchtigt die Arbeit von PSR. Pflanzenviren können im Feld kaum bekämpft werden, bei einem Befall müssen die Pflanzen in der Regel entfernt werden. Dies ist für PSR aber nicht möglich, da dann die Sorten nicht erhalten werden können. Deshalb wurde nach einer anderen Lösung für dieses Problem gesucht.
(digitalcollection der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, ZHAW)
Ich zeige in meinem Beitrag „Heilige Vielfaltigkeit“, dass eine solche museale Vielfalt eine tote, erstarrte Vielfalt ist, die für die Zukunft wertlos ist.
Die Vielfalt des Lebens kann jedoch nicht wie ein Ersatzteillager gepflegt und erhalten (sprich: konserviert) werden, diese Vielfalt kann nur stetig entstehen. Echte, lebendige Vielfalt ist immer ein (Zwischen)Ergebnis von Lebensprozessen.
Auch die 100 Stachelbeersorten, die in der Schweiz zusammengetragen wurden, sind das Ergebnis eines über 500-jährigen, lebendigen Prozesses gewesen, in dem äußerst selten jemand die Sorten gezählt und beschrieben hat; es war ein ständiges Entstehen und Vergehen von Stachelbeersorten im Fluss des Lebens.
Variantenvielfalt kann nur erhalten werden, wenn es gelingt, einen solchen Fluss wieder in Gang zu setzen.
Ich möchte mit diesen Aussagen die Verdienste der bisherigen Erhaltungsbemühungen auf keinen Fall schmälern: „Alte“ Sorten zu sammeln, zu dokumentieren, sie wieder bekannt und verfügbar zu machen, ist der erste und wichtigste Schritt gewesen; doch dabei darf es nun nicht bleiben: „Die Geburtenrate neuer Varietäten muss wieder gesteigert werden!“ – will ich mal im Jargon der Bevölkerungsexperten den nächsten Schritt formulieren.
Ich würde dem Buch die allergrößte Verbreitung wünschen und diese mit allen Kräften befördern, wenn ich damit gleichzeitig die Vielfalt der Stachelbeeren vermehren könnte.
Leider enthält das Buch nicht einmal ein paar, jedermann leicht zugängliche Bezugsquellen für Stachelbeeren aus der Riehener Sammlung, bei denen sich die neuen (und alten) Verehrer:innen eine der gefährdeten Sorten verschaffen könnten, um sie im eigenen Garten zu (er)halten.
Es wäre sogar noch viel mehr für die Stachelbeervielfalt getan worden, wenn die Herausgeber zusammen mit dem Verlag, vielleicht als kleine Marketingmaßnahme, jeder Käufer:in des Buches ein Päckchen mit 10 Stachelbeeren aus dem beschaulichen Stachelbeer-Refugium in Riehen geschenkt hätten.
Wenn von den Samen dieser Beeren nur 10.000 keimen, 1000 zu großen Stachelbeerbüschen heranwachsen und 100 sich in den widrigen Verhältnissen ihrer Umwelt bewähren würden, hätte sich die Vielfalt der Stachelbeersorten mit einem Schlage verdoppelt.
Wenn dann nur 100 Stachelbeer-Liebhaber:innen ein paar weitere Büsche aus den Samen dieser Büsche ziehen würden, was wäre dann?
Dann wäre vielleicht eine zukunftsträchtige Quelle des Lebens angebohrt worden, aus der Hunderte von neuen Sorten sprudeln würden. Es wäre eine neue, lebendige Stachelbeerkultur entstanden. Die Vielfalt der Stachelbeeren wäre eine blühende, eine ungefährdete, über deren Erhalt man sich keine Gedanken mehr machen müsste.
Das gilt natürlich genauso für alle anderen Obst- und Gemüsearten.
Wo und wie kann neue Stachelbeervielfalt entstehen?
Es bleibt natürlich die Frage, ob eine solche lebendige Kultur, wie es sie ehemals gab, heute überhaupt noch möglich wäre?
Momentan sehe ich nur einen Bereich, in dem sie entstehen könnte: Die Hobby-Gärten (und in etwas größeren Maßstab die Bio-Landwirtschaft).
Kann ein gewerblicher Stachelbeerzüchter die Stachelbeervielfalt retten?
Nachtrag vom 23. Juli 2022
Heute bin ich durch Zufall auf die Besprechung dieses Buches durch den Schweizer Obstzüchter Markus Kobelt (Lubera) gestoßen.
Er zerreißt es im gleichen Tenor wie ich: Die Stachelbeere ist tot – und dieses Buch ist ihr Grabstein.“ Darüber hinaus teilt er recht ordentlich gegen die „Erhaltungsbürokratie“ aus, die ständig besser mit Finanzmitteln ausgestattet wird im Gegensatz zur privaten, gewerblichen Obstzüchtung, die sich finanziell nur mühsam über Wasser halten kann…
Seine Polemik hat also einen durchsichtigen Hintergrund: Eigenwerbung.
Pflanzen Sie Stachelbeeren!“
Herr Kobelt versucht in einer Marktwirtschaft zu überleben; das ist aller Ehren wert. Aber seine paar Stachelbeersorten machen die Stachelbeervielfalt auch nicht fett; das ist gewiss…
Hobby-Gärtner:innen sollten ermutigt werden, Obstsämlinge aufzuziehen; nur dadurch können sie Vielfalt schaffen und am Leben erhalten; ein paar alte und neue Sorten anzupflanzen, vermehrt die Vielfalt in keinster Weise.
Einen Aufruf zur Sämlingsanzucht hätte ich in einem Buch, das der Stachelbeervielfalt huldigt, an prominenter Stelle erwartet genauso wie die Beschreibung der Samengewinnung und der Sämlingsanzucht bei Stachelbeeren.
Den wenigen Stachelbeer-Liebhaber:innen, die es vielleicht wagen wollen, ganz bewusst neue Stachelbeervielfalt zu schaffen, zeigen die folgenden Seiten aus dem Buch von Johann Pansner: Versuch einer Monographie der Stachelbeeren, S. 26 – 33 sowie 89 wie die Anzucht von Stachelbeerbüschen aus Samen funktioniert.
Ich kann es aber auch in einem Satz sagen: Zerdücke einfach ein paar Früchte und „säe“ das Beerenmus in eine flache Bodenrille, so wie Du es mit getrockneten Samen tätest; (Beeren)Obstsamen dürfen niemals austrocknen, weil dadurch ihre Keimfähigkeit stark verringert wird.
Ergebnisse meiner Bemühungen, Stachelbeeren zu vervielfältigen
Ich habe mittlerweile knapp 50 Stachelbeersämlinge groß gezogen und erste Erfahrungen mit ihnen gesammelt. Einige Bilder der entstandenen „Sorten“ kannst Du hier sowie in den Beiträgen „Der Same ohne Eigenschaften“ und „Ich werde Stachelbeerzüchter“ betrachten. Einen Gesamtüberblick über alle Beeren meiner Sträucher, die bisher gefruchtet haben, bekommst Du in „Geburt der Vielfalt“.
Ich werde dieses Experiment fortführen und sogar noch ausdehnen. Ich will zeigen, dass es möglich ist, neue, lebendige, wachsende Stachelbeer-Vielfalt zu schaffen. Mit der zunehmenden Zahl unterschiedlicher Stachelbeerbüsche erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass ganz neue, ausgefallene, vielleicht auch unter zukünftigen Bedingungen gedeihende Varianten entstehen.
Ich kann jetzt schon sagen, dass die Beeren aller Büsche nicht schlechter waren, als die der „Baumarkt“-Sorten.
Die Beeren und Triebspitzen von einigen Büschen waren vom Amerikanischen Stachelbeermehltau befallen; das lässt sich bei alten und neuen Sorten nicht vollständig vermeiden.
Viele Sämlinge zeigten jedoch keinerlei Befall.
Auch die Larven der Gelben Stachelbeerblattwespe (Nematus ribesii) haben sich von den Blättern zahlreicher Büsche genährt und sie teilweise radikal abgefressen; aber einigen Sträuchern haben sie kein Blättlein gekrümmt…
Wer Hunderte von Sämlingen keimen lässt, kann in den ersten Jahren schon sehen, wie sie auf „Mitesser“ (Krankheiten und Schädlinge) reagieren. Selbstverständlich sind einige mehltau-anfällig, beliebt bei den Larven der Stachelbeerblattwespe oder sonstwie schwächlich; diese kann man zeitig aussortieren (wenn man sich nicht mit der Kontrolle der Konkurrenz beschäftigen will).
Vielleicht findet sich darunter aber auch ein besonders widerstandsfähiger Sämling oder einer mit besonders wohlschmeckenden Früchten. Wer weiß…
Dieser Beitrag hat vorrangig das Ziel, Euch, meine lieben Leser:innen zu animieren, Euch nicht nur an einem schönen Buch zu erfreuen, sondern auch zwei, drei (oder mehr) Stachelbeerbüsche aus Samen zu ziehen, mit ihnen Erfahrungen zu sammeln und Euch an den Überraschungen zu erfreuen, die die Beeren dieser Büsche auf jeden Fall bieten werden (ich kann es immer kaum erwarten, die Früchte eines Sämlings zu sehen und zu schmecken).
Ich hoffe heimlich, dass es in Zukunft genügend Hobby-Gärtner:innen gibt, die ebenfalls mehr Spaß an Überraschungen haben als an voraussehbarem Erntegut…
…sonst sehe ich schwarz für die (genetische) Vielfalt unserer Nutzpflanzen – und vielleicht sogar für die Zukunft der Menschheit.
Stachelbeeren – Sortenvielfalt und Kulturgeschichte
Niggli, Claudio / Frei, Martin / Schlettwein, Daniela (Hrsg.) / ProSpecieRara, (Hrsg.)
ISBN: 978-3-258-08105-2
1. Auflage 2019
256 Seiten, über 400 Farbfotos, 10 Zeichnungen
gebunden, 19,5 x 23,5 cm, 979 g
Haupt Verlag
CHF 39.90 (UVP) / EUR 39.90 (D) / EUR 41.10 (A)
(Ich will nicht verschweigen, dass die Hauptstadtgärtnerin für meine Bekanntschaft mit diesem Buch verantwortlich ist)
lieber Jürgen, liebe Mitleser
welch wunderbare Buchkritik, auch ich bin stolze Besitzerin der Niggli/Frei Stachelbeerenbiografie und würde mir ähnliche Nachschlagewerke für so ziemlich jede Beerenfrucht wünschen. Für Sauerkirschsorten jenseits der Schattenmorelle und völlig unterschätzten ‚Zierapfelsorten‘, ‚Kirschpflaumensorten‘ ebenfalls!
Für Tomaten wäre es wirklich an der Zeit, ein haptisch greifbares Standardwerk zu erstellen, meinetwegen mit 200 Seiten und 350Rappen stark. Es gäbe bestimmt Abnehmer dafür..denn Tomaten hat so ziemlich jeder Europäer irgendwo: als Mark, Ketchup, auf Pizza als Soße oder frisch im Salat.
Eigentlich bewahre ich gerne Sorten und Arten vor dem Verschwinden, ohne selber zu züchten, ich bin und bleibe ein Erhalter und bin stolz einen Beitrag zur genetischen Vielfalt leisten zu können. Für Obstbäume bin ich auch inzwischen zu alt ;)
Die Stachelbeere hat mich gerufen und nun bin ich da, mit einem großen Garten und Anbaumöglichkeiten.
Ich möchte mich an ihr stechen und wundschrabbeln, mich mit Mehltau rumärgern (Milchsäure mag dieser übrigens überhaupt nicht) und einfach nur einmal mehr als Hinnonmäki rot/weiß kosten.
Meine Oma hatte bestimmt 10 Sorten in ihrem Schrebergarten, die sie als Samen oder Stecklinge aus Ostpreussen mitgebracht hatte. Leider sind diese verloren.
Jetzt möchte ich ein Projekt : ‚Omi Grete‘ starten, alte Sorten auf kalkreichem Boden im Weinbauklima anbauen.
Wenn mir jemand erhaltenswerte Reiser oder Jungpflanzen für den Start überlässt würde ich mich sehr freuen.
ein stacheliger Toast auf die verkannte Königin der Beeren
Liebe Astrid,
Du willst also trotz meiner Kritik „alte“ Sorten sammeln und erhalten? Welche Eigenschaften sollen „erhaltenswerte“ Büsche für Dich haben?
Wenn Du viele verschiedene, an Dein Klima angepasste Stachelbeerbüsche haben möchtest, solltest Du Stachelbeerfrüchte sammeln und deren Samen in Deinem großen Garten aussäen; dann hast Du ganz schnell eine unüberschaubare Stachelbeervielfalt und kannst Dir die erhaltenswerten „Sorten“ selbst aussuchen.
Überlasse die Erhaltung von „alten“ Sorten lieber den Spezialisten, die Zugang zu Fördertöpfen haben! Die Erschaffung von neuen Sorten ist viel, viel spannender – und bringt erheblich mehr für die genetische Vielfalt der Stachelbeeren; denn diese gilt es zu erhalten (wieder zu schaffen), nicht ein paar Büsche, die zufällig die Zeitenwenden überlebt haben!
Ich habe mittlerweile an die 80 neue „Sorten“, die in diesem Jahr Früchte tragen; diese werde ich in einem Beitrag sämtlich in Wort und Bild vorstellen. Wenn Dir davon irgendwelche gefallen, werde ich Dir gerne Reiser (oder auch Jungpflanzen) von ihnen zukommen lassen.
Beste Grüße und viel Erfolg für Dein Projekt
J:)rgen
Huhuz Jürgen,
ich habe überlegt ob dieser Kommentar nicht besser in eine mail untergebracht wäre und mich mal spontan dagegen entschieden. Eine Kritik der rationalen Vernunft an harmlosen Beerensträuchern von denen man doch nur eines erwartet: Leckere gesunde Früchte in Vielzahl.
Warum nicht so etwas auf bereits Vorhandenem aufbauen, mit Kenntnis der Schwächen und Optimierung derselben?
Bei willkürlich anfallenden Kreuzungen kommt unweigerlich nach einigen Generationen eine Art ‚Urform‘ heraus, die zwar bodenwirksam und trachtenfliegertechnisch optimal ist, aber nichts mehr mit echter Züchtung und Nachzüchtbarkeit zu tun hat.
Unbezweifelt ist Dein Instinkt für richtige Pflanzen an richtige Standorten, noch Dein in hÖchsten Tönen zu lobendes Interesse (von meiner Seite ein ordentliches Trötröö) an einer..naja, sagen wir ..nebenbei zum Platzfüllen-Gruppe der Stachelbeeren, so wie sie sich in der Öffentlichkeit präsentiert.
Egal um welche Obst oder Gemüsesorte es sich handelt, wenn eine benannte Sorte noch noch 150Jahren regional existiert, kann es nicht falsch sein, sich auf die Suche nach Samen oder Reisern zu begeben.
Dieses kostbare Erbgut sollte nicht durchmischt werden; die Zeit der Zufallssämlinge bei Beeren, aber vor allem bei Obst ist in meinen Augen vorbei.
15000 Pflanzen, für einen einzigen recht guten und verbreitungswürdigen ‚Zufall‘ ist mir schlicht zu wenig.
Lieber Jürgen, seit Tagen durchforste ich jetzt schon Deinen Blog und bin begeistert von Deinem Enthusiasmus, ich bedanke mich auch für das Angebot an Steckreisern für Deine ganz persönlichen Stachelbeeren – sehr gerne werde ich sie anpflanzen und gespannt auf die ersten Früchte in ein paar Jahren warten, die Auswahl an 5 überlasse ich gerne dir.
Robust sollten sie sein, wohlschmecken..das sind die Kriterien auf denen man aufbauen kann.
Der widerspenstigsten, dunkelsten und knorrigsten würde ich gerne den Sortennamen ‚Astrid‘ verleihen –
Viele liebe Grüße aus dem Tomatenwald
@strid
Liebe Astrid,
danke für Deinen Kommentar (besser als eine Mail; denn so können mehr Leute angeregt werden, sich zu dem Sachverhalt eigene Gedanken zu machen)!
In einem Punkt muss ich Dir als Enthusiast energisch widersprechen: Deine Ansicht, dass bei willkürlichen Kreuzungen nach einigen Generationen eine Art ‚Urform‘ herauskäme, ist eine reine Annahme, die unbewiesen ist (wenn Du den Disput zwischen zwei Stachelbeerliebhabern vom Anfang des 19. Jahrhunderts verfolgst, den ich in meinem Beitrag „Keine Angst vor Sämlingen“ dokumentiert habe, wirst Du dort die gleiche Argumentation finden). Aus willkürlichen Kreuzungen entstehen immer Büsche mit willkürlichen Eigenschaften; diese können gut, unbedeutend oder schlecht sein. Es können aber nur so Eigenschaften entstehen, an die man nicht einmal denken kann, bevor man sie nicht gesehen hat: Die meisten „alten“, verloren gegangenen Sorten sind so entstanden.
Biologie (Genetik) basiert auf anderen Gesetzen als Physik, in der es bei der Mischung zweier Flüssigkeiten ein Bestreben nach einer einheitlichen Verteilung (Durchmischung) der beiden durch Diffusion gibt. Bei lebenden Organismen entstehen durch Zufall immer wieder neue Varianten (Mutation) und die Zielrichtung der Entwicklung wird allein durch die Auswahlkriterien der Umwelt bestimmt; es gibt keine davon unabhängige Entwicklung, die automatisch zu einer einheitlichen ‚Urform‘ führen würde.
Gezielte Züchtung zielt immer auf die Kombinierung bestimmter, gewünschter Eigenschaften ab – und es passiert dann genau das, was die Sortenvielfalt extrem verringert hat: Die Einengung auf ganz bestimmte, marktwirtschaftlich wertvolle Eigenschaften.
Genau von diesem verengenden Weg möchte ich wegkommen.
Mein kleines, harmloses Experiment mit 100 willkürlich gekreuzten Stachelbeerbüschen hat schon deutlich gemacht, dass es nicht 15000 Pflanzen braucht, um einen brauchbaren Zufallssämling darunter zu finden. Ich möchte behaupten, dass knapp 80 % meiner Sämlinge brauchbar bis gut sind, einige sogar ungewöhnlich und besonders interessant. Je größer der genetische Pool ist, desto mehr ungewöhnliche Varianten können entstehen. Mein Experiment steht also erst am Anfang; es wird mit der Zeit noch viel interessantere „Sorten“ hervorbringen, da bin ich mir sicher.
Die Zeit der Zufallssämlinge ist vorbei, da hast Du recht; aber genau diese Zeit hat die außerordentliche Vielfalt geliefert, die heute verloren gegangen ist, und deshalb sollte die Zeit der Zufallssämlinge wiederkommen und neue genetische Vielfalt unserer Nutzpflanzen (und -tiere) schaffen, um sie stabil und gesichert erhalten zu können. Das geht nur durch ständige Aufzucht von Zufallssämlingen.
Liebe Astrid, ich möchte Dich nicht davon abhalten, alte, bewährte Sorten zu sammeln, da weißt Du wenigstens, was Du hast (sofern sie nicht durch klimatische Änderungen und Schadorganismen zugrunde gerichtet werden); aber versuche einmal 50 Stachelbeersämlinge aufzuziehen, und ich sage Dir, Du wirst extrem überrascht sein, welche Vielfalt Du bekommen wirst (wenn nicht, kannst Du sie nach drei, vier Jahren wieder platt machen).
Übrigens sind die Kriterien „robust“ und wohlschmeckend“ zwei Kriterien, die nicht objektiv zu erfassen sind: Robust können sie an meinem Standort sein, an Deinem überhaupt nicht, und sie können für mich wohlschmeckend sein, Dich aber anwidern.
Du siehst, es bleibt Dir nichts anderes übrig, als möglichst viele Sorten bei Dir zu versammeln und selbst zu testen – was am leichtesten durch die Anzucht von Sämlingen möglich ist.
Ich hoffe, wir bleiben in Kontakt und ich kann Dich irgendwann einmal in Deinem Stachelbeergarten besuchen – um Deine Erfolge mit meinen vergleichen zu können. Du bist aber auch jederzeit herzlich in meinen Garten eingeladen; vielleicht kannst Du dann mal die Vielfalt des Beerenobstes im Erhaltungsgarten in Riehen (bei Basel/Schweiz) – Du hast ja das Stachelbeerbuch – mit der Vielfalt in meinem Garten vergleichen.
Liebe Grüße, J:)rgen
hab Dich auch lieb :))))
Gibst Du mir denn 5 Deiner (un)willkürlich und ohne wissenschaftlichen Aspekt profunden und zur weiteren Vermehrung in anderem Raum geeigneten Hölzer? Robust und Wohlschmeckend ist ..na herrje, es sollten nicht im ersten Tragjahr 90% der Blätter und 50% der Beeren wegen des USMehltaus dahingerafft werden. Wohlschmeckend heißt schlicht, daß niemand beim vorrübergehenden Probekosten Gesichtslähmung erleidet.
Meine Mutter isst nebenbei nur unreife Stachelbeeren und mag reife überhaupt nicht. Ich hab noch so eine große Gelbe, reichlich behaarte von meiner Oma im Kopf, die ich einfach ausgelutscht habe, weil die Schale verdammt sauer war – der Inhalt war zuckersüß und kindgerecht.
Komm vorbei, in einem Monat habe ich ca 50 verschiedene Tomaten im Freiland…probiere Dich durch und ja:
bittebitte nicht angefressen sein, ich liebe den Blog:
lg und gutes Gelingen, heute soll es nach 8 Wochen(!) hier mal wieder regnen..bin gespannt
@strid
Vielleicht begründen wir wirklich eine anbauenswerte Sorte, aber laß mir doch die Leidenschaft der Erhaltung.
Fühle mich jetzt total klein, dabei wollte ich nur ein paar stachelige Beeren..
PS.
Liebe, liebe @strid, bitte bitte nicht klein sein!
Ich lege nur gerne Finger in Wunden und versuche halt möglichst viele Menschen von der „Erhaltung“ abzubringen, indem ich versuche, sie von der Vermehrung der genetischen Vielfalt durch Sämlingsaufzucht zu überzeugen.
Wenn mir das nicht gelingt, bin ich auf keinen Fall angefressen; denn jed*r hat eigene Kriterien und Vorlieben und die möchte ich auf jeden Fall respektieren.
Klar bekommst Du Stecklinge meiner besten Pflanzen und Du darfst auch gerne eine ‚Astrid‘ nennen, wenn Dir eine gefällt.
Ich mache das Ganze aus und mit Spaß – und das soll auch so bleiben (auch wenn ich ernsthaft diskutiere)!
Schicke mir Deine Adresse (per Mail), dann schicke ich Dir im Herbst Reiser. Vielleicht besuche ich Dich wirklich vorher auch mal; dann bringe ich Dir Stachelbeeren mit Samen mit.
Liebe Grüße, J:)rgen
Hallo, Astrid.
Wie vor vielen Jahren, wunderschöner Stil und Ausdruck mit dem richtigen Inhalt und dem Anspruch des Erhaltens von Althergebrachtem.
Mein mittlerweile drittes und unersetzliches Ehegespunst und ich haben einen großen Garten am Rande Krefelds, in dem einige Beerensträucher seit, scheinbar von den Ahnen gepflanzt. Als botanischer Laie verstehe ich da nicht viel von, aber die schwarzen, roten und grünen Früchte schmecken einfach gut. So wie früher.
Liebe Grüße
Karl-Heinz
Hallo Jürgen,
danke für den Ansporn zur Stachelbeerzucht! Ich habe zwar schon Stachelbeeren durch Ableger vermehrt, bin aber noch nie auf die Idee gekommen, die Samen einzupflanzen! Das werde ich dieses Jahr gleich ausprobieren.
Liebe Grüße, Mirjam
Hallo Mirjam, ich hoffe, dass es klappt, und Du mit interessanten Stachelbeervarianten belohnt wirst!
Liebe Grüße, J:)rgen
Du bist nicht allein,
denn auch ich mag Stachelbeeren sehr!
Mein erster Versuch, eine rote Stachelbeere bei mir heimisch werden zu lassen, ging gewissermaßen voll in die Hose, denn sowohl der Busch als auch die Beeren waren komplett von Mehltau überzogen. Das Urteil fiel hart aus…ab in die Restmülltonne.
Im vorigen Jahr bin ich erneut mutig zur Tat geschritten und habe mir drei kleine Büsche gekauft. Sie sollen rote, gelbe und grüne Beeren tragen. Das erste zarte Grün ist an den Trieben erschienen. Nun hoffe ich auf einen schönen Sommer, damit ich die ersten Früchte probieren kann.
Auf den Schildern ist leider kein Sorten-Name angegeben, denn den würdest Du doch gerne wissen….
Fröhliche Gartengrüße von Edith
Hallo Edith,
ja, da hast Du recht, Sortennamen von Stachelbeeren, die es im Handel gibt, würde ich gerne wissen. Es wundert mich, dass kein Name angegeben ist; bei Beerenobst ist das in der Regel der Fall.
Aber noch mehr als der Sortenname interessieren mich die Samen.
Wenn Du dieses Mal mehr Glück hast, würde ich mich freuen, davon ein paar zu bekommen; aber auch, wenn Du kein Glück hast und wieder Mehltau sein zerstörerisches Werk fortsetzt.
Weißt Du zufälligerweise noch den Sortennamen der entsorgten Stachelbeere? Oder hast Du noch ein paar mehr Informationen über jenen Busch? Beerenfarbe und Form, Behaarung etc.?
Auf jeden Fall wünsche ich viel Spaß im Garten!
Liebe Grüße
Jürgen
P.S.: Ich werde heute noch in den Garten fahren und mich um die Kartoffeln kümmern…
Hallo Jürgen,
heute habe ich mir die Stachelbeerbüsche mal genauer angesehen. Lediglich der Busch, der rote Früchte tragen soll, hat ca. 10 kleine Beeren angesetzt. Die zwei anderen Pflanzen haben keine Beeren , aber Anzeichen von Mehltau.
Mein Optimismus, doch noch ordentliche Stachelbeeren zu bekommen, schwindet.
Das Gartenjahr bleibt spannend!
Alles Gute
Edith
Hallo Edith,
gib nicht zu früh auf, gib den Stachelbeerbüschen noch ein, zwei Jahre, gib ihnen noch eine Chance, Dir Beeren zu liefern.
Ansonsten schicke ich Dir von meinen besten Büschen ein paar Ableger (Stecklinge); es sind einige mehltau-resistente dabei.
Liebe Grüße Jürgen