Ein Erweckungserlebnis
oder: Wie ich die „Berliner Netzmelone“ erfolgreich im Garten angebaut habe.
Über die geschichtlichen Hintergründe der „Berliner Netzmelone“ habe ich ja schon ausführlich berichtet – und auch, dass ich ein paar Samen aus der Genbank des Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung, kurz IPK, erhalten hatte.
Was jetzt noch fehlt, ist der Bericht darüber, wie ich diese, sicher seit 50 Jahren nicht mehr angebaute Melonensorte wieder zum Leben erweckte.
Hier ist er:
Mein Plan sah vor, wieder acht Melonen im Folientunnel zwischen Tomaten, Paprika und Auberginen sich ausbreiten zu lassen.
Anfang April verteilte ich deshalb die erhaltenen 16 Samen zu jeweils zweien in die Anzuchttöpfe. 12 Pflanzen erhoben sich alsbald aus dem Erdreich, d. h., die Keimrate lag exakt bei 75% (dabei sollten die Genbanken laut offizieller Handbücher das Saatgut spätestens bei einer Keimrate von 85% erneuern).
Nun gut, für mich war das noch in Ordnung; wenn ich aber bedenke, dass die Genbank jetzt ordentlich für ihre Saatgutproben bezahlt werden will, finde ich das schon nicht mehr so in Ordnung.
Lassen wir die Beschwerden, wir wollen diese gemeinnützige Institution doch gerne unterstützen und fördern.
Ich war froh, überhaupt Samen der „Berliner Netzmelone“ bekommen zu haben.
Als der Folientunnel am 19. Mai proper aufgebaut war, erhielten dort auch acht Melonenpflanzen sofort ihren endgültigen Lebensraum zugewiesen (zwei quetschte ich zur Sicherheit noch ins Gewächshaus).
Eine Woche später hatten sich allerdings die Schnecken schon zwei Pflanzen als Tribut einverleibt. Schon wieder hätte ich lamentieren können; doch ich freute mich lieber, dass sie mir sechs gelassen hatten.
Diese sechs breiteten sich zügig aus und am 15. Juni entdeckte ich (endlich!) die erste weibliche Blüte (nach vielen männlichen).
Zehn Tage später hatte sie schon eine deutlich erkennbare Melonenform angenommen.
Wie es dann weiterging, zeigt die nachfolgende Bildergalerie:
Fünf Pflanzen setzten jeweils eine Frucht an, nur eine Pflanze brachte es auf zwei Früchte. Eine Pflanze hatte zwar drei oder vier weitere, faustgroße Melonen gebildet, die aber sämtlich ihr Wachstum einstellten und abgestoßen wurden, nachdem ich ihnen eine Unterlage verpasst hatte. Ich kann nicht genau sagen, ob es an diesem übereifrigen Eingriff lag, aber irgendwo, glaube ich mal gelesen zu haben, dass man Melonen nicht zu früh bewegen sollte.
Letztlich schwollen insgesamt sieben Melonen rasch und sicher an.
Ich fand sieben Exemplare recht wenig, hatten doch die Melonen der letzten Jahre mindestens drei, vier Früchte pro Pflanze geliefert.
Als die Melonen aber gar nicht aufhören wollten zu schwellen, wurde ich milder gestimmt. Letztlich kommt es ja auf das produzierte Fruchtgewicht an und nicht auf die Anzahl der Früchte; ob sich diese Masse nun auf mehrere Melonen verteilt oder ob sie auf eine Frucht konzentriert wird, sollte egal sein.
Rein rechnerisch ist das richtig, aber einen Nachteil hat diese Einseitigkeit schon: Man muss die Melone zerschneiden, wenn man nur einen begrenzten Appetit bzw. eine geringe Anzahl an Mündern zu stopfen hat – oder ein übergroßes Gepäckstück mit sich herumschleppen, wenn man die Melone nicht gleich an Ort und Stelle verputzen will.
Seit drei Jahren fahren meine Jungs und ich einmal mit dem Rad von Berlin in den 100km entfernten Garten und wieder zurück. Für die diesjährige Rückfahrt am 5. August wollte ich nun gern eine Melone als Erfrischung für unsere Rast am See zur Verfügung haben – ein sechs Kilogramm schweres Trumm ist da echt eine Belastung.
Gott-sei-Dank war nicht das größte und schwerste Exemplar schon so weit von Schnecken, Asseln und anderen Kleintieren benagt, dass ich es durch eigenen, unverzüglichen Verzehr glaubte retten zu müssen.
Wir traten also kräftig in die Pedale, ich die Melone die ersten zwanzig Kilometer auf dem Rücken und weitere dreißig in der Satteltasche, als wir endlich am See ankamen, wo die vier Jungs sich ins Wasser stürzten, während ich die Melone in mundgerechte Stücke teilte.
Kaum hatte ich die Teilung des Getüms vollbracht, als der große Regen kam.
Ich wusste deshalb eine geraume Zeit nicht, ob der wässrige, wenig süße Geschmack unserer Melone durch den Regen bedingt war. Sie war süß, ja, aber bei weitem nicht so süß, wie man es gewohnt ist, wenn man heutzutage in eine Honigmelone beißt – und ich hatte mir in dieser Hinsicht große Hoffnungen gemacht.
Wir aßen also nicht die ganze Melone auf, obwohl die Kinder sie zu jenem Zeitpunkt nicht verachteten; mindestens fünf Kilo Melone musste ich mit dem Rad noch die restlichen fünfig Kilometer bis nach Berlin transportieren, damit auch Frau und Stieftochter sie probieren konnten.
Komme ich zum letzten Akt, dem Transport meiner größten „Berliner Netzmelone“ zu meiner Arbeitsstätte – dieses Mal vom Garten nach Berlin mit dem Auto, nur die paar Kilometer von meiner Wohnung im Rucksack – und ihre Präsentation dortselbst.
Diese Melone wog sage-und-schreibe elf Kilogramm und rief aus diesem Grunde entsprechende Reaktionen hervor: Das ist niemals eine Melone, das ist ein Kürbis!
Und, war diese Melone nun richtig lecker?
Der Geschmack als entscheidendes Kriterium teilte das Team in zwei Lager: Die einen bemängelten ebenfalls die fehlende Süße, doch andere jubelten über die saftige, nicht so übermäßig süße Erfrischung!
Womit zu diesem Thema alles gesagt ist.
Nun finden die Angaben in dem Bericht des Gärteninspektors Moncorps aus dem Jahre 1900, die mir 2016 noch rätselhaft erschienen, allerdings eine plausible eine Erklärung:
und
„…zur Samengewinnung keine Frucht unter 6 Kilo Schwere zu verwenden; ich habe aber Melonen von 13 Kilo Schwere geerntet.“
Die kolossalen, bis 13 Kilogramm schweren Wuchtbrummen der „Berliner Netzmelone“ wurden damals also bevorzugt zum Einmachen verwendet und weniger roh verspeist.
Oder hat jemand noch Ideen, wie man Melonen einmachen kann, was man aus ihnen machen kann?
Ich muss gestehen, dass ich in diesem Fall nicht unglücklich darüber war, dass der übermäßig nasse, diesjährige Sommer und die damit zusammenhängende Feuchtigkeit im Tunnel das Kleintierleben außerordentlich begünstigte und beide zusammen neben einigen Tomaten den größeren Teil der wunderbaren „Berliner Netzmelonen“ in Fäulnis übergehen ließen – und ich meine Seele somit nicht mit ihrer Entsorgung belasten musste.
Genügend Melonenkerne sind gesichert, so dass ich die „Berliner Netzmelone“ in mein Melonen-Zuchtprogramm integrieren kann: Ein Pflänzchen wird auch im nächsten Jahr im neuen Tunnel eine Frucht produzieren dürfen.
Bis ich jedoch wieder einen „Reinanbau“ der „Berliner Netzmelone“ vornehme, muss ich erst ein paar Einmachrezepte für dieses Unikum ausgegraben haben (oder das Saatgut seine Keimfähigkeit zu verlieren drohen); die Rezepte müssen darüber hinaus zu Erzeugnissen führen, die mir zu munden versprechen.
Die Roh-Melone hat mich leider geschmacklich nicht überzeugt; sie beeindruckt ausschließlich durch ihre imposante Größe.
Dabei hatte ich gehofft, den Bio-Anbauer*innen im Berliner Umland eine Empfehlung für die Erweiterung ihres Angebots machen zu können; aber ich glaube, nicht nur ich bin ich durch die Melonen-Importe aus dem Süden schon zu verwöhnt.