Falsche Fuffziger
oder: Von Gurkenpflanzen, die blühen, aber keine Früchte tragen.
Man muss kein Koreanisch können, um aus koreanischen Gurkensamen Gurkenpflanzen ziehen zu können; aber man muss schon bestimmte Dinge über Gurken wissen, um von ihnen auch Gurken ernten zu können.
Heute möchte ich von einer Erfahrung berichten, die liebe Gartennachbarn machen mussten, weil ihnen dieses Wissen fehlte. Vielleicht bewahrt mein Bericht die eine oder den anderen von Euch vor der gleichen Erfahrung, weil sie oder er etwas mehr weiß; denn man kann diese Erfahrung auch mit „deutschen“ Gurkensamen machen.
Vielleicht haben meine Nachbarn aber auch eine Entdeckung gemacht, von der noch niemand weiß; wer weiß…
Wer wissen will, muss (weiter)lesen…
Von männlichen und weiblichen Gurken
Neulich habe ich mich etwas ausführlicher mit der Frage beschäftigt „Ist Gärtnern weiblich?“ Heute hätte ich titeln können: „Sind Gurken weiblich?“
Alle, die sich auskennen, werden spontan antworten: „Ja, Gurken sind weiblich!“
Und sie haben recht – zur Hälfte (aber nicht, weil es „Die Gurke“ heißt).
Alle Gurkenpflanzen, die man heutzutage vorgezogen kaufen, sowie der überwiegende Teil der Gurkensamen, die man in Baumärkten erstehen kann, sind, etwas salopp gesagt, rein weiblich – parthenocarp oder jungfernfrüchtig, wie der Fachausdruck dafür lautet.
Alle modernen Gurkensorten haben ausschließlich weibliche Blüten – und setzen trotzdem Früchte an; sie setzen Früchte an, ohne einer Vereinigung mit einem männlichen Erbteil zu bedürfen, also ohne mit männlichen Pollen bestäubt werden zu müssen. Sie brauchen keine männlichen Blüten – und haben deshalb auch keine.
Nun wird sich manche:r schon denken können, was meinen Nachbarn passiert ist.
Richtig! Sie haben Samen einer „alten“ oder unmodernen Sorte ausgesät.
Koreanische Schlangengurken
Im Frühjahr kam eine Nachbarin vorbei, die von meiner Vielfaltsmarotte weiß, und fragte mich, ob ich Samen einer koreanischen Gurke haben wolle; ihr Enkel sei in Süd-Korea gewesen und habe ihnen ein Päckchen Gurkensamen mitgebracht.
Im ersten Moment dachte ich: „Das wird bestimmt irgendeine exotische Pflanze sein, eine Stachelgurke oder ähnliches, an denen ich nicht sonderlich interessiert bin“; aber ich wollte nicht unhöflich sein und außerdem sagte ich mir: „Ach, lass Dich doch mal überraschen!“
An einem der folgenden Wochenenden kam sie mit einem Döschen vorbei, in dem eine Anzahl rot gefärbter Samen rasselten.
„O nein, gebeizt!“, hetzte mein Kritischer Geist gegen die Gurkensamen.
„Vielen Dank!“ hauchte ich pflichtschuldigst und betrachtete die roten Samen aus der Nähe. „Kann ich mir vielleicht bei Gelegenheit mal die Packung ansschauen? Es interessiert mich, wie eine koreanische Gurkensamenpackung aussieht.“
Einerseits wollte ich wirklich gern die Packung mit den koreanischen Schriftzeichen sehen. Auf der anderen Seite erhoffte ich mir dadurch natürlich Aufschluss über die zu erwartenden Früchte; denn eine Verpackung zeigt in der Regel auch eine (geschönte) Abbildung des Ernteguts.
Es dauerte nicht lange und ich sollte die Verpackung zu Gesicht bekommen.
„Aha, das sieht nach einer ganz normalen Schlangengurke aus“, stellte ich (erleichtert) fest. Ich fotografierte die Packung von allen Seiten, um später die Details in aller Ruhe studieren zu können.
Da ich ja immer an neuen Genen für meinen Gen-Pool interessiert bin, war ich nun doch sehr angetan von diesem koreanischen Geschenk und bedankte mich noch einmal ganz besonders herzlich.
Meine Nachbarin berichtete mir unterdessen stolz, dass ihr Mann schon einige Pflanzen vorgezogen habe und dass sich diese ganz prächtig entwickeln würden.
So gingen wir auseinander.
Taube Blüten
Als wir uns ein paar Wochen später wiedertrafen, erzählte sie mir, dass ihr Mann leider alle Pflanzen habe entsorgen müssen, da sie nur taube Blüten gehabt hätten. Er habe noch einmal von vorn angefangen in der Hoffnung, beim zweiten Mal mehr Glück zu haben.
„O“, bemerkte ich, „ich glaube, da hat er etwas vorschnell gehandelt. Das waren wahrscheinlich männliche Blüten; zuerst blüht immer eine Anzahl männliche Blüten, bevor die erste weibliche Blüte mit Gurkenansatz erscheint.“
Sie schaute mich etwas ungläubig an, wie mir schien, gab sich aber alle Mühe, meinen Worten zu folgen. „Männliche Blüten? Weibliche Blüten? Unsere Pflanzen hatten immer Gurken, ohne dass ich mir darüber Gedanken machen musste“, sah ich sie denken.
Ich sparte mir einen langen Vortrag über die geschlechtlichen Verhältnisse der Gurken und riet ihr nur, bei der jetzigen Anzucht ein wenig länger zu warten; denn die Gurken kämen bei dieser Gurkensorte schon noch, nur etwas später, sie sollten ein wenig Geduld haben und Vertrauen…
Mir war in dem Moment nicht klar, dass jemand das nicht wissen können sollte.
Erst viel später ging mir ein Licht auf: Jemand, der nur jungfernfrüchtige Gurkenpflanzen kennt, die von der ersten Blüte an Früchte bilden, der ist natürlich mehr als verwundert, wenn er plötzlich jede Menge Blüten sieht, aber keine einzige, die eine Frucht bildet. Da wird nicht lange gefackelt und nicht geduldet, dass diese „taube Nuss“ kostbaren Gartenboden blockiert.
Mein Rat an experimentierfreudige Gärtner:innen
Tja, falls Du also auch mal ausnahmsweise zu einer „alten“ oder samenfesten Gurke greifst, weißt Du jetzt, dass diese Gurkenpflanzen männliche und weibliche Blüten besitzen, dass (in der Regel) die ersten zehn bis zwanzig Blüten alle männlich sind und erst dann weibliche Blüten erscheinen (vor allem an den Seiten-/Achseltrieben); aber nur aus den weiblichen Blüten entstehen Gurkenfrüchte.
Jetzt solltest Du aber auch noch wissen, dass diese weiblichen Gurkenblüten von Insekten befruchtet werden müssen, Du den Bienen und Brummern also Zutritt zu Deinen Gurken gewähren musst. Außerdem solltest Du wissen, dass es günstiger ist, mehrere solcher Gurkenpflanzen zusammen wachsen zu lassen, damit auch sicher Früchte gebildet werden; denn Gurkenpflanzen tun sich mit der Befruchtung leichter, wenn der männliche Pollen von einer anderen Pflanze stammt.
„Hmmmmmmmmmh? Das klingt alles ziemlich kompliziert…“
„Ah, ich sehe schon, Du willst lieber bei den gewohnten, jungfernfrüchtigen Gurken bleiben, bei denen Du Dir nicht so viele Gedanken machen musst.“
„Schade! Du hättest die Gurkenvielfalt vermehren und der Menschheit damit einen großen Dienst erweisen können! Du hättest Dich auch unabhängig vom industriellen Saatgut machen können, wenn Du eigenes Saatgut gewonnen hättest; das kannst Du nur mit „echten“ Gurken. Du hättest vielleicht sogar eine besondere Gurke mit besonderem Geschmack oder besonderem Aussehen zusammenmischen können! So, wie ich… Schau!“
Schade, schade…
Überraschende Wende…
Ja, so hätte die Geschichte gewesen sein können; aber ich habe oben schon angedeutet, dass es noch eine Entdeckung zu vermelden gibt, die für die Anbauer:innen von jungfernfrüchtigen Gurken interessant sein könnte, zumindest für diejenigen unter ihnen, die diese Gurken auch gerne selbst vermehren würden.
Es stellte sich nämlich heraus, dass die koreanische Gurke gar keine „alte“, „normale“ Gurke war, sondern ebenfalls eine moderne, parthenocarpe: Alle Gurken, die meine Nachbarn und ich dann später aus den Samen zogen, bildeten ausschließlich weibliche Blüten mit Gurken und keine einzige männliche Blüte.
Doch warum hatten die ersten, vorgezogenen Pflanzen lauter männliche Blüten zum Vorschein gebracht?
Tja, das müssen meine Nachbarn und ich noch klären; aber für mich ist es eine erstaunliche Tatsache, dass diese Pflanzen anscheinend (nicht nur mit Hilfe von Hormonen sondern auch) unter bestimmten äußeren Bedingungen männliche Blüten bilden. Ob zu wenig Licht dazu führt oder zu geringe Temperatur oder beides in Kombination, das gilt es nun zu klären.
Meine Nachbarn hatten die Pflanzen schon Mitte Februar am Fenster eines kühlen Zimmers vorgezogen, das an der Ostseite ihrer Wohnung lag.
Im nächsten Jahr werden wir erkunden, was passiert, wenn solche Pflanzen nicht entsorgt, sondern ins Gewächshaus überführt werden…
…und ein gutes Ende
Halt, noch etwas gilt es zu berichten: Bei der diesjährigen Überschwemmung, über die ich schon in „Ring der Züchter:innen“ ausführlich berichtet habe, sind bei meinen Nachbarn alle Gurkenpflanzen ums Leben gekommen, die auf „edle“ Unterlagen gepfropft und teuer erstanden waren, nicht jedoch die koreanischen Gurkenpflanzen; so viel zum Vorteil von „veredelten“ Gurken, auch wenn Überflutungen nicht zur Hauptbedrohung von Gurkenpflanzen zählen…
Lieber Jürgen,
bei den Gurken – zumindest denen auf dem Beet – habe ich mich mittlerweile auf bestimmte Sorten festgelegt. Die Sorte Marketmore wurde mir von einem guten Freund empfohlen. Allerdings hatte ich in einem Jahr einen sehr hohen Bitteranteil bei den Gurken. Das hat mich sehr geärgert. Deshalb bin ich dazu übergegangen Sorten zu probieren, die vollständig bitterfrei sind. Eine Sorte hat mich auch mal enttäuscht, weil sie doch bittere Stellen hatte, aber die nächste Sorte hat im Jahr darauf überzeugt. Insofern übertrumpft mein Wunsch nach bitterfreien Gurken meine Vielfaltsliebhaberei. Wobei ganz ohne Vielfalt geht es bei mir dann doch wieder nicht. Ich habe die Schlangengurken im Gewächshaus und auf dem Beet eine klassische Gewürzgurke Sorte ‚Alhambra‘ zum Einkochen und eine Salatgurke Sorte ‚Tanja‘ ähnlich Marketmore. Dieses Jahr will ich noch die Armenische Gurke probieren.
Was die männlichen und weiblichen Blüten angeht, bin ich vermutlich botanisch zu bewandert, um das nicht zu wissen. Interessant ist aber die Tatsache, dass eine unterschiedliche Aussaatzeit scheinbar Einfluss hat. Vermutlich würde es sich lohnen, eine solche zeitige Aussaat auch mal mit den Sorten zu probieren, die laut Packung nur weibliche Blüten bringen.
Bei Kürbis und Zucchini nutze ich übrigens die männlichen Blüten zum Kochen. Die werden entweder in Gemüsepfannen oder Suppen verarbeitet oder in Eierkuchenteig geschwenkt und in Öl gebacken. Sie haben einen herrlich fruchtigen Geschmack.
Bei Melonen soll man ja den Haupttrieb kappen, damit sie mehr in die Seitentriebe stecken, die dann mehr Melonen tragen. Müsste bei Gurken ja genauso funktionieren.
Liebe Grüße
Chrissi
Hallo, das ist mir sogar angenehmer. Da ist keine Beize dran ;-)
Adresse per email, allerdings habe ich Deine nicht gefunden (wo versteckt sich das Impressum?)
Viele Grüße Matthias
Das Impressum findest Du im Fußbereich der Seiten, ganz unten rechts…
Vielen Dank für den interessanten Beitrag. Wie habt ihr feststellen können, dass alle Nachkommen parthenokarp sind? Und wäre es möglich, etwas Saatgut von den koreanischen Gurken zu erhalten? Tausch gegen Samen der Bautzener Kastengurke wäre möglich.
Viele Grüße
Matthias
Hallo Matthias,
danke für Deinen Kommentar (und auch für die Erwähnung meines Blogs auf Deiner Seite)!
Nun ja, da wir nur sehr wenige Gurken gezogen haben, können wir natürlich nicht sicher sagen, dass alle Pflanzen aus dem koreanischen Original-Saatgut parthenocarp gewesen wären; aber die, die wir zum Fruchten gebracht haben, hatten keine männlichen Blüten, setzten jedoch trotzdem Früchte an, woraus ich geschlossen habe, dass die Sorte wohl jungfernfrüchtig sein müsse.
Aber, wie gesagt, das ist mehr eine Vermutung…
Ich kann Dir (leider) nur Samen einer nachgezogenen „Korea-Gurke“ schicken; die war aber der Befruchtung durch andere „Sorten“ frei zugänglich, so dass die Wahrscheinlichkeit, dass Du nur rein-erbige, koreanische Nachkömmlinge bekommst, ziemlich gering ist.
Wenn Du trotzdem Samen haben möchtest, schicke ich Dir gerne welche…
Viele Grüße, Jürgen