Gartenfahrten
oder: Wie ich jedes Jahr einmal mit meinen Jungs in den Garten radele.
Mein Garten liegt 100 Kilometer von meinem Wohnsitz Berlin entfernt; das bedeutet, jedes Wochenende, das ich im Garten verbringen möchte, eine „Gurkerei“ von 200 Kilometern mit dem Auto. Aber von diesen Fahrten soll der folgende Beitrag nicht handeln, sondern von den Fahrten in den Garten, die ich seit 2015 einmal jährlich mit zwei bzw. vier bzw. einmal ohne Jungs auf dem Fahrrad unternommen habe.
Vor der ersten Fahrt: Warum fahre ich mit dem Fahrrad in den Garten?
Die erste Fahrradfahrt in den Garten und zurück (2015)
Die zweite Fahrt (2016)
Die dritte Fahrt (2017)
Die vierte Fahrt (2018)
Die fünfte Fahrt (2019)
Die sechste Fahrt (2020)
Die siebte Fahrt (2021)
Die achte Fahrt (2022)
Die neunte Fahrt (2023)
Die zehnte und voraussichtlich letzte Fahrt (2024)
Vor der ersten Fahrt
Die Idee zu diesen Radfahrten entstand so: Mein Garten soll ja meine Sommer-Senioren-Residenz sein; da mein Altersruhegeld mit ziemlicher Sicherheit die Grundsicherung nicht übersteigen wird, tauchte irgendwann der Gedanke auf, ob es später nicht möglich sein könnte, die Ausgaben für Hin- und Rückfahrten nach Berlin zu den geplanten regelmäßigen Treffen mit Frau und Kindern zu sparen, indem ich die Strecke (zumindest ab und zu) mit dem Rad zurücklege.
Dazu musste ein praktischer Versuch her.
„Wie wär‘ es also, wenn die ganze Familie eine solche Testfahrt einmal zusammen als gemeinsames Erlebnis unternimmt?“, schlug ich vor. Für mich stand außer Frage, dass mensch 100 Kilometer mit dem Fahhrad an einem Tag ohne (allzu) große Schwierigkeiten bewältigen kann, dass mensch es zumindest mal versuchen kann.
Letztlich blieben aber nur meine damals 9- und 11-jährigen Jungs als Probanden übrig; sie waren willig – hatten sie doch keine Vorstellung davon, was auf sie zukommen könnte.
Die Radtour wurde also keine Familien- sondern eine „Vater-Söhne“-Geschichte.
Nun ist es nicht so, dass es keine Stimmen gegeben hätte, die vor einer 100-Kilometer-Tagestour mit Kindern in besagtem Alter gewarnt hätten. Schwester Gudrun und Freundin Martina berichteten von ihren (Grenz-)Erfahrungen. Statt aber nun die Strecke von vornherein in mehrere Etappen zu unterteilen oder eine Strecke zu wählen, auf der zur Sicherheit Bahnhöfe lagen, entschied ich mich, Zelt und Schlafsäcke für eventuelle Erschöpfungszustände vorzuhalten.
Mit Hilfe von GOOGLE-Maps suchte ich einen möglichst direkten Weg auf möglichst kleinen Straßen und noch kleineren Wegen heraus; darüber hinaus besorgte ich mir die KOMPASS-Karte „Schorfheide, Uckermark, Barnim“ im Maßstab 1:50.000.
Die folgende Strecke hatte ich mir herausgesucht, die ich in zwei Etappen zu fahren gedachte: Die erste Hälfte der Strecke, von unserer Wohnung in Berlin bis zum Garten, sollte bis zum Gamensee gehen; dieser See (in 16259 Falkenberg) schien mir ideal für eine längere Rast mit erfrischendem Bad zu sein. Die Strecke, exakt 50,4 km, sollen laut GOOGLE in 2 Std. 46 Min. zu bewältigen sein, ein Kinderspiel also…
Die andere Hälfte vom Gamensee bis in den Garten im Zützener Winkel (Eingang am Landgraben, Koordinaten: 53.037728, 14.253566), genau 47,2 km, soll in 2 Std. 25 Min. zu schaffen sein (so genau weiß ich das allerdings erst jetzt).
Die erste Fahrt in den Garten und zurück (2015)
Um es vorwegzunehmen: Wir schafften es an einem Tag.
Ich muss aber auch zugeben: es war eine Quälerei. Ich verfuhr mich mehrmals (die Karte begann erst hinter Börnicke, mein Gedächtnis reichte noch weniger weit), die Sättel aller Fahrräder waren zu niedrig eingestellt, aufgrund des Ratschlags eines Badegasts am Gamensee änderte ich den geplanten Waldweg in die befahrene Autostraße über Liepe, die außerdem eine Steigung enthielt, die meinem Sohn Juri noch heute die Tränen in die Augen treibt, wenn er daran denkt. Außerdem gab es in Hohensaaten, wo ich eine Kuchenpause eingeplant hatte, keinen solchen käuflich zu erwerben.
Doch trotz manchen Gezeters über nicht asphaltierte Streckenabschnitte erreichten die Jungs das Ziel in guter Verfassung; der Einzige der ziemlich heftig unter Knie- und Gesäßschmerzen sowie Erschöpfung litt, war ich.
Das Gefühl aber, es geschafft zu haben, machte alles mehr als wett.
Die Rückfahrt ein paar Tage später geriet dann allerdings wirklich zu einem Höllentrip – für mich: Ich hatte noch bis weit nach Mitternacht Marmelade eingekocht und dabei die für 7.30 Uhr geplante Abfahrtzeit auf „später“ verschoben. Um 7 Uhr scharrten allerdings meine Sprösslinge vor meinem Bett so laut mit den Hufen, dass ich wach werden musste: Sie wollten dringend zurück nach Hause – an ihre Spielgeräte.
So fuhren sie dann auch: Sie ließen mir kaum Zeit, Atem zu schöpfen. Sogar den See, an dem ich hoffte, ein halbes Stündchen Schlaf nachholen zu können, wollten sie links liegen lassen.
Trotz eines heißen, scharfen Gegenwindes, der meinen kleinen Malik manchmal von der Straße zu wehen drohte, drückten sie erbarmungslos auf’s Tempo. Als ich am Nachmittag in Börnicke dringend ein wenig Nahrung zu mir nehmen musste (am liebsten hätte ich mein gewohntes Stück Kuchen gehabt), um nicht völlig enkräftet vom Rad zu stürzen, schimpften sie lauthals über den unnötigen Zeitverlust.
Um 18 Uhr hatte die Tortour dem Himmel-sei-Dank ein Ende: Wir erreichten erschöpft aber wohlbehalten unsere Heimstatt.
Die zweite Fahrt (2016)
Der stolze Bericht über diese Tat animierte im folgenden Jahr die beiden Jungs meines Freundes Eduard, die fast gleich alt sind und mit denen sie seit ihrer Geburt vertrauten Umgang pflegen, sich uns anzuschließen; es wurde also ein „Männer-Roadtrip“ zu fünft.
Auch diese Fahrt endete glücklich, obwohl der größere der beiden neuen Mitfahrer mit seinem alten, mittlerweile viel zu kleinen Kinderfahrrad auf die Reise geschickt wurde. Wenn die beiden kleineren Jungs ihm nicht immer mal wieder ihre etwas größeren Räder zur „Erholung“ überlassen hätten – ich weiß nicht, wie die Geschichte ausgegangen wäre. Auch der sintflutartige Regen, der während unserer Hinfahrt über Berlin niederging, hätte, wäre er auf uns herabgestürzt, für großes Ach und Weh gesorgt; so aber fluchten wir nur über einen nassen Kopfsteinpflasterweg vor Lunow.
Glücklicherweise wurden sämtliche platten Reifen, die wir hatten – und wir hatten auf allen Fahrten insgesamt bisher vier, erst im Garten offenbar und damit nicht zu einem wirklichen Problem.
Die dritte Fahrt (2017)
Auch 2017 kamen alle wieder wie selbstverständlich mit.
Die Rückfahrt wurde allerdings durch einen kalten Regen, der am See begann und erst kurz vor Berlin endete, zu einer echten Herausforderung.
Nach dieser Fahrt dachte auch ich: Aller guten Dinge sind drei, das soll es gewesen sein.
Die vierte Fahrt (2018)
Als dann aber im Laufe dieses Jahres vereinzelt Fragen nach einer neuerlichen Radtour in den Garten aufkamen, ließ ich mich nicht lange bitten: Ich fühlte mich von den Strapazen der letzten Rückfahrt erholt und freute mich, dass diese Fahrt von den Jungs so gut aufgenommen wurde; ich glaube, sie wird ein Erlebnis bleiben, dass mich mein Leben lang mit ihnen verbindet.
Es war dann auch in diesem Jahr eine Freude zu sehen, wie sie die Strecke mittlerweile kennen, die „Dörferstrecke“, wie sie den ersten Abschnitt nennen, über Börnicke, Wilmersdorf, Schönfeld, Beiersdorf, Freudenberg, Brunow, wie sie sich unterwegs Ereignisse von den vergangenen Fahrten erzählen, wie sie sich auf den Gamensee und die Melone dort, auf das Eis in Falkenberg bzw. Oderberg, auf das süße Getränk inklusive Abendessen bzw. auf das Frühstück bei der Rückfahrt in Lunow freuen, wie sie sich ganz sicher ihr Leben lang daran erinnern werden.
Und wenn ich dann später zwei Wochen am Stück im Garten sein und nur ab und zu nach Berlin fahren werde, dann weiß ich, dass ich diese Strecke (locker, in ungefähr zehn Stunden) mit dem Rad zurücklegen kann.
Mal sehen, ob es ein 5. Mal geben wird?
Mein Juri fragte kurz vor der diesjährigen Ankunft schon, ob sie, wenn sie die Strecke ganz genau kennen, auch alleine fahren dürften?
Na, klar doch!
Die fünfte Fahrt (2019)
Nachtrag, 28. Juli 2019:
Gestern sind wir von der 5. Gartenfahrt zurückgekehrt; sie hat also stattgefunden.
Die Hinfahrt bei drückend schwüler Hitze war eine Herausforderung – ich war geschafft und von Knieschmerzen geplagt, die „Jungsbande“ nur einigermaßen erschöpft (was ich aber nur aus ihrem Stöhnen schließen konnte, das sie hin und wieder hören ließen; laut eigener Aussage waren sie topfit).
Die Rückfahrt bei frischem Rückenwind und bewölktem Himmel war wohl die schnellste aller Fahrten.
Trotz ausgiebiger Rastzeiten hatten wir gegen 17 Uhr das Zentrum von Berlin-Weißensee wieder erreicht, wo uns die erhoffte Überraschung nicht ganz gelang: Die Eltern von Jacob und Joshua waren noch nicht mit der Bereitung des versprochenen Abendessens beschäftigt, sie waren nicht einmal daheim, sondern gemütlich zum Kaffeetrinken unterwegs.
Tja, so ist das, wenn man die Ankunft für zwei Stunden später vorausgesagt hatte…
Ganz leise wurde auch schon wieder über eine weitere Fahrt spekuliert, wobei aber die berechtigte Frage auftauchte, ob ich in meinem Alter eine solche noch mal verkraften würde…
Die sechste Fahrt (2020)
Nachtrag, 02.08.2020:
Gestern ging die sechste Fahrt (fast) glücklich zuende. Ich schreibe „fast“, da wir 30 Kilometer vor dem Ziel Berlin den ersten, „richtigen“ Defekt eines Rades zu beklagen hatten: Einen platten Vorderreifen, der beim Aufpumpen platzte.
Nach der letzten Pause in Schönfeld beklagte Malik einen platten Vorderreifen.
O nein, bitte nicht, keine Reparatur bei der Hitze!
Ich versuchte, den Schlauch aufzupumpen in der Hoffnung, dass er wenigstens bis nach Hause halten würde; aber ein lauter Knall ließ diese Hoffnung zerplatzen.
Was tun?
Am Samstag Nachmittag einen passenden Schlauch im Ort zu finden, erschien mir aussichtslos.
Ich sah schlussendlich nur die Alternative, die Jungs allein weiterfahren zu lassen, das Fahrrad im Ort stehen zu lassen und selbst mit dem Bus nach Bernau und von dort mit der S-Bahn zu fahren.
Da Malik mit meinem Fahrrad fahren konnte und die Jungs sich zutrauten, den restlichen Weg allein zu finden, entließ ich sie mit leicht mulmigem Gefühl und suchte die naheliegende Bushaltestelle auf, um den Fahrplan zu studieren. Ich musste feststellen: Dorfbewohner ohne Auto sind am Wochenende von der Welt abgeschnitten; aber gibt es noch Menschen ohne Auto?
Tja, wieder die Frage: Was tun?
Ein Verkehrsschild verkündete: Elf Kilometer nach Bernau.
Was blieb mir anderes übrig, als mich auf den Weg zu machen: Zeit hatte ich und die Wegstrecke schien mir überwindbar.
So schob ich das platte Fahrrad Richtung Bernau.
Nur diejenigen, die zu Fuß in sengender Hitze die Landstraßen nutzen, können die Gründe nachvollziehen, warum sie dereinst mit Alleebäumen gesäumt wurden; aber wer geht heutzutage noch zu Fuß über Landstraßen?
Die Insassen der klimatisierten PS-Monster, die an mir vorbeirasten, werden die Straßenbäume wahrscheinlich eher als todbringende Hindernisse betrachten – so weit sie diese überhaupt wahrnehmen.
Nach gut drei Stunden Fußmarsch erreichte ich erschöpft den Bahnhof von Bernau. Die Jungs hatten ihre Räder eine halbe Stunde früher am Zielort abgestellt.
Es hätte schlimmer kommen können, sage ich mir als hemmungsloser Optimist…
Auf jeden Fall hat uns diese Fahrt bewiesen, welchen Einfluss die Temperatur auf körperliche Belastungen hat: Die Hinfahrt bei 22° C. war ein Leichtes im Gegensatz zur Rückfahrt bei knapp 30° C.
Die siebte Fahrt (2021)
Am letzten Freitag, am 30. Juli 2021, endete unsere siebte Fahrt.
Nein, es war kein Freitag, der 13., aber es hätte einer sein können; denn an diesem Tag klebte das sprichwörtliche Pech jenes Datums an unseren Rädern.
Hatten wir den Garten eine Woche zuvor zwar aufgrund recht schwüler Witterung erschöpft aber ohne Pannen und sonstiger Zwischenfälle erreicht, so erforderte die Rückfahrt doch von allen Teilnehmern starke Nerven: Ich muss gestehen, dass ich sie mehrfach verloren und meine Jungs mehrfach verdammt laut angebrüllt habe.
Was war passiert?
Die ersten 20 Kilometer bis zum Frühstück in Lunow mussten wir gegen eine frische Brise anstrampeln; das war die erste Prüfung.
Hätte ich das schon als Vorzeichen nehmen und umkehren sollen?
Die vier belegten Frühstücksbrötchen pro Person, die wir in der Fleischerei Künkel in Lunow bestellt hatten, gaben uns neue Kräfte und so bestiegen wir guten Mutes unsere Räder, um den holprigen Pflastersteinweg von Lunow zur Straße nach Hohensaaten hinter uns zu bringen; das klappte problemlos.
Die vier Jungs warteten auf mich an der Einmündung auf die Asphaltstraße, damit ich die Führung übernehmen konnte. Kaum war ich jedoch an ihnen vorbeigefahren, hörte ich Juri hinter mir rufen: „Haaalt, irgendwas ist an meinem Rad kaputt, ich kann nicht mehr fahren!“
Ich hielt an und Juri schob sein Rad – das eigentlich meins war – zu mir, damit ich das Problem von Nahem betrachten konnte. Ich musste feststellen: Die Verbindung von Pedalwelle und Zahnradkranz war irgendwie unterbrochen, so dass man die Pedale durchdrehen konnte, ohne dass Kraft auf die Kette und somit auf das Hinterrad übertragen wurde.
Tja. Das war ein größeres Problem; so viel war mir sofort klar.
Kurz überlegte ich, das Tretlager auseinanderzunehmen, um die Ursache des Problems zu untersuchen. Ich habe nämlich keine Ahnung, wie ein Tretlager von innen aussieht; doch mit den beschränkten Werkzeugen, die mir zur Verfügung standen, schien mir ein solches Unterfangen aussichtslos, eine Reparatur sogar unmöglich.
Also sann ich auf eine andere Lösung: Ich musste doch „nur“ eine Pedale mit dem Zahnkranz fest verbinden, um die Übertragung der Tretkraft auf das Hinterrad wiederherzustellen… oder?
Stabiler Draht wäre dazu bestens geeignet.
Irgendein technisch begabter Mensch (mein Großvater mütterlicherseits?) hatte mir einst den Ratschlag gegeben, immer Draht dabeizuhaben, wenn man Wanderungen oder Fahrten macht – und diesen Rat habe ich (meistens) auch beherzigt: Ich fand im Werkzeugbeutel tatsächlich Draht, wenn auch keinen sehr stabilen.
Die rechte Pedale war fix fest mit dem Zahnkranz verbunden und? Wir konnten weiterfahren…
In Oderberg bekam ich vom einzigen dort noch vorhandenen Laden, einem Trödelladen, einen Meter Elektrolitze der Staatssicherheit (Stasi) geschenkt, mit der ich die Verbindung verstärkte.
Bis kurz vor den Gamensee hielt sie der Belastung stand; dann zerriss sie schlagartig an einer leichten Steigung auf dem unebenen Fußweg um den See, den wir befuhren.
Unterwegs hatte ich schon alles an Material aufgelesen, das mir irgendwie brauchbar für das Verbinden schien: drei Plastebänder und ein Stück Schnur (besser als nichts, dachte ich mir).
Nachdem ich mein Rad an die Badestelle geschoben hatte, nutzte ich eines der Plastebänder, um Pedale und Zahnkranz erneut fest zu verbinden.
Inzwischen war es 15:30 Uhr und erst die Hälfte des Weges geschafft; aber ich war frohen Mutes, mit dem Provisorium Berlin zu erreichen.
Nach einer ausgiebigen Pause mit Bad und Melone schoben wir unsere Räder aus dem Tal des Gamensees. Oben angekommen wollte ich munter in die Pedale treten; aber… nein, Ihr werdet es nicht ahnen: Die Kette sprang ab. Nun gut, kein soooo großes Problem. Als aber fünf Meter weiter das gleiche passierte, veränderte das meine Zuversicht schon deutlich.
Was konnte die Ursache sein, dass die Sache nicht mehr rund lief?
Ich vermutete, dass ich die Pedale vorher mit einer anderen „Speiche“ des Zahnkranzes verbunden haben könnte und die jetzige Verbindung eine so starke Unwucht in den Zahnkranz brachte, dass die Kette absprang.
Als ich dabei war, die Verbindung mit Hilfe eines stabilen Bandes, das an einem Strohhaufen direkt neben uns hing, neu zu justieren, bemerkte mein Sohn Juri, dass sein Hinterreifen platt war.
Neeeein! Was war los?
Aufgrund der letztjährigen Erfahrung hatte ich in diesem Jahr zwei Reserveschläuche mitgenommen.
Nun gut, wechsele ich schnell den Schlauch und alles ist gut.
Ja, ja, ich habe den Mantel innen nach Dornen und sonstigen spitzen Eindringlingen abgetastet, aber nichts Verdächtiges erspürt…
Aber jetzt ahnt Ihr es nicht nur, nein, Ihr wisst es schon: Keine drei Kilometer weiter war der Hinterreifen wieder platt.
Mit zweimaligem Aufpumpen kamen wir bis Brunow. Dort hoffte ich, von einem Einwohner wenigstens Wasser für die Kontrolle des Schlauches zu bekommen; denn nun hieß es: flicken.
Wir mussten die Hilfsbereitschaft der Brunower jedoch nicht auf die Probe stellen, da unser Reparaturplatz direkt am Friedhof im Zentrum des Ortes bei der Kirche lag. Ich schickte zwei Jungs auf Erkundungstour und sie kamen mit Froher Botschaft zurück: Es gab auf dem Friedhof Wasser und Wasserbehälter.
Ein ordentliches Loch hatten wir schon beim ersten Schlauchwechsel ausmachen können. Nachdem ich dieses mit einem Flicken verschlossen hatte, musste Joshua den Schlauch sicherheitshalber einer Kontrolle im Wasser unterziehen, währenddessen ich den Mantel noch einmal gründlicher auf Eindringlinge untersuchte; denn die Schadensursache musste noch im Mantel stecken.
Tatsächlich fand ich zwei Dornen, die nur so tief im Mantel saßen, dass man sie nicht erfühlen konnte; aber wenn Juris Gewicht den Reifen belastete, pieksten sie Löcher in den Schlauch.
Kaum hatte ich sie entfernt, überbrachte Joshua auch schon die Nachricht von einem weiteren Loch. Also noch einen Flicken aufbringen, erneut prüfen, alles wieder zusammenbauen, die Satteltaschen, die wir bei jeder Reparatur abnehmen mussten, wieder auf den Gepäckträger schnallen und endlich weiterfahren.
Wir fuhren über Stock und Stein. Meine Kette sprang trotzdem nur noch einmal ab, die provisorische Verbindung erfüllte ihren Zweck; ich konnte sogar noch Draht organisieren.
Dann ging es auf die Asphaltstraße der „Dörferstrecke“: Freudenberg, Beiersdorf. Schönfeld lag in Sichtweite – und mit ihm eine Rast und ein Kuchenstück und ein paar Schluck Wasser, als Malik einen platten Vorderreifen meldete.
Wofür wollte uns der Himmel strafen?
Der arme Juri, der die ganze Zeit schon meine anfangs beiläufig erwähnte Lösung, mit dem Bus nach Hause zu fahren, als beste Lösung aller Probleme wiederholte, wurde mit meinem Wutgebrüll gestraft, als er die Werkzeugtasche nicht schnell genug freigab, was ihn noch mehr davon überzeugte, den Bus als Retter anzusehen; aber es gab kein Entrinnen aus den Fängen des Schicksals.
Auch der zweite Reserveschlauch fand nun Verwendung und ein fetter Dorn seine Ruhestätte am Straßenrand.
Dann endlich Schönfeld, die Bank am See und Rast in tief stehender Sonne.
Ich verstärkte die Verbindung von Pedale und Zahnkranz noch mit zwei der ergatterten Drahtstücke, obwohl ich mir inzwischen sicher war, dass auch die drei Seilschlingen bis Berlin halten würden.
Was sie auch taten…
Um 21:30 Uhr, im Dunkeln, kleinlaut, zermürbt und ohne Licht schlichen wir uns in die Stadt – und waren endlich glücklich zuhause (wo alle sehnlichst erwartet wurden).
War dies nun die letzte Fahrt?
Die achte Fahrt (2022)
Ja, die Jungs waren bedient und brannten nicht mehr.
Nun, das stimmt nicht ganz; denn sie werden langsam erwachsen, führen ein eigenes Leben und haben mittlerweile lauter getrennte Eltern, die alle mit ihnen Urlaubszeit verbringen wollen, so dass sie in diesem Jahr gewichten und wählen mussten – und da hat dann möglicherweise die letztjährige Erfahrung den Ausschlag gegeben, nicht mitzufahren.
Ich fuhr also das erste Mal allein, also so, wie ich das ursprünglich geplant hatte; denn die erste Fahrt hatte ja nur dem Test gedient, ob und wie die Strecke an einem Tag zu bewältigen ist.
Sieben Fahrten haben mittlerweile zur Genüge bewiesen, dass sie – selbst bei mehreren Pannen – in diesem Zeitraum zu schaffen ist.
Da diese erste Alleinfahrt völlig reibungslos und entspannt verlief, verzichte ich auf viele Worte und lasse eine Bildergalerie erzählen; denn ich hatte weitaus mehr Freiheiten, Bilder zu machen, von der Strecke abzuweichen und mich meinem eigenen Tempo hinzugeben.
Bilder der Hinfahrt am 17.08. ab 6:30 Uhr:
Das kann ich als Quintessenz dieser Fahrt festhalten: Der Wegfall der „Aufsichtspflicht“ machte mich entspannter; das empfand ich als positiv und glich die hier und da aufkommende Traurigkeit über die fehlenden Begleiter aus…
…außerdem will ich ab Beginn meiner Rentenzeit 2024 viel häufiger allein mit dem Rad in den Garten fahren, so dass ich diese Fahrt als Vorgeschmack verbuchen konnte.
Bilder der Rückfahrt am 22.08. ab 6:15 Uhr:
Die neunte Fahrt (2023)
Wenn man denkt, es könne nicht mehr schlimmer kommen, dann…
…wird man häufig eines Besseren belehrt…
Alle meine Jungs waren wieder an Bord, das „Material“ besser aufbereitet, als jemals zuvor, aber einen „Problemmacher“ hatte ich nicht auf der Liste: meinen eigenen Körper. Der hatte bisher keine Schwierigkeiten gemacht, hatte immer alle Strapazen tapfer ertragen. Auf dieser Fahrt zeigte er sich jedoch von einer anderen Seite: Er plagte mich mit heftigen Magenschmerzen und Übelkeit bis an die Kotzgrenze.
Eine Verhärtung des Leistenbruchs war mir schon am Vorabend der Fahrt ein Vorzeichen gewesen, doch beim Frühstück gegen 7:00 Uhr schien alles im weichen Bereich. Ein halbes Stündchen auf dem Rad ließ aber Leisten- und Magengegend schmerzen und so rasch verhärten, dass ich mich schon im Wartenberger Feld kaum hinlegen konnte.
Noch hoffte ich, dass es nur Verspannungen seien, die sich durch Liegen legen würden; aber kurz vor Börnicke wurde das Unwohlsein so heftig, dass ich mich nur mit Mühe nicht übergeben musste.
Als kurz vor dem Gamensee noch Krämpfe in den Beinen dazukamen, schien mir ein Abbruch der Fahrt unausweichlich; doch die Beine wollten weiter und auch mein restlicher Körper wollte nur weiter, weiter, weiter – in den Garten…
Nur im Garten schien mir irgendwie Ruhe und Rettung möglich. Die Möglichkeit, mir ab Falkenberg mit dem Zug Erleichterung zu verschaffen, verwarf ich als noch schmerzhafter ob des Gedankens, dabei mehrmals umsteigen zu müssen.
Meine Jungs, vor allem mein Jüngster, litten mit mir. Ich bat sie, mich möglichst allein fahren zu lassen, immer noch in der Hoffnung, Entspannung würde helfen…
Sie fuhren prächtig allein, hatten keine Probleme…
Ich fuhr fast ohne Pause – jedes Hinsetzen oder -legen verstärkte eher die Schmerzen. Ich schob das Fahrrad nur hin und wieder, um die Schmerzen durch andere Bewegungen in andere Bauchregionen zu lenken. Nur Fahren half, in die Pedale treten, immer gleichmäßig, um jedes Oberschenkelmüskelchen bedeutsam erscheinen zu lassen; denn bei jedem Anzeichen von Untätigkeit wurden sie sofort von Krämpfen befallen.
Dem Himmel-sei-Dank mussten wir uns die mitgeführten Plastesäcke nicht über die Kleider streifen; denn der Tag blieb sonnig und heiter. Ein angenehm starker Rückenwind half mir nach Nordwesten, blies mich direkt in mein Bett; sonst weiß ich nicht, wo ich gelandet wäre…
…aber auch so brauchte mein Körper noch die Nacht und zwei Übergebungen von Mageninhalt an die Umgebung, bis er am folgenden Mittag endlich Schlaf fand und sich ein wenig erholte. Am Abend konnte er den Jungs sogar schon eine Kartoffel-Kräuter-Suppe servieren.
Am Freitag ging es weiter aufwärts, so dass ich dem Samstag, dem Rückreisetag, frohgemut entgegensah.
Mein Optimismus wurde nicht enttäuscht: Der Körper signalisierte am Morgen Gesundheit und die Bereitschaft, mich nach Berlin zurückzubringen.
Doch nach der Hälfte der Fahrt, am Gamensee, begann er wieder mit den alten Mucken, Magenschmerzen.
Wieder halfen weder Cola noch Klagen, die Schmerzen nahmen mit den Kilometern zu, so dass ich den leidenden Körper in Berlin direkt zur Ruhe betten musste, ohne ihm das Abendessen gönnen zu können, das uns Eduard, Vater einer Hälfte der jungen Fahrer, bereiten wollte…
So unglücklich verlief die neunte Fahrt für mich, alten Mann; die Jungmänner rissen die Strecken glücklicherweise auf einer Arschbacke ab.
Jetzt bin ich gespannt, wer von ihnen die zehnte Fahrt wagt? Für mich soll die Strecke ja ab dem kommenden Jahr zur sportlichen Routine und damit zum Jungbrunnen werden…
Die zehnte und voraussichtlich letzte Fahrt (2024)
Hatte ich im letzten Jahr „die Strecke soll ab dem kommenden Jahr zur sportlichen Routine für mich werden“ geschrieben?
Tja, das war wohl ein Satz mit X – zu einer einzigen Fahrt hat es gerade mal gereicht und auch nur die zwei jüngsten Jungs (ähm, jungen Männer) waren so gerade eben noch bereit, mich zu begleiten: Dienstag, den 6. August sollte es hin- und auf jeden Fall am Donnerstag wieder zurückgehen; das war Bedingung…
Mein Jüngster hatte zwar gewisse Bedenken, ob ich aufgrund meines letztjährigen, kläglichen Zustands die diesjährige Fahrt würde überleben können – zwei Mal fragte er zu Beginn der Tour vorsichtig nach meinem Befinden; aber als ich auch bei der ersten Rast vor Börnicke (an unserem gewohnten Frühstücksplatz im Wartenberger Feld war der Aufenthalt verboten worden) noch keine Schmerzen verspürte, brachte auch er die Strecke entspannt und routiniert hinter sich, so wie wir beiden anderen.
Wir mussten aber schlussendlich erkennen: Mittlerweile ist der Weg so wenig aufregend oder herausfordernd – wenn keine Körperschmerzen oder Materialermüdungen auftreten, dass die Fahrt einfach nur Langeweile pur ist, dass es jederzeit Besseres zu tun gibt…
Die beiden Großen haben das schon die drei Tage getan, die wir für Hin- und Rückfahrt inklusive eines Erholungstages (für mich) im Garten gebraucht haben.
Im Moment fühle ich mich wieder so, als wenn ich im kommenden Jahr ein paar Mal mit dem Rad in den Garten brausen könnte – nur auf anderen Wegen; aber wer weiß, ich spucke lieber keine großen Töne mehr.
Von jetzt an wird hier auf jeden Fall Schweigen herrschen…
Lieber Jürgen,
Es kommt mir so vor, als ob von der Pool-Szene zu wenig Bilder vorhanden wären aber vielleicht geht es auch nur mir so.
Lieber Gott,
Du könntest, wie immer, recht haben; aber ich habe mich nun mal gegen Dich und die 7-Tage-Woche entschieden und es bei der Heiligen Dreifaltigkeit belassen.