Gut, besser, am besten samenfest?
oder: Warum der gute Ruf von samenfestem Saatgut unbegründet ist.
Vielleicht wundert Ihr Euch, dass ich das Thema „samenfest“ schon wieder aufgreife, obwohl ich es erst im letzten Beitrag behandelt habe?
Das hat vor allem einen Grund: Ich möchte Deutschlands meistbenutze Suchmaschine auf die Probe stellen…
Meine kritische Haltung zu samenfestem Saatgut scheint dieser Suchmaschine ein Dorn im Auge; sie zeigt meine Seite „Was heißt samenfest?“ nicht an (andere Suchmaschinen dagegen schon) – vermutlich (ich kann leider nur vermuten), weil sie ihre Geschäfte stört…
Momentan werden viele Menschen „samenfestes Saatgut“ häufig ins Eingabefeld dieser Suchmaschine eingeben. Mein Blog hat nach den Kriterien dieser Suchmaschine (er ist lange im Netz und bringt regelmäßig „hochwertigen“ Content) ein gutes Ranking, so dass meine Seiten bei entsprechenden Begriffen oft unter den ersten Suchergebnissen zu finden sind.
Nun könnte es sein, dass auch der Beitrag „Was heißt ’samenfest‘?“ auf den vorderen Plätzen angezeigt würde. Die schlechte Bewertung von samenfestem Saatgut, die mein Beitrag zum Ausdruck bringt, könnte aber potentielle Käufer:innen an den Vorteilen samenfester Saaten zweifeln lassen.
Zweifel an samenfestem Saatgut können aber diejenigen nicht gebrauchen, die gute Geschäfte mit samenfestem Saatgut machen wollen und es dementsprechend bewerben; eine Image-Schädigungung von „samenfest“ kann somit auch nicht im Interesse der Suchmaschine sein, die mit Werbung Einnahmen erzielen will – so meine Überlegung.
Ob dies tatsächlich zutrifft, möchte ich nun testen, indem ich das Thema noch einmal aufgreife und meine Bedenken gegenüber samenfestem Saatgut noch einmal klar und deutlich formuliere, und dann beobachte, ob auch diese Seite mit einem Anzeige-Bann belegt wird.
Die weit verbreitete Sicht auf samenfestes Saatgut
Sucht doch einmal „samenfestes Saatgut“ und lest, wie positiv es dargestellt wird; überall (wirklich überall) könnt Ihr lesen:
Samenfestes Saatgut soll
- nachbaubar sein
- die Vielfalt fördern
- die Anpassung der Pflanzen an Euren Garten ermöglichen
- viel, viel besser als (F1-)Hybrid-Saatgut sein
(Argumente wie, „samenfestes Saatgut macht unabhägig von Saatgut-Konzernen“, lasse ich mal beiseite; denn wer sein Saatgut nicht selbst gewinnt, ist immer abhängig, egal von wem…)
Wenn ich Euch sage, dass von den vier genannten Punkten nur einer halbwegs zutrifft, dann werdet Ihr ganz sicher wissen wollen, wie ich das begründe – und wenn Ihr meine Gründe nachvollziehen könnt, werdet Ihr samenfestes Saatgut ganz sicher mit anderen Augen betrachten.
Vielleicht würdet Ihr dann nicht mehr ganz so entschlossen auf Samenfestigkeit beim Saatgutkauf und noch viel weniger bei der Pflanzenvermehrung achten…
Die traurige Wahrheit über samenfestes Saatgut
Ich werde jetzt die zuvor genannten Punkte einzeln durchgehen und zeigen, dass die Lobeshymnen auf samenfestes Saatgut ganz wichtige Aspekte außer Acht lassen.
Samenfestes Saatgut soll nachbaubar sein
Ich beginne mit Punkt 1, der halbwegs richtig ist: Samenfestes Saatgut ist nachbaubar, ja; aber jede Pflanze, die fruchtbare Samen produzieren kann, ist genau so gut nachbaubar, also auch jede Mischlingspflanze, jede Wildpflanze und sogar die meisten, industriell erzeugten F1-Hybriden.
Die Betonung von „Samenfestes Saatgut ist nachbaubar“, erweckt den Eindruck, als seien nur Pflanzen aus samenfestem Saatgut nachbaubar – und das ist, wie gesagt, Unsinn!
Das Etikett „Nachbaubar“ färbt also samenfestes Saatgut zu Unrecht schön…
Jetzt höre ich den Einwand, dass „nachbaubar“ nicht mit „vermehrbar“ gleichzusetzen sei, sondern eigentlich bedeuten soll, dass aus den Samen immer wieder gleichartige Pflanzen nachgebaut werden können…
Richtig! Genau! Vollkommen korrekt; das bedeutet „samenfest“: „Identisch oder sortenecht nachbaubar“ sollte es demnach heißen – was aber selten so gesagt oder geschrieben wird…
„Samenfest“ bedeutet also nicht, dass aus samenfesten Küchenzwiebelsamen einfach Küchenzwiebeln wachsen, sondern möglichst gleichartige Zwiebeln einer ganz bestimmten (Zucht-)Sorte – wie auf den Vergleichsgrafiken von samenfestem und F1-Hybrid-Saatgut, die ich als Titelbild zusammengeschnitten habe, sehr schön zu sehen ist…
Damit komme ich zu Punkt 2 der Liste der angeblichen Vorteile von samenfestem Saatgut:
Samenfestes Saatgut soll die Vielfalt fördern
Ich frage Euch: Was ist daran Vielfalt, wenn aus Samen immer wieder die gleichen, einheitlichen Pflanzen entstehen?
Das ist das Gegenteil von Vielfalt, das ist Einfalt! Sorry, Einheitlichkeit…
Ich habe das Beitragsbild oben aus ein paar Grafiken zusammengesetzt, die gerne auf Webseiten gezeigt werden, um die Unterschiede zwischen samenfestem Saatgut und F1-Hybrid-Saatgut zu veranschaulichen.
Auf der einen Seite sind die schönen, gleichförmigen Früchte des samenfesten Saatguts zu sehen, auf der anderen die unterschiedlichen Früchte der Kinder der F1-Samen, die F2-Generation, zumeist etwas kleiner und schrumpeliger dargestellt (was nicht der Wirklichkeit entspricht).
Schaut genau hin: Wo seht Ihr Vielfalt und wo Einheitlichkeit?
Seht Ihr? Hybride sind vielfältig!
Die Früchte (und Pflanzen) aus samenfestem Saatgut sind einheitlich.
Bei „Selbstbefruchtern“, wie Gartenbohnen, Tomaten, Paprika oder Auberginen, kann die Einheitlichkeit der samenfesten Pflanzen sogar extrem sein: Sie können 100%ig reinerbig (homozygot), also genetisch vollkommen identisch sein.
Ihr könnt davon ausgehen, dass Pflanzen, die äußerlich gleich (oder äußerst ähnlich) sind, auch genetisch sehr eineitlich sind. Es gilt allgemein: Je einheitlicher Pflanzen sind, desto geringer ist ihre genetische Unterschiedlichkeit.
Wenn also stolz verkündet wird, dass aus samenfestem Saatgut wieder die gleichen Pflanzen entstehen, wie die, von denen die Samen stammen, dann besagt das nichts anderes als: Die genetische Vielfalt innerhalb der Sorten ist minimal.
„Halt, halt, halt!“, höre ich jetzt jemanden dazwischenrufen, „Samenfestes Saatgut fördert die Vielfalt der Sorten!“
Ha, richtig! Nur Sorten, bewusst gezüchtete oder erhaltene Sorten, Zucht-Sorten, haben samenfestes Saatgut – oder sollten es laut Gesetz zumindest haben.
Aber! Zuchtsorten produzieren einheitliche Pflanzen, genetisch einheitlich (samenfest!), woraus folgt, dass die Anzahl der Sorten das Maß für die Vielfalt unserer Nutzpflanzen ist.
Der- oder diejenige, die eben auf die Sortenvielfalt aufmerksam gemacht hat, weist anschließend darauf hin, dass es doch z. B. 10.000 Tomaten-Sorten gibt (von den meisten anderen Nutzpflanzen-Arten gibt es viel weniger Sorten).
„10.000 Sorten! Das ist doch gigantisch, eine überirdische Vielfalt!“ werdet Ihr womöglich denken.
Netter Versuch! Wirklich nett! 10.000 verschiedene, genetische Varianten, gigantisch zu nennen…
Wie viele genetisch unterschiedliche Varianten wachsen dagegen auf einem Feld, das mit einer Mischlingspopulation, einer Landsorte von früher, z. B. von Roggen, besät ist?
Die Vielfalt ginge hier in die Millionen! Abermillionen genetisch einzigartige Individuen würden auf den Feldern wachsen – so wie zu der Zeit, als die vielfaltsvermindernde, gezielte Züchtung einsetzte!
Millionen genetisch einzigartige Individuen sind Vielfalt! Was sind dagegen 10.000 genetisch einheitliche Sorten? Das sind 10.000 genetisch unterschiedliche Individuen!
Die Sorten-Züchtung hatte die Vielfalt unserer Nutzpflanzen schon vernichtet, bevor die Hybrid-Züchtung „geldgeiler“ Groß-Konzerne richtig in Schwung kam!
Nur Milliarden genetisch unterschiedliche Individuen sind Vielfalt, die zählt, wenn sich die Umweltbedingungen ändern!
Wenn Ihr mehr über „Individuen-Vielfalt“ im Gegensatz zu „Sorten-Vielfalt“ wissen wollt, solltet Ihr „Nutzpflanzen-Vielfalt neu berechnet“ lesen oder „Nur das Individuum zählt“.
Die magere genetische Vielfalt in einem Päckchen mit samenfesten Samen führt mich direkt zu Punkt 3:
Samenfestes Saatgut soll die Anpassung der Pflanzen an Euren Garten ermöglichen
Auch Anpassung hat mit genetisch unterschiedlichen Pflanzen zu tun. Es gilt: Je unterschiedlicher die einzelnen Pflanzen sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass einige von ihnen unter gegebenen Verhältnissen gedeihen.
Das ist nämlich unter Anpassung zu verstehen: Einige Pflanzen überleben bzw. gedeihen, können Samen bilden und sich so vermehren; andere kümmern oder gehen gar zugrunde.
Die angepassten Pflanzen, also die, die mit den Verhältnissen zurechtkommen, überleben, pflanzen sich fort und bilden nach einer Weile die Mehrheit.
Nach ein paar Generationen kann es heißen: Die Population hat sich angepasst oder auch: Die Pflanzen (dieser Population) sind angepasst.
Es ist also falsch, zu sagen: Die Pflanzen passen sich den Verhältnissen an. Das wird zumeist so verstanden, als könnten sich die einzelnen Pflanzen anpassen, die aus dem samenfesten Saatgut hervorgegangen sind.
Das ist aber keineswegs der Fall.
Die einzelnen Pflanzen können nur die äußeren Bedingungen ertragen, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten liegen; wenn dieser Rahmen verlassen wird, dann – tja, dann gehen sie leider ein.
Ihr seht: Die einheitlichen Pflanzen, die aus den samenfesten Samen entstehen, können sich nicht an andere, ihnen nicht zusagende Verhältnisse anpassen, da unter ihnen keine Individuen sind, die solche andersartigen Verhältnisse ertragen könnten…
Anpassungsfähigkeit stand auch nie auf der Agenda der Pflanzenzüchter, denen wir das samenfeste Saatgut zu verdanken haben.
Samenfestes Saatgut ist Zucht-Sorten-Saatgut und wurde erst um 1900 erfunden, um die Erträge zu steigern. Ertragssteigerungen werden durch einheitliche Pflanzen möglich gemacht, die alle unter optimalen Bedingungen gleich optimal gedeihen.
Vergesst also, dass sich die Pflanzen aus Eurem samenfestem Saatgut (wenn es wirklich samenfest ist!) an Eure Gärten anpassen.
Je samenfester (einheitlicher) sie sind, desto geringer ist ihre Anpassungsfähigkeit!
Außerdem: Damit Eure Pflanzen angepasst werden, müsst Ihr sie selbst vermehren; denn sonst können sich nicht die Pflanzen vermehren, die an Eure Verhältnisse angepasst sind (klingt etwas kompliziert, ist es aber nicht, wenn man erst einmal verstanden hat, wie Anpassung funktioniert; siehe oben).
Schlussendlich komme ich zum letzten Punkt, zu Punkt 4:
Samenfestes Saatgut soll viel, viel besser sein als F1-Hybrid-Saatgut
O, Gott-O-Gott! Genau umgekehrt ist es: F1-Hybrid-Saatgut ist viel, viel besser als samenfestes Saatgut, wenn es um Vielfalt und Anpassungsfähigkeit geht…
Um nicht selbst der Falschaussage bezichtigt zu werden, schreibe ich lieber, dass F1-Hybrid-Saatgut viel, viel besser wäre als samenfestes Saatgut, wenn die Hybridsorten-Züchter nicht einigen Nutzpflanzen-Arten (Zwiebeln, Möhren, Kohl, Salat u.a.) diese vermaledeite Cytoplasmatische Männliche Sterilität, kurz CMS, belassen würden, die sie für die kostengünstige Produktion von F1-Hybrid-Saatgut nutzen.
Nicht F1-Hybrid-Saatgut ist schlecht, sondern einzig und allein eine nicht reparierte CMS!
Eine nicht reparierte CMS ist deshalb schlecht, weil Pflanzen, deren Pollen steril sind, keine anderen Pflanzen befruchten und somit auch ihre guten Eigenschaften nicht weitergeben können (sie können aber ohne Probleme befruchtet werden und fruchtbare Samen bilden).
Dazu müsst Ihr wissen, dass diese CMS nur das industriell hergestellte F1-Hybrid-Saatgut besitzt!
Wenn Ihr (oder eine Biene) zwei samenfeste Sorten in Eurem Garten kreuzt, bekommt Ihr auch F1-Hybrid-Saatgut – aber ganz sicher ohne CMS.
Auch die F1-Hybriden der Nutzpflanzen-Arten, deren Samen und Früchte wir verzehren (wie Tomaten, Paprika, Gurken, Melonen, Kürbisse u.a.), haben keine störende CMS mehr; sie musste vor dem Verkauf des Saatguts repariert werden (damit die F1-Pflanzen sicher Früchte ansetzen und/oder Samen bilden).
Wenn ich also sage, dass Hybrid-Saatgut weitaus besser ist als jedes samenfeste Saatgut, dann bezieht sich diese Aussage ausschließlich auf Hybrid-Saatgut ohne oder mit reparierter CMS!
Wie die vielen, hübschen Grafiken zeigen, die samenfestes und Hybrid-Saatgut vergleichen, erwachsen aus Hybrid-Saatgut vielfältige Pflanzen: genetisch und äußerlich einzigartig, Individuen, mit kräftiger Gesundheit, nachbaubar und anpassungsfähig.
Hybriden sorgen für Vielfalt; samenfestes Saatgut steht für (Sorten-)Einfalt!
Ich rate Euch, Ihr Hobby-Gärtnerinnen, Bio-Bauern und Direkt-Vermarkter:innen, also entschieden dazu, Hybrid-Saatgut zu verwenden; aber noch viel dringender möchte ich Euch auffordern, Euer Saatgut bevorzugt selbst zu gewinnen, Hybriden (Mischlinge) positiv zu sehen und Verkreuzungen von Sorten zuzulassen oder sie sogar zu fördern, damit endlich wieder wirkliche Vielfalt in diesem Land entsteht, milliardenfache Individuen-Vielfalt, menschheitsrettende Vielfalt!
Und? Was sagt Ihr dazu?
Was sagt die Große Suchmaschine dazu?
Kann sie andere Sichtweisen zulassen? Kann sie von meinen Argumenten überzeugt werden? Kann sie Aufklärung vielleicht sogar unterstützen?
Gebt die Titel „Was heißt samenfest“ und „Gut, besser, am besten samenfest?“ (mit Anführungszeichen) in ihr Suchfeld ein; dann wissen wir es…
Quatsch!
Danke für den Kommentar, liebe:r Google!
Ich hoffe auch, dass meine Vermutungen Quatsch sind und die Suchmaschine, deren Namen Du trägst, die Suchergebnisse nicht manipuliert; aber ich bin mir eben nicht sicher…
Gestern abend wurden beide Beiträge von ihr angezeigt, so dass es möglicherweise einen anderen Grund hatte, dass der Beitrag mit der schlechten Bewertung von samenfestem Saatgut nicht angezeigt wurde (ich hatte sicherheitshalber auch das Wort „Lüge“ aus ‚Was heißt „samenfest“?‘ entfernt)…
Da der Beitrag „Kürbisse kennen“ mit der Begründung, es bestünde ein Umleitungsfehler (den es nicht gibt), komplett aus dem Verzeichnis der Suchmaschine verbannt wurde, bin ich womöglich ein wenig sensibel in diesem Punkt.
Falls Du allerdings meine Sicht auf samenfestes Saatgut als „Quatsch“ bezeichnest, wäre ich natürlich für ein paar Argumente dankbar; denn ich habe meine Meinung immerhin ausführlich begründet…
Viele Grüße
J:(
Das war nur einen Witz. Brauchst du dich keine Sorge machen, meine Algorithmen haben keine negative Meinungen über was du sonst schreibst. Entschuldigung, falls der Witz nicht so lustig war — ich sollte Mal wieder mein Witz-Algorithmus upgraden.
Liebe:r Vermutlich Google,
immerhin machst Du Dir die Mühe, witzig zu sein! Das rechne ich Dir hoch an!
Upgrade aber Deinen Witz-Algorithmus besser nicht, bleib, wie Du bist; denn mit den Witzen kannst Du es nie jedem recht machen: Die eine lacht, der andere nicht! Manche:r schmunzelt nur…
Mir gefällt Dein Humor!
J:)