Ho Ho, Hohenwepeler Honigmelonen!
oder: Wenn der Weihnachtsmann Melonen aus deutschen Landen frisch auf den Tisch bringt.
Heute berichte ich über den ersten feldmäßigen Anbau von Honig- bzw. Zuckermelonen in Deutschland!
Ja, Ihr lest richtig: In Deutschland werden in naher Zukunft in großem Stil Melonen angebaut und zwar feinste Melonen, die den südländischen, überseeischen Melonengurken eine echte Konkurrenz sein werden – wenn denn erst einmal allgemein bekannt ist, wie „Landsorten“-Anbau funktioniert. Damit das in zwei bis drei Jahren der Fall ist, fange ich heute mit dem Bekanntmachen an.
Erster Melonen-Versuchsanbau in Ostwestfalen
Ja, so verrückt Ost-West-Falen klingt, genau so verrückt mag Euch die Idee vorkommen, in der kühlen Mitte Deutschlands, im ehemaligen Kreis Warburg, in der Regenzone hinter dem Eggegebirge Südfrüchte anzubauen.
Ja, mein Bruder hat seinem verrückten Bruder den Gefallen getan, meine Grex-Melonen, die ich zu einer neuen Melonen-Landsorte entwickeln will, neben seine F1-Hybrid-Kürbisse aussäen zu dürfen.
Vor ein paar Jahren wollte ich ja noch ein guter Erhalter alter Melonen-Sorten und sogar ein richtiger Züchter von neuen, samenfesten, reinerbigen Melonen-Sorten werden, wie Ihr in „Melonenzüchter wider Willen“, „Berliner Netzmelone“, „Liebling, ich habe die Melonen gekreuzt“, „Ein Erweckungserlebnis“ und „Von der Süße der Melonen“ nachlesen könnt.
Aber nachdem mir der Geist der „Heiligen Vielfaltigkeit“ eingehaucht und mein flüchtiges Ich von einer Riesenmelone bedroht wurde, war ich bekehrt, und vertrete seitdem konsequent die Lehre von der Individuen-Vielfalt als der einzig wahren und wirklichen Vielfalt, die einzig und allein dereinst die Menschheit vor dem Hungertod bewahren kann.
Ihr seht, ich bin wirklich verrückt!
Nein, nein, das mag alles verrückt klingen, ist es aber nicht; zumindest habe ich mich bemüht, meine Absichten und mein Tun rational und nachvollziehbar zu begründen – glaube ich wenigstens.
Wenn daran noch Zweifel bestehen sollten, versuche das noch einmal kurz:
Individuen-Vielfalt als Überlebensversicherung
Ich habe ja in verschiedene Beiträge schon eingestreut, dass die Vielfalt unterschiedlicher Individuen eine Garantie dafür ist, dass „das Leben“ nicht so schnell ausstirbt auf diesem Planeten; denn nur wenn genügend unterschiedliche Varianten vorhanden sind, ist es möglich, dass darunter einzelne Varianten (Individuen) sind, die (drastische) Umweltänderungen überleben. Zumindest hat „das Leben“, sprich: haben einige Individuen schon einige Katastrophen überlebt, wie die „Sauerstoff-Katastrophe“, gewaltige Meteoriteneinschläge und ein paar Eiszeiten, – und sich anschließend wieder erfolgreich fortgepflanzt.
Individuen-Vielfalt ist die Grundlage für jegliche „Anpassung“ und somit auch für die „Evolution“.
In einem der kommenden Beiträge werde ich zeigen, dass die „Natürliche Selektion“ vor allem darauf abzielt, die Individuen-Vielfalt zu vermehren.
Der gefährliche Verlust an Individuen-Vielfalt bei unseren Nutzpflanzen
Auch unsere Nutzpflanzen-Arten bestanden 10.000 Jahre lang nahezu vollständig aus einzigartigen Pflanzen. Auf den Feldern und in den Gärten wuchsen ausschließlich „Landsorten“, Populationen aus unzähligen, individuell genetisch unterschiedlichen Pflanzen – bis zu Anfang des 20. Jahrhunderts; dann wurden die ehemaligen „Landsorten“ nach und nach durch „Zuchtsorten“ verdrängt, von Populationen aus einheitlichen Pflanzen.
Auf den Feldern und in den Gärten wachsen seitdem ausschließlich homogene Pflanzenbestände: die „guten“ samenfesten und die „bösen“ F1-Hybrid-Sorten.
Die ehemalige Individuen-Vielfalt unserer Nutzpflanzen-Arten ist futsch – und wird auch nicht durch ein paar mehr (alte) Zuchtsorten wiederhergestellt.
Neue Individuen-Vielfalt durch neue „Landsorten“
Wenn Individuen-Vielfalt aber eine Art „Überlebensversicherung“ darstellt, dann ist das Überleben unserer Nutzpflanzen-Arten durch den immensen Verlust an Individuen-Vielfalt akut bedroht – und damit auch das Überleben der Menschheit, die von Nahrungspflanzen abhängig ist, so meine Schlussfolgerung aus dieser Tatsachenreihenfolge.
Diese Erkenntnis ist zumindest der Grund, warum ich dafür werbe, wieder „Landsorten“ mit maximaler Individuen-Vielfalt zu schaffen und solche „Landsorten“-Populationen sowohl auf einem gewissen Prozentsatz unserer landwirtschaftlichen Fläche als auch in möglichst allen Selbstversorger-Gärten anzubauen.
Das ist mein Blick aufs große Ganze; aber die Individuen-Vielfalt unserer Nutzpflanzen, in Form von „Landsorten“, hat nicht nur im Großen, für das Überleben der Menschheit, eine Bedeutung, sondern kann auch im Kleinen von Nutzen sein:
Der praktische Nutzen von „Landsorten“ im Garten und auf dem Feld
„Jessas, jetzt kommich endlich wieder zu den Melonen und dem letztjährigen Honigmelonen-Anbau bei meinem Bruder in Hohenwepel!“
Honig- und Zuckermelonen sind für die Menschheit zwar nicht unbedingt überlebensnotwendig, aber sie sind ein schönes Beispiel dafür, wie sich Populationen an unterschiedliche Bedingungen anpassen können, wenn sie aus genetisch maximal unterschiedlichen Individuen bestehen.
„Anpassung an andersartige, neue, die eigenen Bedingungen“ ist der praktische Nutzen, den jede Gärtnerin und jeder Landwirt aus dem Anbau von „Landsorten“ ziehen kann.
Man muss also nicht immer das Überleben der Menschheit vor Augen haben, wenn man Individuen-Vielfalt in seinen Garten oder auf sein Feld sät, sondern man kann z. B. auch einfach gerne eigene, einzigartige, wohlschmeckende Melonen essen wollen, wie Brent aus Arkansas, der uns im nachfolgenden, kleinen Ausschnitt aus seinem Video „A New Melon I’m Developing“ leibhaftig und lebendig vorführt, wie fantastisch die Melonen riechen und schmecken, die er in seinem Garten verkreuzt und gezogen hat.
In diesem Zusammenhang weise ich auch gerne noch einmal auf Joseph Lofthouse hin, der vor ein paar Jahren in seinem Buch „Landrace Gardening“ (das Anfang des kommenden Jahres auf Deutsch erscheinen wird) genügend Beispiele präsentiert, wie sich selbst kälte-empfindliche Nutzpflanzen-Arten, wie Feuerbohnen und Melonen, mit Hilfe von Individuen-Vielfalt an die extremen Bedingungen in einem Hochtal der Rocky Mountains (Utah, USA) anpassen lassen.
Im Video „Landrace Melons in Paradise, Utah“ stellt er seine Melonen-Adaptation vor (übrigens wirbt Joseph heute nicht nur mehr für „Landrace Gardening“ sondern auch für „Adaptation Agriculture“, weil Landsorten-Anpassung nicht nur im Kleingarten sondern auch auf dem landwirtschaftlichen Großbetrieb möglich ist).
Mit der „Landsorten-Technik“ kann Mensch auch einfach Pflanzenzüchter:in spielen; mensch kann sich aus der Vielfalt unterschiedlicher Individuen diejenigen auswählen, die gewünschte Merkmale besitzen, und sie durch stete Selektion und fortgesetzte Inzucht zu einer (mehr oder weniger) einheitlichen Zuchtsorte entwickeln…
…so wie jeder „echte“ Pflanzenzüchter, der durch gezielte Kreuzungen erst einmal eine ordentliche Varianten(Individuen)-Vielfalt schafft, die er dann zu neuen „Sorten“ (einzelnen Individuen mit gewünschten Merkmalen) eindampft…
Aussaat, Wachstum und Vergehen, ähm, Ernte der ersten Hohenwepeler Honigmelonen
Jetzt wirklich noch kurz der Bericht darüber, wie in Hohenwepel zum ersten Mal Melonen angebaut wurden.
Los gings mit der
Aussaat der Melonen
Mein Bruder hat nach langen Jahren des Kürbis-Anbaus die Erfahrung gemacht, dass seine Kürbisse das Jugendstadium am besten überstehen, wenn er das phänomenal wuchernde Unkraut des Warburger Bördebodens mit einer schwarzen Folie unterdrückt; ansonsten müsste er ständig mit der Hacke daneben stehen.
Wir haben also am 8. Mai auf dem fein gefrästen Boden im Abstand von ca. fünf Metern zwei Bahnen schwarze Folie ausgerollt, jede knapp 60 Zentimeter breit – und ca. 250 Meter lang. Da sone feine Folie bei Wind und Wetter leicht davonflattert, mussten wir die beiden Folienbahnen an beiden Rändern durchgehend mit Erde beschweren, also insgesamt auf 1.000 Metern. Mein Bruder, mein Neffe und ich haben geschaufelt wie die Weltmeister, besser gesagt, zwei haben geschaufelt und einer hat die Folie langsam ausgerollt.
Wenn man das getan hat, weiß man wirklich, wie lang 250 Meter sind, das kann ich Euch sagen; aber bleibt ruhig: Es kommt noch schlimmer!
Erst einmal wurden die Folien alle halbe Meter gelöchert und jedes Loch mit drei Samen befüllt, per Hand, auf den Knien. Zuerst kamen die teuren Samen der F1-Hybriden an die Reihe, die mein Bruder jedes Jahr zu verkaufsfähigen Kürbissen, besonders zu Jack-o-Lanterns, heranwachsen lässt.
Danach bekamen meine Melonensamen, die dem langjährigen Mischungsanbau im Schwedter Folientunnel entstammten, ein erstklssiges Begräbnis und ganz zum Schluss, als die beiden Reihen immer noch kein Ende nehmen wollten, stopfte ich Samen meiner Mischlingskürbisse der Art Cucurbita maxima in die Löcher.
Ich denke, die Kürbisse meines Bruders nahmen ungefähr die Hälfte der Reihen ein, 250 Meter würde ich sagen; meine Landsorten-Melonen und die Grex-Kürbisse teilten sich die übrigen Meter.
„Jetzt können sie in Ruhe keimen und sich wunderbar entfalten“, dachte ich; aber da hatte ich die Rechnung ohne Rabenkrähen und Feldasen gemacht, die es in der Börde wieder reichlicher gibt.
„Nee,“ meinte mein Bruder, „wir müssen jetzt noch zwei Bahnen Vlies drüberlegen, ansonsten bleibt uns nicht viel, wie die letzten Jahre gezeigt haben. Kaum gucken nämlich die Keimblätter aus der Erde, ziehen die Krähen sie raus – und an denen, die sie übersehen und die deshalb ihre ersten Laubblätter frei entfalten können, fressen sich die Feldhasen satt!“
Also noch einmal das Ganze von vorn: Vlies ausrollen und vier hübsche, kleine Erdwälle von insgesamt 1.000 Meter Länge schaufeln.
In jugendlichem Leichtsinn und mich noch im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte wähnend hatte ich irgendwann gesagt, „den Rest“ könnte ich auch alleine fertig machen; aber wenn mein Bruder nicht noch einmal mit Hand an den Spaten gelegt hätte, wer weiß, ob ich über
Das Wachstum der Melonen
hier und heute hätte berichten können…
Nachdem die Samen also gut bedeckt in der Erde lagen, regnete es wie gewünscht, so dass die Keimung zügig einsetzen konnte. Auch das Wachstum setzte, nur vom Vlies gebremst, üppig ein, wie ich den wöchentlichen Telefonberichten meines Bruders entnehmen konnte.
Damit die Kürbisgewächse endgültig alle Wachstumshemmungen verlieren konnten, musste am 1. Juni noch das Vlies entfernt werden, was Neffe und Bruder ohne meine Hilfe vollzogen.
Bei meinem nächsten Kontrollbesuch Anfang Juli sah das Gewucher dann üppig und prachtvoll aus.
Mitte August, bei der nächsten Kontrolle, hatten die Melonenpflanzen zwar genügend Früchte angesetzt, doch ein größerer Teil ihrer Blätter zeigte deutliche Krankeitssymptome, so dass ich das Experiment schon als gescheitert ansah.
Trotzdem zerlegte ich noch mehrere Rasengitter in ihre Einzelteile und schob diese den größten Melonen unter, damit sie auf keinen Fall durch die Feuchte des Bördebodens bedingt von Fäulnis befallen würden. Leider wurde ein Teil meiner Mühen gleich wieder von einem Rauhhaardackel zunichte gemacht, der völlig aufgelöst zwischen den Melonen nach Nagetieren fahndete.
Auch meine Mutter unternahm mit ihren 90 Jahren einen Versuch, zu retten, was noch zu retten war, indem sie drei unreife Melonen wie Schmorgurken behandelte; aber das Ergebnis war wenig befriedigend, zumindest nicht im Vergleich mit vollsüßen Melonen, dem Ziel aller Träume…
Doch Zeichen und Wunder geschehen.
Bald darauf meldete mein Neffe nämlich, dass die Melonenpflanzen zu neuem Leben erwacht seien und noch einmal ordentlich Triebe treiben würden. Seine nächste Meldung Anfang September stimmte mich sogar noch hoffnungsfroher; sie besagte, dass er eine reife Melone verkostet und sie ihm köstlich gemundet habe.
Es war die Zeit einer zwei-wöchigen Hitzewelle (nein, damit ist nicht meine Euphorie gemeint).
Wenige Tage später dann die schockierende Nachricht: Der größte Teil der Melonen sei nun verfault.
Wie kann ich nach dieser Hiobsbotschaft überhaupt noch über
Die Ernte der Melonen
schreiben?
Den Melonenanbau in der Warburger Börde hatte ich ja als Experiment betrachtet. Ich wollte vor allem wissen, ob sich einige Individuen aus meinem genetischen Melonen-Mischmasch mit den hiesigen Verhältnissen arrangieren würden und ich mit ihnen eine echte ostwestfälische Melonen-Landsorte kreieren könnte.
In den ersten zwei Jahren eines solchen Experiments findet in der Hauptssache eine Selektion durch die Umwelt statt, wodurch sich überhaupt erstmal ein paar überlebensfähige Formen herauskristallisieren. Erst danach ist an die weitere züchterische Selektion auf Geschmack, Form und Fruchtfleischfarbe zu denken, und dann vielleicht auch einmal an eine Melonen-Ernte, die der Rede wert ist.
Aus diesem Grunde (vermute ich) hatte ich mich bis dahin mit der Ernte überhaupt nicht beschäftigt (vielleicht auch, weil ich kein besonders weit vorausschauender Mensch bin, was notwendige Dinge anbelangt).
Meine ausgebildeten Landwirte vor Ort kennen sich zwar bestens mit Getreide, Rüben, Kartoffeln und Kürbissen aus, aber nicht mit Melonen. Woher sollten sie also wissen, wann Melonen geerntet werden müssen?
„Nun ja,“ sagte ich mir, als ich mit meinem Erntewagen auf der Autobahn von Berlin nach Hohenwepel unterwegs war, „ein paar Samen werde ich wohl noch ernten können und die sind ja zu Beginn eines Landsorten-Anpassungsprojekts wohl am wichtigsten!“
So stiefelte ich zwischen den Melonenpflanzen herum, die mittlerweile zu größeren Teilen abgestorben waren, und kratzte mit einem Löffel Samen aus fauligen oder gar schon vertrockneten Früchten. Eimerweise.
Transportfähige Melonen karrte ich auf den Hof und befreite sie dort ebenfalls von ihrem Innenleben. Den besseren Teil legte ich beiseite, um ihn eingehender zu studieren, vor allem auf seine geschmacklichen Qualitäten.
Das Fazit aus dem ersten Melonen-Versuchsanbau im Kreis Höxter
„Komm endlich zum Ende!“ höre ich meinen inneren Aufpasser knurren.
Das Ende von dieser Melonen-Geschichte ist, dass Melonen in Ostwestfalen reifen und ausgezeichnet schmecken können; aber bis Mitte September muss das Wetter einigermaßen mitspielen. Darüber hinaus muss es Fachleute geben, die ab Ende August mindestens alle zwei Tage nach reifen Melonen Ausschau halten und sie den bereit stehenden Erntehelfern zeigen.
Dann muss es noch Menschen geben, die die geernteten Melonen lagern und vermarkten und ganz zum Schluss noch solche, die sie kaufen und essen.
Na gut, essen würde schon reichen – wenn sie der Weihnachtsmann bringt…
Ja, in den Herkunftsländern der Melone – von der Türkei bis Indien – werden manche Melonensorten erst im Winter gegessen.
Frohe Weihnachten, meine lieben, ausdauernden Leser:innen! Auf ein gutes Neues Melonenjahr 2026!
Der Tag wird kommen, an dem Euch der Weihnachtsmann Melonen aus deutschen Landen auf den Gabenteller legen wird – oder das Christkind…
Versprochen! Wir werden uns auf den Klimawandel einstellen…