Hobby-Gärtner, rettet die Menschheit!

oder: Nur maximale Individuen-Vielfalt der Nutzpflanzen kann unser Überleben sichern.

Liebe Hobby-Gärtnerkolleginnen (und Bio-Bauern), die ihr Nutzpflanzen anbaut, in Euren Händen liegt das Schicksal der Menschheit!

Das klingt absurd oder doch mächtig aufgeblasen?

Nein, nein, lest bitte weiter, Ihr werdet sehen!

Neue Vielfalt von Stachelbeeren durch die Vermehrung aus Samen

Nun wird mancheine:r denken: Wer sich eine gediegene Selbstversorgung aufbaut, der wird eines Tages überleben und damit die Menschheit vor dem Aussterben bewahren. Oder: Durch Selbstversorgung werden die Belastungen der eigenen Gesundheit sowie die der Umwelt derart verringert, dass man selbst sowie die Menschheit dadurch überlebt.

Ich sage, nein, eine derartige Haltung wird nicht einmal die wenigen retten, die sich (ein wenig) selbst versorgen, vor allem, wenn sie sich nicht mit dem wichtigsten selbst versorgen, das die Grundlage für jede Selbstversorgung ist, Saatgut nämlich!

Nein, nur wenn Nutzpflanzen-Gärtner:innen nicht nur auf die eigene Versorgung fokussiert sind, sondern auch ein wenig gemeinnützig die Individuen-Vielfalt der Nutzpflanzen vermehren, können sie die Menschheit retten.

Die Ausgangslage

Nun, dazu muss ich natürlich erst einmal darstellen, wodurch das Überleben der Menschheit überhaupt bedroht ist, ich sage besser: Wodurch ich es voraussehbar für bedroht halte.

Das Grundlegende, das die Menschheit erhält, sind Nahrungsmittel; ich glaube, da besteht kein Zweifel.
Ich glaube, es besteht auch kein Zweifel, dass größere Teile der Menschheit heute, zumindest in den industrialisierten Ländern, ausreichend bis sehr gut mit Nahrungsmitteln versorgt sind.

Die Vielfalt an Farben und Formen ist groß

Ich bin der Meinung, dass diese (Über)Versorgung vor allem durch die modernen Methoden des Ackerbaus erreicht wurden.
Dazu hat neben der Maschinentechnik, den Dünge- und Pflanzenschutzmitteln die moderne Pflanzenzüchtung seit ca. 1850 beigetragen; sie hat aus den bis dato vorhandenen Nutzpflanzen zuerst die „leistungsfähigsten“ ausgelesen, später die leistungsfähigen miteinander gezielt gekreuzt und dadurch noch ertragreichere „Hochleistungssorten“ geschaffen, die uns heute mehr als satt machen.

So weit, so gut (ich will hier nicht über die Schattenseiten dieser Art der Nahrungsmittelproduktion reden).

Und? Kann das jetzt nicht immer so weitergehen? Wenn überall auf der Welt die Landbewirtschaftung industrialisiert wird und Hochleistungssorten eingesetzt werden, könnten doch sogar ohne Probleme 15 Milliarden Menschen gut ernährt werden, oder?

Früchte eines von mittlerweile ca. 40 Stachelbeersämlingen

Bestimmt, keine Frage!

Die Bedrohung

Doch was ist, wenn sich die äußeren Bedingungen, vor allem die klimatischen, plötzlich, in einem sehr kurzen Zeitraum ziemlich gravierend ändern (was durch die enorme Anreicherung von Kohlendioxid in der Atmosphäre zweifelsohne auf irgendeine Art passieren wird)? Oder andere, neue, unbekannte Schaderreger (Viren, Pilze, Insekten etc.) auftreten?

Ist Rettung durch die moderne Pflanzenzüchtung zu erwarten?

Die moderne Pflanzenzüchtung in Gestalt von Forschungseinrichtungen und großen Pflanzenzuchtunternehmen verspricht, angepasste Pflanzensorten zur Verfügung stellen zu können; schon jetzt wird als Reaktion auf erwartete Klimaveränderungen die (gen-technische) „Herstellung“ („Züchtung“) von salz- und trockenresistenten Sorten betrieben und sogar öffentlich gefördert.

Ich sehe dabei zwei Probleme: Man kann nur gezielt etwas herstellen, wenn man das Ziel kennt; da aber die zukünftigen Änderungen der Umweltbedingungen unbekannt sind, kann man heute keine passende Nutzpflanzensorte für morgen schaffen.

Das ist das erste Problem.

Braune, glatte Beeren eines Stachelbeersämlings

Das zweite Problem ist, dass die Pflanzenzüchter zwar neue Nutzpflanzensorten mit bestimmten Eigenschaften schaffen können, dass sie aber die (neuen, notwendigen) Eigenschaften selbst nicht erschaffen können, d.h., sie können nur schon vorhandene Eigenschaften nutzen (so werden in unsere Nutzpflanzen heute bestenfalls Resistenz- und Toleranzeigenschaften von anderen Arten eingekreuzt bzw. gen-technisch eingesetzt oder vorhandene Gene in einen schon bekannten Zustand gebracht).

Notwendige Vorbedingungen für die Rettung

Es gibt nur einen Prozess, der neue Eigenschaften von Lebewesen schaffen kann: Die Fehlerhaftigkeit aller Lebensvorgänge, hier vor allem bei den Vorgängen rund um Fortpflanzung und Vermehrung, so genannte „Mutationen“.

Behaarte, hell-rote Stachelbeeren

Wenn bei der geschlechtlichen und ungeschlechtlichen Vermehrung Fehler (Mutationen) auftreten, kann es zu genetischen Varianten, zu neuen Eigenschaften von Lebewesen kommen.

Diese Mutationen passieren zuhauf; oft führen sie zu negativen, manchmal zu positiven, meistens jedoch zu neutralen, unmerklichen Änderungen der Lebewesen.

Aus diesen „Fehlern“ speist sich jede Evolution, jede Entwicklung, jede „Optimierung“, jede Anpassung von Lebewesen an die (jeweils herrschenden bzw. sich ändernden) Verhältnisse.

Grüne Stachelbeeren; erste Ernte eines „grün-früchtigen“ Sämlings

Um zu den Nutzpflanzen zurückzukommen: Solche „fehlerhaften“ Pflanzen hat die Menschheit für sich nutzbar gemacht, aus weiteren „fehlerhaften“ Pflanzen wurden im Laufe der Pflanzenbaugeschichte die immer besseren, für den Menschen nützlicheren ausgelesen.

Fehler- und Ausleseprozess haben mit der Zeit zu der Vielfalt an Nutzpflanzen geführt, die es um 1850 gab, bevor die moderne Pflanzenzüchtung begann, mit wissenschaftlichen Methoden noch bessere (vor allem ertragreichere) Nutzpflanzensorten aus den vorhandenen Landsorten zu schaffen.

Für die inzwischen ebenfalls optimierten Anbaubedingungen wurde die Individuen-Vielfalt innerhalb der Landsorten auf einige wenige, optimal an diese Bedingungen angepasste Individuen, den Zuchtsorten, reduziert.

Nun zieht auch jede Pflanzenzüchtungsfirma jedes Jahr (Hundert)Tausende von Sämlingen auf, bei denen „Fehlerhaftes“, Neuartiges entstehen kann (entsteht). Doch eine Züchtungsfirma hat ein bestimmtes Ziel (oder auch mehrere bestimmte Ziele) und auf dieses Ziel hin werden die gezogenen Sämlinge selektiert: Die „besten“ werden durch (Schnell)Tests ermittelt, und nur diese anschließend erhalten und vermehrt; alle anderen Varianten sterben wieder aus (die Kartoffelzuchtfirma Böhm z.B. zieht jedes Jahr 400.000 Sämlinge an, von denen maximal zwei bis drei die anschließenden Selektionsprozesse überstehen).

So ist also im Moment der Stand der Dinge: Es gibt nur noch wenige, an die gegenwärtigen, ziemlich einheitlichen (Anbau)Bedingungen angepasste genetische Varianten, die nur ein bestimmtes (geringes, enges) Spektrum an Eigenschaften aufweisen.

Die meisten Früchte der Sämlinge schmecken eher sauer

Was passiert nun mit diesen wenigen, sehr einheitlichen Sorten, wenn sich die äußeren Bedingungen relativ (oder sehr) drastisch ändern?

Es passiert dasselbe, das mit sehr spezialisierten (stenöken) Tier- und Pflanzenarten passiert: Sie sterben aus; zu wenige Individuen dieser Arten haben Eigenschaften, die es ihnen ermöglichen, unter den neuen Bedingungen zu überleben (oder gar zu prosperieren).

Was macht die professionelle Pflanzenzüchtung im „Katastrophenfall“?

Sie schaut ziemlich dumm aus der Wäsche, würde ich mal etwas despektierlich behaupten; denn: Aus welchem Hut zaubert sie die Eigenschaften der Nutzpflanzen, die dann notwendig sind?

Der Möglichkeit, in diesem Fall vielleicht neue Nutzpflanzen aus den Eigenschaften überlebender Wildpflanzen zusammensetzen zu können, schenke ich nur sehr begrenzt Vertrauen, auch wenn die Gen-Technik so rasend schnell weiterentwickelt wird wie bisher: Lebewesen sind keine Maschinen und lassen sich nicht einfach aus „genetischen Bausteinen“ beliebig zusammensetzen.

Die pflanzenzüchtenden Unternehmen und Forschungseinrichtungen haben nichts in der Hand, das ihnen dann helfen könnte, kein hilfreiches, nützliches Gen; auch im Genbank-Bunker auf Spitzbergen werden sie kein umwelt-taugliches, klima-erprobtes Gen finden, mit dem sie die Menschheit retten könnten.

Die rettende Tat…

Wie ich schon geschrieben habe, ist die Chance, dass eine Pflanzenart bei (schwerwiegenden) Umweltveränderungen überlebt, umso größer, je mehr (genetisch) unterschiedliche Varianten von ihr in der Welt sind. Ein paar dieser Varianten können dann vielleicht unter den veränderten Bedingungen überleben (oder sogar besser gedeihen).

Um den Nutzpflanzen – und damit der Menschheit – das Überleben unter veränderten Bedingungen zu ermöglichen, ist also eine möglichst große genetische Variabilität der Nutzpflanzen notwendig.

Die Mutterpflanze der Sämlinge hatte höchstwahrscheinlich rote, glattschalige Beeren

…von Hobby-Nutzpflanzengärtnerinnen, Selbstversorgern und Bio-Bauern

Die gewinnabhängigen Privatunternehmen der Züchtungsbranche scheiden für diesen Zweck, die Erzeugung einer möglichst großen „unnützen“ Variantenvielfalt, aus: Die Erhaltung, d.h., der ständige Anbau von möglichst vielen solcher Varianten bringt keinen direkten Gewinn, er verursacht im Gegenteil immense Kosten – und ist in seiner Wirksamkeit obendrein sehr begrenzt, da die Anzahl der Varianten, die ein Pflanzenzuchtunternehmen ständig anbauen (lassen) könnte, ohne sie verkaufen zu können, ebenfalls sehr begrenzt ist.

Ebenso ist es um die konventionelle Landwirtschaft bestellt: Diese ist gezwungen, vor allem die ertragreichsten Sorten anzubauen, um im Wettbewerb um die effizienteste Produktion (niedrigster Preis pro Menge) mithalten zu können; dauerhaft Verlust bringende Tätigkeiten führen jeden Betrieb schnell in den Ruin.

Auch die Genbanken scheiden als Vervielfältigerinnen aus, da sie in erster Linie die Aufgabe haben, „alte“ Sorten in ihrem genetischen Ist-Zustand zu erhalten. Sie schaffen (und erhalten) keine neuen Varianten/Sorten (sie versuchen das im Gegenteil möglichst zu vermeiden); dies würde ebenfalls ihre (finanziellen) Kapazitäten bei weitem übersteigen.

Die geschmacklich besten Beeren meiner Stachelbeer-Sämlinge

Für die größtmögliche Individuen-Vielfalt an Obst-, Gemüse- und Kräutersorten können allein die Hobby-Nutzpflanzengärtnerinnen und -gärtner sorgen! Nur diese sind (hoffentlich in Zukunft) zahlreich genug und nicht gezwungen, auf Wirtschaftlichkeit zu achten. Sie erhalten in jedem Fall als Belohnung etwas, das für die meisten ohnehin das Ziel ihres Bemühens ist: Frische Nahrungsmittel aus dem eigenen Garten, die obendrein noch einen besonderen Geschmack oder ein besonderes Aussehen bieten (können).

Die größtmögliche Vielfalt an Nutzpflanzen wie Weizen, Roggen, Gerste, Mais und Reis, die der Grundversorgung dienen und die in größerem Maßstab angebaut werden müssen, können meiner Meinung nach nur die Bio-Bauern und -bäuerinnen schaffen und bewahren; sie können am ehesten Ertragseinbußen durch höhere Preise ausgleichen. Sie sollten aus diesem Grund vor allem Sortengemische, so genannte Populationen anbauen.

Obst- und Beerensorten könnten außerdem von Städten und Gemeinden in ihrer Vielfalt vermehrt bzw. erhalten werden; Städte und Gemeinden sind Körperschaften der Allgemeinheit und dürfen zu deren Wohl deren Mittel einsetzen. Oft müssen sie nur zweckfreie Grünanlagen in „Erhaltungs- und Vermehrungsanlagen von Obst“ verwandeln.

Wie können Hobby-Gärtner:innen eine größtmögliche genetische Vielfalt schaffen?

Die größtmögliche, genetische Vielfalt entsteht bei Nutzpflanzen, wenn Hobby-Gärtner:innen sowie die zuvor genannten Akteure selbst Saatgut gewinnen, ihre Sorten dabei mischen und kreuzen, was das Zeug hält, die erzeugten Mischungen wieder aussäen, pflegen, ernten, schmecken, die „besten“ selektieren und diesen Zyklus jedes Jahr wiederholen; außerdem sollten sie ihr Saatgut mit anderen tauschen und es so weit wie möglich verbreiten.

Das gleiche sollte auch mit den Sorten geschehen, die in der Regel vegetativ vermehrt werden (Kartoffeln, Obst, Reben, Beeren u.a.): Jede:r sollte aus seinem Pflanzenbestand die besten (gesundesten, ertragreichsten, gefälligsten usw.) auswählen und als „Vermehrungsmaterial“ nutzen (auch bei der vegetativen Vermehrung passieren Fehler, die zu neuartigen Varianten führen). Außerdem sollten von diesen Pflanzen so viele Sämlinge aufgezogen werden wie möglich.

Die Ernte des ertragreichsten Buschs

Durch diese Art der Saat- und Pflanzgutgewinnung entsteht (wieder) eine unüberschaubare, unbeschreibliche Varianten- bzw. Individuenvielfalt; diese wird genetisch außerordentlich vielfältig, variabel sein.

Einen weiteren, unschätzbaren Vorteil hätte diese Art der Variantenvermehrung: Sie wäre ständig tatsächlich herrschenden Anbau- und Umweltbedingungen ausgesetzt. Sie würde also von „echten“ äußeren Bedingungen geprüft (und für gut befunden). Das Saatgut im Saatgut-Bunker auf Spitzbergen (und in anderen Gen-Banken), das dort gesichert wird, ist von der Außenwelt hermetisch abgeschlossen und wird deshalb dereinst nahezu wertlos sein, weil es viel zu selten von „echten“ Umweltbedingungen für gut befunden wurde.

Aufruf, eigenes Saat- und Pflanzgut zu erzeugen und möglichst viele Sämlinge aufzuziehen

Liebe Hobby-Gärtner:innen und vor allem: liebe Selbstversorger:innen, bitte gewinnt eigenes Saatgut und zieht so viele Sämlinge wie möglich! Vermehrt auch die Pflanzen selbst, die vegetativ vermehrt werden müssen/können!

Nutzt (kauft) möglichst nicht das Saat- und Pflanzgut von konventionellen Sorten (Sorten für den industriellen Anbau) oder Hybrid-Saatgut – dieses wird von den Pflanzenzuchtunternehmen und der industriellen Agrarwirtschaft erhalten und ist für deren Wirtschaftsbedingungen optimiert; als Ausgangspunkt der eigenen Saat- und Pflanzgut-Selbstversorgung ist es aber ebenfalls zu gebrauchen!

In diesem Jahr wird es noch mehr Varianten geben, sogar einige, die unter Stachelbeermehltau leiden

Bitte überzeugt auch Eure Nachbarn, es Euch gleich zu tun!

Nur wenn Hunderttausende ganz bewusst Saat- und Pflanzgut erzeugen und Sämlinge ziehen, besteht eines Tages die Chance, dass sich in dieser Vielfalt überlebensfähige Nutzpflanzen befinden und das Überleben der Menschheit möglich machen!

In einem solchen Fall würde zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte das Bewusstsein das Sein bestimmt haben.