Ich und die Riesenmelone
oder: Was die Kreuzung von Melonensorten mit Sortenerhaltung zu tun hat.
20 sorgfältig vorgezogene Melonenpflänzchen sollten mir in diesem Jahr jede Menge Melonen-Mischlinge für meine Hobby-Melonenzüchtung erbringen, aber … daraus wurde nichts. Statt einer Masse Melonen hatte ich am Ende nur Massel mit meinen Melonen – Glück im Unglück also; aber immerhin.
Die Züchtung, für die ich eigens einen kompletten Folientunnel eingeplant hatte, wurde zuerst von den ultra-kühlen Mai- und Juni-Anfängen ausgebremst und ging anschließend nahezu vollständig im Erdbeer- und Unkrautbewuchs unter, der die kühle Zeit zum Wachstum zu nutzen wusste.
Nur vier zufällig gekeimte Melonen im neuen Folientunnel (an seiner Stelle hatte mein „Melonen-Tunnel“ im Vorjahr teilweise gestanden), die mich nicht nur geschmacklich und optisch, sondern auch aufgrund ihrer (wahrscheinlichen) genetischen Zusammensetzung wirklich begeisterten, entschädigten ein wenig für das ungeplante Zucht-Desaster.
Diese Zufallssämlinge lösten in mir die Frage aus, ob eine „alte“ Sorte, hier: Die „Berliner Netzmelone“, nicht auch „erhalten“ wird, wenn sie mit anderen Melonensorten gekreuzt wird.
Um diese (spannende) Frage wird dieser Beitrag vor allem kreisen.
Nebenbei werde ich zeigen, welche Melonen ich sonst noch entdecken und probieren durfte.
Wie meine geplante Melonenzucht scheitert
In diesem Jahr wollte ich meine Melonenzucht, also ihren Anbau sowie die Entwicklung einer neuen Sorte mit gelber Schale und orangem Fruchtfleisch, von Grund auf perfekt angehen. In meiner winterlichen Planung (ok, ich bin ehrlich: „Planung“ bedeutet bei mir zumeist „Hirngespinst“) hatte ich mir vorgenommen, meine neue Melonensorte, von der ich 2016 schon einmal ein Zufallsmodell zu Gesicht (und in den Mund) bekam, ganz von vorn zu entwickeln.
2016 konnten sich zu viele andere (F1-)Melonen am Kreuzungsprozess beteiligen; dieses Mal sollten sich nur ein paar kurdische Lokalsorten einmischen dürfen, deren Samen meine Freundin Sylke aus Kurdistan (Nord-Irak) mitgebracht hatte.
Ich wollte also möglichst viele Pflanzen aus den Samen der gelben 2016er-Melonen ziehen, die aus der „Kreuzung wider Willen“ hervorgegangen waren: Eine „Gelbe Kanarische Supermarkt-F1-Melone“ und eine sortenreine (?) „Sucrin de Tours“ hatten sich 2015 ineinander verliebt, woraufhin die Kanarien-gelbe mit Samenkindern niedergekommen war.
Mit der Zugabe der kurdischen Melonensorten in diesem Jahr wollte ich erreichen, dass meine neuen Melonen nicht zuuuuuuu süß würden; denn lokale und „alte“ Melonensorten sind zumeist nicht so süß, wie die modernen F1-Melonen, die die Supermärkte heutzutage ganzjährig anbieten. Letztere besitzen m. E. in der Regel eine super-süße Elternsorte, die in der weiteren Zucht dann für super-süße Kinder sorgen kann, wie ich im letzten Jahr erfahren musste. Auf solche widerlich schmeckenden Super-Süßen möchte ich aber gerne verzichten.
Aber wie ich schon angedeutet habe: Finstere Mächte haben den Erfolg behindert. Letztlich musste ich mich mit ca. 10 Melonen von drei verschiedenen Typen zufrieden geben: Keine war gelb; eine weiß-schalige hatte immerhin oranges Fruchtfleisch.
Nun gut; es kann ja nicht immer alles beim ersten Mal klappen. Ein wahrhaft liebender Gärtner muss auch Misserfolge verschmerzen können.
Aber es geschah noch ein Wunder, das mich diese Pleite vergessen ließ; lest selbst:
Wie mir eine Riesenmelone ins Nest gelegt wurde
Wie oben schon bemerkt, waren im neuen Folientunnel ein paar Melonen gekeimt, von denen ich vier Pflanzen an Stellen wachsen ließ, die noch Raum boten; vorhandenen Platz nutze ich gerne optimal aus.
Die Zufallssämlinge gediehen hervorragend. Sie keimten allerdings auch erst, als es ihnen passte, und mussten sich deshalb nicht mit unpassenden Temperaturen herumschlagen, denen ich die vorgezogenen ausgesetzt hatte.
Was aber dann passierte, war ein bisschen unheimlich: Am Tunnelrand, hinter den Paprika-Pflanzen, zwischen Riesenschlangen-Gurken und teuflischer Hybrid(F4)-Paprika, schoben sie ganz langsam ihre Triebe in die Länge, krochen schlangengleich unmerklich zwischen die Reihen aus ahnungslosen Paprika, würgten die eine oder andere wehrlose Pflanze hinterrücks, zeigten mir aber immer ein völlig unschuldiges Blatt, wenn ich sie mal wieder ernsthaft aufforderte, ihre fehlgeleiteten Schlinggriffel von den Paprika-Pflanzen sowie deren Halteleinen zu nehmen.
Durch die, etwas unbedacht gespannten Wäscheleinen, die die Paprika-Pflanzen vom Zusammenbruch abhalten sollten – das selbst konstruierte Französische Aufleitsystem, kam ich nur sehr schwer in die letzte Reihe am Tunnelrand, in der die Melonen sich breit machen sollten. Ich konnte deshalb kaum kontrollieren, was dort vor sich ging.
Als ich eines Tages die selbst geschaffene Barriere doch einmal überwand und nach dem Rechten schaute…
… traf mich der Schlag: Hinter den Paprika, verborgen von dichtem Melonenblattgewirr, lag etwas Unerwartetes, etwas Riesiges – ein gelbes Monsterei!
Was war das? Das konnte keine Melone sein! Etwas derartig Monströses hatte ich – doch halt, durchzuckte es mich, Exemplare der „Berliner Netzmelone“ waren ähnlich monströs gewesen! 2017 hatte diese Sorte einen 22-Pfünder auf die Waage gebracht.
Sollte diese Sorte mir ein Ei ins Nest gelegt haben?
Die „Berliner Netzmelone“ durfte sich im letzten Jahr ebenfalls im Melonentunnel tummeln und mit allen anderen Melonen“sorten“ unverhütet geschlechtlich verkehren.
Eine andere zufällig gekeimte Melonen-Pflanze, die ich hatte wachsen lassen, hatte mir zwei mittelgroße, genetzte Melonenfrüchte zu Füßen gelegt, die mich gleich an die „Berliner Netz“ erinnert hatten: Ihre Schale war grünlich mit einer genetzten Oberfläche; aber das Riesenei hatte bis auf die Größe keinerlei Ähnlichkeit mit der „Berliner Netzmelone“.
Doch bis heute finde ich keine andere Erklärung für die Existenz dieser Riesenmelone: Sie muss ein Nachkomme der „Berliner Netzmelone“ sein.
Wie die Bastarde der „Berliner Netzmelone“ schmeckten
Bei einer ersten Verkostung, die bei einer Veranstaltung von Slowfood-Berlin stattfand – diese Bewegung stellte dort Nutzpflanzensorten vor, die „Berlin“ in ihrem Namen trugen und ich hatte meine Kreuzungen als Ersatz für das fehlende Original angeboten – sah die kleinere Netzmelone im Innern genau so aus wie die rein-sortige Mutter: Weiches, grob-faseriges Fruchtfleisch in kräftigem Orange.
Die gelbe Riesenmelone hatte dagegen das feste, weiß-grünliche Fruchtfleisch einer Gelben Kanarischen (siehe Beitragsbild oben).
Die Mini-„Berliner Netz“ schmeckte süß und vorzüglich, war saftig und lecker. Die Große Gelbe schmeckte so, wie die Original-Berliner-Netz in den Vorjahren schmeckte: Wenig süß. Ihr Fruchtfleisch war hart und gurkig, so wie das einer unreifen Zuckermelone.
Später durfte ich entdecken, dass diese, zuerst geerntete Frucht tatsächlich noch unreif war: Reif schmeckte sie vorzüglich, angenehm süß, wie eine reife Gelbe Kanarische. Die gelben Riesen entsprachen also geschmacklich vollkommen den heutigen Anforderungen.
Insgesamt fielen mir vier der Riesendinger in die Hände. Eine war leider vollständig, eine andere zur Hälfte verfault, als ich sie ernten wollte, obwohl ich sie vorschriftsmäßig auf Dachziegelscherben deponiert hatte.
Solche traurigen Vorfälle könnten durch häufigere Kontrollen des Reifezustandes sicher verhindert werden.
Womit ich zur abschließenden Fragestellung komme:
Erhalte ich die „Berliner Netzmelone“, wenn ich sie zur Kreuzung verwende?
In der deutschen Genbank des Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) wird die „Berliner Netzmelone“ seit den 1950er Jahren „erhalten“; bis dahin wurde sie u. a. von der Pflanzenzuchtfirma Gebrüder Dippe gewerblich vermarktet und an deutsche Kleingärtner verkauft. Seit die süßen, südländischen Melonen das Land überschwemmen und die Selbstversorgung mit zunehmendem Wohlstand spießig wurde, haben die Gebrüder Dippe die Saatgutproduktion der Netzmelone eingestellt und sie in der Genbank deponiert.
Der „Verein zur Erhaltung und Rekultivierung von Nutzpflanzen“ (VERN) hatte diese Genbank-Melone vor Jahren auch einmal angebaut, um zu testen, ob sie erhaltenswert sei, wie ich auf der oben genannten Slowfood-Veranstaltung von der derzeitigen Vereinsvorsitzenden Cornelia Lehmann erfuhr; man habe sie aber als „Nicht marktfähig und somit als nicht erhaltenswert“ eingestuft. Auch ich musste sie bei meinen beiden Anbauversuchen mit „Gewöhnungsbedürftig“ und „Rezept-pflichtig“ bewerten; sie ist nicht mit den heute gängigen Melonen zu vergleichen.
Bei meiner Reschersche nach Rezepten für diese Melone fand ich heraus, dass sie in alten Kochbüchern zumeist unter „Gemüse“ rangiert und vor allem eingelegt verwertet wurde (wie Gurken und Kürbisse).
Ich werde zwar in den nächsten Jahren diese Verwertungsweise der „Berliner Netz“ testen und die Rezepte veröffentlichen, die ich gefunden habe; aber ich fürchte, dass ich das Einlegen von Melonen noch weniger populär machen kann als die eigene Saatgutgewinnung.
Aus diesem Grunde werde ich den Weg, den mir der Zufall in diesem Jahr gewiesen hat, ebenfalls weiter verfolgen: Die Kreuzung der „Berliner Netzmelone“ mit modernen Melonensorten.
Die beiden bisherigen Kreuzungsergebnisse fand ich zumindest vielversprechend. Das Riesenei könnte, ähnlich den Wassermelonen, vom Handel portionsweise verkauft werden.
Da die „Berliner Netzmelone“ in ihren frühen Jahren an hiesige Klimaverhältnisse angepasst wurde – sie ist ziemlich frühreif, ist es vielleicht möglich, mit ihrer Hilfe eine frühreife Zuckermelone zu züchten, die in Deutschland angebaut werden könnte.
Auch früher musste die „Berliner Netzmelone“ in einem Mistbeet vorgezogen werden und in Kästen wachsen, die bis Mitte Juni mit Glasscheiben geschützt werden konnten; aber immerhin brachte sie einen anständigen Ertrag zustande und wurde wenigstens unter diesen Umständen reif. Das schafft nicht jede südliche Melonensorte in hiesigen Breiten.
Aber die Frage bleibt: Erhalte ich die „Berliner Netzmelone“ mit solchem Mischmasch?
Nun, ihre Gene bleiben auf jeden Fall zum Teil erhalten; bei mehreren Kreuzungen bleiben vielleicht sogar alle ihre Gene erhalten.
Nur ihre bisherige, äußere Form, ihr Sortenbild, geht verloren.
Womit ich wieder bei meiner Lieblingsfrage bin:
Bedeutet Sorten-Erhaltung „Einen Zustand erhalten“ oder „Am Leben erhalten“?
Auch die „Berliner Netzmelone“ war das Produkt einer Entwicklung; auch sie entstand, weil ihre Merkmale und Eigenschaften generationenlang hinsichtlich bestimmter Nutzungsabsichten, unter bestimmten geschmacklichen und ästhetischen Vorstellungen ausgewählt wurden.
Vor ihr gab es andere Melonen-Varianten, die zu Vorfahren der „Berliner Netzmelone“ wurden und die es heute nicht mehr gibt.
Lebewesen zeichnen sich dadurch aus, dass sie wachsen und sich stetig fortpflanzen müssen, dass sie Teil eines ständig ablaufenden Prozesses sind. Das Leben ist ein Fluss – und Lebewesen sind vorübergehende Erscheinungen in diesem Fluss.
Das unterscheidet Lebewesen fundamental von Produkten; diese sind statische, fertige Endergebnisse von Prozessen; nur Gegenstände (Produkte) können (für längere Zeit) in einem statischen Zustand erhalten werden.
Lebewesen können nicht in einem bestimmten Zustand bewahrt werden; sie können nur „im Fluss gehalten“ werden, im Fluss des Lebens. In diesem Fluss verändern sie aber ihren Zustand, sie entwickeln sich fortlaufend weiter, sie werden von den äußeren Verhältnissen „geformt“. Im Fluss des Lebens gibt es keinen Stillstand.
Der Saatgutbunker auf Spitzbergen ist deshalb nichts anderes als ein Grab, aus dessen Eis man in 5.300 Jahren die dort eingelagerten Samen wie „Ötzi, den Mann aus dem Eis“ befreien und untersuchen kann; aber man wird sie nicht mehr zum Leben erwecken können, man wird sie nicht mehr in den Fluss des Lebens einspeisen können.
Sie müssen ständig Teil des Lebensprozesses bleiben, sonst sind sie verloren – tot.
Die „Berliner Netzmelone“ lässt sich nur erhalten, wenn sie in irgendeiner Form weiter in der Praxis genutzt und vermehrt wird. Wenn sie nicht (mehr) als „Einmach-Melone“ sondern als Teil einer Kreuzung genutzt wird, bleibt sie in neuer Form erhalten; vielleicht heißt sie in Zukunft dann nur: „Berliner Zuckermelone“.
Die Berliner Sektion von „Slowfood“ hat versucht, die „Berliner Netzmelone“ wieder in den Lebensprozess einzuspeisen. Der erste Versuch ist im Anfangsstadium gescheitert: Niemand hat eine Pflanze zur Fruchtreife bringen können; aber zwei Besucher*innen haben sich Samen meiner Kreuzungen mitgenommen. Vielleicht überleben ja einige wertvolle, nützliche Gene der „Berliner Netzmelone“ auf diesem Weg …
Herrlicher Beitrag.. ich musste ständig schmunzeln… Du solltest Gartenkolumnen schreiben!!
Liebe Tanja, danke für die Blumen; aber mir reicht das, was ich hier schreibe; denn das füllt mich (und meine Zeit) schon vollkommen aus…
Hallo Jürgen,
Du hast mich neugierig gemacht bezüglich der“ Berliner Netzmelone“. Wenn Du mir einige Samen schickst, würde ich versuchen, sie hier anzubauen. Ausschlaggebend wird das Wetter sein. Ich glaube aber, einen günstigen Standort bieten zu können.
Herzliche Grüße
Edith
Hallo Edith,
Du meinst aber schon das Original oder eine der Kreuzungen?
Ich schicke Dir auf jeden Fall mal ein paar Samen von verschiedenen „Sorten“ (zusammen mit den Möhren); dann kannst Du ja testen.
Liebe Grüße
J:)
Es gibt mich übrigens noch und es geht mir gut. Gemüse baue ich nach wie vor an, bin aber zu faul, das auf meinem Blog zu berichten. Stattdessen nutze ich Instagram. So einfach! Liebe Grüße an dich.
Hallo Yvonne, schön, von Dir zu lesen – wenn auch nur sehr wenig; aber wichtig ist zu wissen, dass es Dir gut geht.
Ich hoffe und warte auf neue Schreiblust bei Dir.
Wie finde ich Dich auf Instagram?
Liebe Grüße
J:)
So, wie auch im Blog. Unter krabunda