Keine Angst vor Sämlingen!
oder: Wie mit Falschaussagen die Vielfalt der Obstbäume massiv eingeschränkt wurde.
Kann man sich das vorstellen? Seit ungefähr 200 Jahren werden von Laien keine Obstbäume mehr aus Samen gezogen! Nicht eine neue Variante wurde seit damals von Herr und Frau Jedermann ins Leben gerufen. Die „Profis“ haben diese Jahrtausende alte Selbstverständlichkeit zu ihrem Spezialgebiet erklärt, von dem die Ahnungslosen besser die Finger lassen sollten, weil…
„…aus Kernen gezogene Bäume stets andere Früchte [tragen] als die Muttersorte, in der Regel ungenießbare.“ (Aus einer Information der ARCHE NOAH zur Veredelung von Obstgehölzen)
Mit dieser geschickten Mischung aus Wahrheit und Lüge, verkaufen die „Profis“ die Mehrheit der Gärtner:innen für dumm, so dass sie sich auf dem Gebiet der Sämlingsanzucht von Obstbäumen und Beerensträuchern keine eigenen Erfahrungen mehr zutraut.
Wahr ist: Die Früchte von Apfel-, Birnen- oder Kirschbäumen, die aus einem Samen (Kern, Stein) erwachsen, gleichen in der Regel nicht den Früchten, aus denen die Samen stammen.
Die Lüge: Die Früchte dieser aus Samen gezogenen Bäume seien in der Regel ungenießbar.
Die gesamte Wahrheit: Die Früchte dieser aus Samen gezogenen Bäume sind in aller Regel genießbar; sie sind nicht in jedem Fall gleich gut oder gar besser als die Früchte der Mutterbäume.
Manchmal wird die Sämlingsanzucht aber auch durch Internet-Seiten verhindert, die kompletten Blödsinn verbreiten, indem sie behaupten, dass man durch die Aussaat von Kernen lediglich Abkömmlinge der Unterlage erhält.
Ich kann versichern, dass die Unterlage keinerlei Einfluss auf die genetischen Eigenschaften der Samen in den Früchten hat.
Einer solchen Verdummung würde ich gerne eine allgemeine Verdammung entgegensetzen; denn Hobby-Gärten sollten heutzutage vor allem ein Reservoir für die genetische Vielfalt unserer Nutzpflanzen sein sowie Raum für Experimente und Überraschungen bieten – und kein Ort maximaler Selbstversorgung…
Wie es dazu kam, dass Laien keine Obstbäume mehr aus Samen ziehen
Ich finde es schon erstaunlich, dass eine viel-hundertjährige Tradition nach einer Weile einfach vollkommen erlöschen, in Vergessenheit geraten und sogar als Dummheit gebrandmarkt werden kann, vor der ausdrücklich gewarnt wird?
Eine Erklärung liefert vielleicht ein Buch von 1798 von Johann Leibitzer mit dem Titel „Vollständiges Handbuch der Obstbaumzucht, in welchem der Bürger und Landmann eine gründliche Anweisung findet, wie er sowohl die nützlichsten Obstbäume und Fruchtsträuche auf die leichteste Art pflanzen, erziehen, und veredeln soll, als auch wie die verschiedenen Früchte derselben in der Haushaltung am zweckmäßigsten zu verwenden sind.“
Eine „aufgeklärte Elite“ von Pfarrer, Adligem und Lehrer erklärt darin den selbstgenügsamen, sich nach altbewährter Tradition selbst versorgenden Dorfbewohnern in Form von belehrenden Dialogen, wie sie die Produktion steigern, sich in die „Marktwirtschaft“ integrieren und in immerwährendem Fortschritt zu einem immer besseren Leben gelangen können.
Die Belehrungen allein hätten vermutlich nicht geholfen, aber wirtschaftliche Not – zuerst durch fehlende Nahrungsmittel, später durch deren Überproduktion und Preisverfall – half kräftig mit, die neuen Lehren fruchtbar werden zu lassen.
Mitwirkende in dem folgenden Lehrstück (Seite 6 bis 9 der Einleitung des zuvor erwähnten Buches): Die Dörfler Hans, Görge und Stophel, Richter Thoms, Pfarrer Liebwerth, Herr von Ahrheim und Lehrer Lehrmann:
„Ey warum, – antwortete Hans, ich habe ja Bäume, die schon lange Frucht tragen, und besonders Aepfel und Birne, die ich noch in meiner Jugend aus Kernen von sehr gutem Obst gezogen habe; da habe ich für mich in manchen Jahren satt. Und ich – sprach Görge, habe mir gute Bäume vor vielen Jahren aus dem Walde gegraben, (denn auch im Walde findet man zuweilen Bäume mit schmackhaften Früchten) schöne gelbe und rothe, hübsch große Aepfel, die ich da fand und mir wohl schmeckten, diese habe ich in den Garten versetzt, und nun tragen diese Bäume herrliche Früchte. Und so lobte jeder mit ziemlicher Wärme seine Gartenbäume.
Das kann seyn, fiel der Richter scherzend ein, daß mancher von euch gute Bäume habe, aber sind sie so schön, wie jene in dem Garten unsers Vaters Liebwerth, oder Herrn von Ahrheim? tragen sie Obst von solcher Güte, Größe, Schönheit und Geschmack? und so reichlich? jährlich so voll auf? sind eure Bäume so ansehnlich, gesund, und so ordentlich? — Ich glaube nicht. Betrachtet nur eure, und jene, und dann sagt mir, ob ihr keinen Unterschied bemerket? —
Freylich sind unsere viel schlechter, nahm Stophel das Wort, weil sie meistens nicht gepfropft sind, allein wir müssen uns mit dem begnügen, was wir haben, und es ist doch immer besser etwas, als nichts zu haben.
Ihr habt Recht, erwiederte Thoms, aber sehet Freunde! wir haben zwar Bäume genug, allein sie sind nicht viel werth; auf dem Platze hingegen, wo ein schlechter Waldbaum steht, könnte ein besserer wachsen, der uns selbst mit herrlichen Früchten erquickt (o die neulichten Aepfel in der Stadt schmecken mir noch) und wovon wir manches für baares Geld verkaufen könnten; da uns itzt fast niemand unsere Baumfrüchte abnehmen will, weil sie meistens nur wild sind, und nach unserer Unwissenheit oder – Faulheit schmecken: nur zuweilen, wenn man keine besseren kriegt, lösen wir einige Groschen, mehrentheils von Kindern und armen Leuten, weil wir viel geben müssen; sonst aber bleiben wir damit sitzen, und führen sie unverkauft nach Hause. Im Gegentheil, wenn wir kostbares Obst hätten, würde man es gern kaufen, eine gute Waare selbst in unseren Gärten suchen, wir könnten die Fuhren in die Stadt sparen, und wie manche Hundert blanke Thaler kämen in unser Dorf! — Wäre es nicht rathsamer (und wirklich Zeit) daß wir auf die Verbesserung unserer Baumgärten dächten, nachdem uns die Küchengärten so viele Vortheile verschaffen, und alle noch übrigen Plätze mit nützlichen Bäumen bepflanzten? —
Ja! gewiß, riefen alle, Richter Thoms hat Recht, und mancher von uns hat das schöne Geld gesehen, welches für einen Wagen Obst gelöst wurde, wenn wir aus Liebwerths Garten einiges zur Stadt brachten, und wie reissend es wurde verkauft! – aber, aber – wer versteht sich mit den Bäumen! wer kennt die guten und schlechten? woher kriegen wir junge und gute Bäumchen? wer lehret uns pflanzen, veredeln, und gehörig warten und pflegen, bis sie einst da sind, uns mit den gewünschten Früchten erfreuen, und unsere Mühe und Arbeit belohnen? – erkläret uns Richter diese Fragen, und wir sind bereit alle unsere wilden Krüppel zu vertilgen und nützliche Bäume an ihre Stelle zu pflanzen.“
Die Profis haben natürlich gern geholfen…
In dem oben zitierten Buch von 1798 weiß man noch, wogegen es anzugehen gilt, auch im „Handbuch über die Obstbaumzucht und Obstlehre“ von J. L. Christ (1804) wird die Anzucht von Obstbäumen aus Samen noch als Fußnote erwähnt [1], aber schon 1836 heißt es: „Die Mittel, welche anzuwenden sind, um durch Kunst neue Sorten hervorzubringen, verdienen eben so wenig dem Landmanne zur Kenntnis gebracht zu werden, als die künstliche Behandlung solcher Fruchtbäume, die nur am Spalier, als Pyramiden etc. erzogen werden;…“ [2].
Die „Hebung der Obstcultur“ [3], d. h., die Ertragssteigerung steht allein im Vordergrund. Dazu wurden alle Bereiche des Obstanbaus professionalisiert, vor allem aber die Unzahl an Sorten auf wenige, ertragsstarke reduziert. Die Anzucht von Sorten aus Sämlingen nehmen nur noch professionelle Züchter vor.
In alten Werken über Beerenobstbau (1852) wird die Anzucht neuer Sorten aus Samen noch ausführlich beschrieben; aber seit damals dienen Anleitungen für die Anzucht von Apfel-, Birnen- und Kirschen-Sämlingen, sofern sie überhaupt noch Bestandteil der Obstbau-Literatur sind, ausschließlich deren späterer Veredelung mit ausgewählten, leistungsfähigen Sorten.
Die späteren Anforderungen des (Groß)Handels nach großen Mengen einheitlichen Obstes, das der Masse schmecken musste, trugen dann weiter dazu bei, alle Spezialitäten und Sorten für Sonderverwendungen (Dörren, Saft, Obstwein, Mus, Kraut, Einkochen etc.) in der Versenkung verschwinden zu lassen.
„Sag, wo die Reinetten sind, wo sind sie geblieben…“
Dahin sind wir also heute gekommen: Die Erwerbsobstbauern haben keinen Spielraum für Experimente und nutzen deshalb nur noch ganz wenige, ertragreiche Sorten und die Mehrheit der gärtnernden Menschheit wird von einer tief sitzenden Angst gelähmt, neue Sorten aus Samen zu ziehen, weil… …weil deren Früchte angeblich ungenießbar sind bzw. nichts taugen.
[1] Johann Ludwig Christ: Handbuch über die Obstbaumzucht und Obstlehre, 1804
[2] Georg Conrad Bayer: Anweisung zum Obstbau und zur Benutzung des Obstes, für den Bürger und Landmann, 1836
[3] J. G. Konrad Oberdieck & Eduard Lucas: Beiträge zur Hebung der Obstcultur, 1857
Wissen versus Glauben
Aussagen, die Früchte von Sämlingen seien in der Regel ungenießbar, sind seit 200 Jahren nichts anderes als Wiederholungen unbewiesener Behauptungen; denn seit damals hat kaum jemand die Probe aufs Exempel gemacht und tatsächlich Obstbäume aus Samen (Kernen, Steinen) gezogen.
Ich weiß davon zumindest bis jetzt nichts; falls ich hier etwas verpasst habe, bitte ich um Aufklärung in den Kommentaren.
Meine eigenen Erfahrungen beschränken sich bisher vor allem auf Erdbeeren, Himbeeren, Stachelbeeren und Johannisbeeren, aber auch auf ein paar Pflaumen- und Apfelbäume, die ich aus Samen gezogen habe. Bisher war nichts Ungenießbares dabei, manche haben das Standardangebot der Supermärkte locker übertroffen.
Dazu eine kleine Anekdote: Ich hatte im letzten Jahr einem Arbeitskollegen eine Schale Schwarze Johannisbeeren mitgebracht, die ich in meiner Sämlingsanlage gepflückt hatte. Als er ein paar davon aß, bemerkte er beiläufig, dass sie ja unterschiedlich schmeckten.
Ich muss gestehen, dass ich mich über diese Aussage heimlich unheimlich gefreut habe.
Ja, alle schwarzen Johannisbeeren sehen sich zwar sehr, sehr ähnlich, schmecken tun sie aber verdammt unterschiedlich! Sie schmecken (obwohl nicht jedermanns Geschmack)! Auf jeden Fall! Sie sind genießbar!
Über die Früchte meiner Aprikosen- und Pfirsichsämlinge habe ich ja schon Bericht erstattet; die Früchte dieser beiden Obstarten sind, ebenso wie die Pflaumen, oftmals ziemlich ähnlich wie die Früchte des Mutterbaumes. Da sie vom Pollen der eigenen Blüte(n) befruchtet werden können (sie sind selbstfertil), sind sie ziemlich reinerbig (homozygot). Ein Sämling dieser Obstarten wird nur dann ein (unbekannter) Mischling sein, wenn die Blüte zufällig mit dem Pollen einer anderen Sorte befruchtet wurde.
Auf eine solche Befruchtung hoffe ich natürlich insgeheim, wenn ich einen Sämling dieser Arten großziehe; aber bei einigen würde ich mich auch freuen, wenn sie so gut schmecken würden wie die Früchte, denen ich die Steine entnommmen habe.
Kurze Anleitung für die Anzucht von Obstbaum- und Beerenstrauch-Sämlingen
Das einfachste ist natürlich, Sämlinge, die irgendwo im Garten auftauchen, im Frühjahr auszugraben und an die gewünschte Stelle zu verpflanzen. Das habe ich mit den meisten Stachel- und Johannisbeeren so gemacht.
Bei Bäumen ist es aber auf jeden Fall ratsam, nur Kerne und Steine von guten Früchten selbst auszusäen, da unbekannte Sämlinge tatsächlich auch „Wildlinge“ sein können; bei Kirschen ist das oft der Fall, weil die wilde Vogelkirsche als Sämling nicht von einer „Kultur-Kirsche“ zu unterscheiden ist.
Ich hatte einen Kirschbaumsämling, der zufällig in der Nähe des Eingangs aufgetaucht war, ein paar Jahre wachsen lassen, bis ich im letzten Jahr seine ersten Früchte probieren konnte: Leider waren sie sein Todesurteil; denn es war eine Vogelkirsche.
Ich habe die Samen bisher immer in Plastik-Blumentöpfe ausgesät und diese bis knapp unter den Rand eingegraben, um ihren Standort besser erkennen und kontrollieren zu können. In den ersten Jahren habe ich dazu ziemlich kleine Töpfe genommen.
Das Problem bei diesen ist dann allerdings, dass die Wurzeln nach einem Jahr oft schon durch die Löcher im Topfboden hindurchgewachsen und teilweise so dick geworden sind, dass man sie nicht mehr ohne weiteres herausziehen kann, wenn man die Sämlinge im folgenden Frühjahr verschult, d. h., an einen Platz setzt, an dem sie sich die nächsten ein bis drei Jahre kräftigen können, oder an ihren endgültigen Platz pflanzt.
Aus diesem Grund habe ich im letzten Jahr ca. 20 cm tiefe Töpfe genommen. Die waren bei den Apfelbaum-, Johannisbeer- und Weintrauben-Sämlingen perfekt.
Aussäen muss man Obst- und Beerensamen immer im Herbst. Die meisten Samen brauchen entweder einen „Kälteschock“ (Äpfel) oder die Einwirkungen von Temperatur und Feuchtigkeit, damit die Keimlinge aus den harten Steinen ausbrechen zu können (Kirschen, Pflaumen, Aprikosen, Pfirsiche). Die Steine vor der Aussaat mit Gewalt aufzubrechen, was oft empfohlen wird, ist eher schädlich für den Keimling und niemals notwendig, wenn die natürlichen Verhältnisse einwirken können.
Man kann die Samen selbstverständlich auch direkt in ein ordentlich bearbeitetes Beet säen; man bedeckt sie mit einer Erdschicht, die ungefähr doppelt so dick ist wie der Same (auch in den Blumentöpfen).
Vielleicht sollte ich zum Schluss noch an eine möglichst genaue Bezeichnung der Aussaatstellen erinnern; ich wusste teilweise im nächsten Frühjahr nicht mehr, was ich wohin gesät hatte (ist vor allem bei unterschiedlichen Sorten ratsam).
In der ‚Anweisung zur Obstbaumzucht, oder Herstellung guter Obstbäume und Obstsorten durch Edelkerne‘ empfiehlt Friedrich Heusinger 1824 auf Seite 64, die Steine nicht im Herbst auszusäen, sondern:
„die sogenannten Steine aber von Pflaumen und Kirschen müssen unbedeckt im Winter und im Frühjahr liegen bleiben. Durch Frost Schnee und Regen wird ihre harte Schaale mürbe und öffnet sich um so leichter den anschwellenden Keimen.“
Lieber Detlef,
vielen Dank für Deinen Hinweis auf dieses höchst interessante Buch!
Ich glaube aber, dass Du die Aussage des Autors an dieser Stelle fehldeutest, wenn Du schreibst, dass Pflaumen- und Kirschsteine nicht im Herbst ausgesät werden sollten.
Heusinger beschreibt die Aussaat von Apfel- und Birnenkernen „im Oktober, wenn die Roggensaat bestellt ist“, und schließt mit dem Satz: „In diesen Rinnen und unter dieser Decke bleiben die Aepfel- und Birn-Kerne liegen bis zum Frühling;“ dann folgt der von Dir zitierte Satz zu den Pflaumen- und Kirschsteinen, die unbedeckt liegen bleiben sollen – „im Winter und im Frühjahr“.
Aus folgendem Grund: „Durch Frost, Schnee und Regen wird ihre harte Schaale mürbe und öffnet sich um so leichter den anschwellenden Keimen.“
Noch eine interessante, heute vergessene oder vergessen gemachte Information enthält das von Dir zitierte Kapitel des Buches: „Die ausgenommenen [Apfel- und Birnen-]Kerne werden mit Sorgfalt an der Luft und zwar im Schatten getrocknet, und bis zur Aussaat an einem trockenen, jedoch nicht heißen Ort aufbewahrt; denn, wenn sie allzusehr austrocknen, so gelangen sie nur sehr langsam oder nie zum Keimen.“
Die Samen unserer Obstbäume und Beerensträucher gehören zum rekalzitranten Lagerungstyp; sie dürfen nicht austrocknen…
Im Pomologischen Monatsheft: 1. Band gibt es einen Beitrag ‚Sollen wir unsere Obstbäume durch Aussäen von Kernen vorzüglicher Früchte, ohne Veredlung heranzuziehen suchen …?‘, in dem es im 5. Heft heißt:
„…so hätten die Kirschen und Aprikosen schon in der dritten Generation keine mittelmäßigen Früchte mehr geliefert, und bei der vierten Generation habe der Apfel sich beständig in vorzüglicher Qualität reproducirt. …“
Wäre mal interessant, zu erfahren, ob das bestätigt werden kann.
Lieber Detlef, vielen Dank für Deinen Kommentar und für den Hinweis auf den interessanten Beitrag aus dem Jahre 1855, in dem sich der bekannte Pomologe Johann Georg Conrad Oberdieck kritisch mit der Anzucht von Sämlingen befasst!
Das Zitat, das Du bringst, stammt vom belgischen Obstzüchter Jean-Baptiste van Mons, der dies behauptet hat.
In dem von Dir genannten Beitrag widerspricht Oberdiek dieser Ansicht mit folgenden Argumenten (Heft 8):
„Aber gesetzt, wir kämen durch diese und ähnliche Mittel und angewandten noch größeren Fleiß, auch planmäßigeres Vorschreiten zuletzt noch zu weit glücklicheren Resultaten, als bis jetzt erzielt sind, sieht nicht Jeder ein, daß alle diese Mittel zur Erzielung eines bessern Samens bei den Obstbäumen zu wenig in unserer gehörigen Gewalt sind, zu kostspielig sein und zu vielen Zeitaufwand etc. erfordern würden, um sie jemals für die Obstbaumzucht im Größeren anwenden und auch nur den fünfzigsten Theil der jährlich erforderlichen Stämme dadurch gewinnen zu können? Und dann! sollte man nicht glauben, daß, wenn die bei unseren Kornarten und Gemüsen erfolgreichen Proceduren, wodurch wir veredelte Spielarten erlangt haben und diese auf der erreichten Culturstufe erhalten, in vollem Maße auch auf unsere Obstfrüchte anwendbar wären, wir wenigstens, bei so gewonnenen Samen, daß er nicht durch in der Nähe befindliche schlechte Varietäten verdorben werden konnte, sondern aus Pflanzungen von lauter edlem Obste entnommen wurde, längst so weit gelangt seyn müßten, daß mindestens die erzogenen Sämlinge keine schlechten Früchte mehr lieferten, wie doch noch so häufig vorkommt?“
Eine Züchtung von reinerbigen (homozygoten) Kernobstbäumen ist zu zeitaufwändig, zu kostspielig und der zu großen Gefahr von Fremdbefruchtungen ausgesetzt, wie Oberdiek meint; außerdem sind unsere Kernobst-Arten in vielen Fällen verbindliche „Fremdbefruchter“, die sich nicht selbst befruchten können, was aber notwendig wäre, um sie (nach einigen Generationen) homozygot zu machen.
Aus diesen Gründen wurde bis heute nirgendwo eine solche Obstbaumzüchtung verwirklicht.
Die Ansicht des Herrn van Mons kann also ganz sicher nicht bestätigt werden…
… aber heute geht es ja auch nicht unbedingt um die Züchtung besserer Obstsorten, sondern um die Wiederherstellung und Erhaltung der (Individuen-)Vielfalt unserer Obst-Arten, die nur durch die Aufzucht von Sämlingen erfolgreich bewerkstelligt werden kann…
Viele Grüße
J:)rgen
Jeder Sämling ist eine Lotterie und was man gezogen hat, erfährt man 5 – 10 Jahre später. Aus dem Kern eines gelbfleischigen Pfirsichs, der im Juli reift, kann eine weißfleischige Nektarine wachsen, die Ende September reift. Im falschen Klima hat man damit schon mal verloren…
Dazu gesellen sich haufenweise andere Überraschungen. Einfach ausgedrückt: Der Gärtner investiert in eine Black Box, von der er nicht weiß, welchen Ertrag er erwarten kann. Das ist ein spannendes Hobby, aber die meisten Gärtner wollen lieber sichere, garantierte Eigenschaften.
Lieber Freiberufler,
ja, die meisten Gärtner:innen wollen sichere, garantierte Eigenschaften, da gebe ich Dir recht; aber man muss das Ergebnis einer Sämlingsanzucht nicht ganz so pessimistisch sehen, wie Du das tust. Meistens kommt etwas Brauchbares dabei heraus…
…und wenn man gleich ein paar mehr Sämlinge großzieht, erhöht sich die Chance für eine positive Überraschung…
Viele Grüße
J:)rgen
Guten Tag
Suche einen Pflaumenbaum als Containerpflanze [ wenn möglich als Säulenbaum ],
welcher nicht `veredelt´ wurde.
Haben Sie soetwas im Angebot ?
Mit freundlichem Gruß
Manfred Kase
Lieber Herr Kase,
vielen Dank für Ihre Frage; aber ich verkaufe leider keine Bäume. Ich möchte nur mehr Menschen ermutigen, selbst Bäume aus Steinen/Kernen zu ziehen.
Wie man solche Bäume später beschneidet und formt, ist dann ins eigene Ermessen gestellt.
Wenn man jedoch Sämlinge zieht, ist deren Wuchs nicht vorhersagbar.
Manche Sämlinge sind besonders starkwüchsig, wenn sie von einem anderen Baum der gleichen Art befruchtet worden sind (wohl aufgrund des Heterosis-Effekts). Viele Obstarten, die sich selbst befruchten können – hierzu zählen die Pflaumen – zeigen diesen Effekt meiner Erfahrung nach besonders ausgeprägt.
Solch stark wachsende Bäume lassen sich schlecht als kleinwüchsige „Säulenbäume“ ziehen; aber Sie können trotzdem nach der Devise vorgehen: „Nur Versuch macht klug!“ Vielleicht haben Sie ja Glück und bekommen einen Baum, der sich Ihren Wünschen gemäß formen lässt.
Viele Grüße
Jürgen Müller-Lütken
Einfach mal folgendes in die Suchmaschine eingeben: Pflaume wurzelecht
Da werden angeboten:
Gelbe Onega
Mirabelle von Metz
Parikkala
Pogauner
Sinikka
Spilling rot-gelb
Dass seit 200 jahren keine Sämlinge mehr grossgezogen wurden, stimmt so pauschal nicht.
Alle Neuzüchtungen (Pink lady, Kanzi, und ähnlicher Phenolarmer Apfelschrott) sind ja auch Sämlinge von gezielten Kreuzungen. Du meinst sicher „Zufallssämlinge“.
Aber auch da gibt es einige, den Breaburn aus Neuseeland oder Australien, als Zufallssämling am Wegesrand gefunden. Oder diesen furchtbaren Golden Delicious, Zufallssämlung aus Apfeltrester einer Mosterei in den USA. Sind alle jünger als 200 Jahre.
Hab noch weitere Beispiele, würde aber zu lange dauern.
Beste Grüße, ein Selbstaussäer, mache Most und Cidre draus – Torsten
Lieber Torsten,
vielen Dank für Deinen Kommentar!
Selbstverständlich werden auch heute noch von professionellen Apfel-Züchter:innen Sämlinge großgezogen; ohne Sämlingsaufzucht ist keine Züchtung, sprich: Auswahl, möglich…
Mir geht es in diesem Beitrag auch nicht um „Zufallssämlinge“, also Sämlinge, die irgendwo, z. B. aus weggeworfenen Apfelresten oder auf die Arten, die Du erwähnst, von selbst entstehen.
Mir geht es um Frau Und Herr Jedermann, also um Laien, die sich seit 200 Jahren nicht mehr trauen, ganz bewusst Sämlinge aufzuziehen, weil sie glauben, es kämen dabei nur „Wild-Äpfel“ heraus; diesem Vorurteil soll dieser Beitrag entgegenwirken.
Ich möchte, dass möglichst viele Leute wieder Samen von Äpfeln (am besten nicht von modernen Zuchtsorten!) aussäen und damit gezielt neue „Apfelsorten“ erschaffen, d. h., die frühere Apfelvielfalt – so weit wie möglich – wiederherstellen, die durch die moderne Apfelzüchtung verlorengegangen ist.
Viele Grüße (und viel Erfolg mit Most und Cidre aus Deinen Sämlingen – kann ich davon irgendwie etwas bekommen?)
Jürgen
Lieber Jürgen
Im Zusammenhang mit dem Anlegen eines naturnahen Wildobstgartens beschäftige ich mich mit der Frage, warum Äpfel und Birnen nicht auch wie z.B. die Sorten der Gattung Prunus über Samen stabil vermehrt werden können. Veredelung wird in Europa zwar seit dem Mittelalter betrieben, systematisch vermutlich aber erst ab dem 18. Jahrhundert, wie von Dir ausgeführt. Darf angenommen werden, dass früher Kultur-Äpfel- und – Birnen auch sortenecht über Samen vermehrt wurden?
Anlässlich einer entsprechenden Anfrage an ProSpecieRara.ch antwortete mir Florian Bärtschi, Projektleiter Obst, „Mir sind keine Birnensorten bekannt, die über Samen weitervermehrt werden“. Eine Internetrecherche ergab aber, Pyrus communis ‚Barley‘ (gleich Williams), aus Frankreich stammend sei in Nordamerika die am häufigsten angebaute Birnensorte. Sie ist zwar nicht selbstbefruchtend aber wird mit Samen vermehrt, und häufig zum Kauf angeboten von Samenvertriebsfirmen. Die anderen mit Samen vermehrbaren Sorten sind Asiatische Kultur-Birnen.
Bei den Äpfeln werden neben Zieräpfeln, Malus pumila und der Malus mandshurica mit Samen vermehrt. Für Malus domestica bin ich nur auf Samen des Kulturapfels ‚Bittenfelder Sämling‘ gestossen. Ich gehe aber davon aus, dass es früher mehr Pyrus communis – und Malus domestica Sorten gegeben haben muss, die geschlechtlich stabil vermehrt wurden. Wirtschaftliches Denken wurde früher anderen Massstäben unterworfen, wird vermutet. Ein durch Samen gezogener Birnbaum ‚Barley‘ kann im Alter von 100 Jahren noch tragen. Er wird angeblich auch als Wurzelstock benutzt und soll weniger krankheitsanfällig sein.
Zu bedenken ist aber, wie in diesem Forum bemerkt, dass die Fremdbefruchtung durch Zier- und Wildobst unerwünscht ist. Sind Ihnen selbstfertile Samenechte Äpfel- und Birnensorten bekannt? Gibt es hierfür Forschung oder weiterführende Literatur?
Viele Grüsse aus dem schweizer Glarnerland
Marc
Lieber Marc,
danke für Deinen Kommentar!
Bei den heimischen Kultur-Obstsorten Apfel, Birne und Kirsche ist mir auch keine Sorte bekannt, die über Samen sortenrein vermehrt werden könnte.
Die erste und wichtigste Bedingung dafür wäre, dass sie selbstfertil sind; denn ansonsten ist bestenfalls eine annähernde Sortenechtheit zu erreichen, so wie bei Fremdbefruchtern anderer Kulturpflanzen. Nach einigen Generationen von Befruchtungen, die allerdings bei den langsam wachsenden Bäumen ein konstantes Kreuzen über mehrere Menschengenerationen zur Voraussetzung haben müsste, wäre das vielleicht zu erreichen. Das hat aber wohl bei Apfel, Birne und Kirsche noch niemand versucht.
Da die vegetative Vermehrung schon seit der Antike bekannt ist, wurden die hiesigen Obstsorten weniger durch Samen vermehrt, so dass der zufällige Fund eines Sämlings, der selbstfertil ist, eher unwahrscheinlich war.
Meine Theorie ist, dass nur bei Obstarten, die sich sehr lange in Kultur befinden und die schneller Früchte ansetzen (Pflaume, Pfirsich), selbstfertile Bäume entdeckt wurden und somit Sorten „gezüchtet“ werden konnten, die sich über Samen rein vermehren. Je länger also Arten kultiviert und durch Samen vermehrt wurden, desto größer war diese Wahrscheinlichkeit.
Das war bei Obstarten, die hier kultiviert und eben schon lange vegetativ vermehrt wurden, bis heute eben nicht der Fall.
Da die Vermehrung über Samen heute vollständig außer Gebrauch ist, wird das auch in Zukunft eher unwahrscheinlich sein…
Birnenbäume, die nicht selbstfertil sind, können auf keinen Fall sortenecht vermehrt werden, da sie immer von einer anderen Sorte befruchtet werden müssen – und damit „unrein(er)“ werden.
Die Samen der Birnensorte ‚Barley/Williams‘ werden vermutlich nur als Unterlagen verwendet, d. h., um mit „edlen“ Sorten bepropft zu werden…
Wenn man die heimischen Obstarten über Samen vermehrt, ist es selbstverständlich von Nachteil, wenn sich Wildarten einkreuzen; aber da der Prozentsatz von Kultursorten hierzulande doch noch stark überwiegt, ist die Gefahr, einen „Kultur-Wild-Mischling“ aufzuziehen, eher gering.
Aus Samen gezogene Bäume sind in der Regel wüchsiger und vitaler als „veredelte“ Bäume; aber 100 Jahre sind für einen Birnbaum noch kein Alter; die können weitaus älter werden – selbst veredelte Bäume.
Dass man gute Sämlinge von Pflaumen und Birnen über Wurzelausschläge vermehren kann, ist ein weiterer Vorteil von Sämlingen.
Ich bin zwar kein Freund von Wildobstarten; aber ich wünsche Dir trotzdem viel Erfolg und Glück mit Deinem Projekt!
Viele Grüße aus den trüben Nordwestdeutschland
J:)rgen
Moin
Die „Gefahr“ „Kultur-Wild-Mischlinge“ aufzuziehen ist gar nicht so gering, zumindest wenn man Samen von gekauften Äpfeln verwendet. In den Erwerbsobstanlagen sind nämlich Zierapfelbäume Standard. Und zwar genau zu dem Zweck der Bestäubung.
Da es im Artikel ja um die Schaffung von Vielfalt geht, ist das eigentlich aber kein Problem. Die Äpfel der „Kultur-Wild-Mischlinge“ dürften zwar etwas kleiner ausfallen, als das Standardsortiment, die Bäume aber dafür auch weniger krankheitsanfällig als bei der Kreuzung zweier moderner Sorten.
Vielen Dank für den interessanten Artikel.
Mein Projekt bzgl. Apfelsämlingen ist vor ein paar Tagen auch gestartet.
Lg Fred
Lieber Fred,
danke für Deinen Kommentar!
Nun, mit Kultur-Wildapfel-Mischlingen vermehrt man zwar auch die genetische Vielfalt und bekommt womöglich robuste Bäume; aber man hat mit den Früchten höchstwahrscheinlich wenig Freude – und darum geht es doch in der Hauptsache, denke ich; deshalb ist es womöglich wirklich ratsam, Sämlinge nicht aus den Kernen von Standardsorten des Handels zu ziehen, sondern aus Kernen von irgendwelchen (guten) Straßen- und Streuobstwiesen-Bäumen. Die Äpfel der gewerblichen Obstplantagen können zwar auch von benachbart wachsenden, anderen Handelssorten befruchtet worden sein – denn das Anpflanzen von Zierapfelbäumen zur Befruchtung ist (noch) nicht die Regel – aber deren Anpflanzung ist stark im Kommen, wie man in der Zeitschrift Öko-Obstbau 1-2018 in einem Beitrag nachlesen kann.
Viele Grüße und Erfolg mit Deinen Apfelsämlingen!
J:)rgen
Mythos „Wilder Apfelbaum“
Hier hat jemand sowas gemacht
Danke, Henrik, für den „Video-Kommentar“ mit einem Beispiel für das Ergebnis eines gesäten Apfelbaumes!
Bei mir tragen mittlerweile auch mehrere Sämlinge leckere, große Äpfel, über die ich (hoffentlich) am Jahresende einmal ausführlich berichten kann.
Ich freu mich auf jeden Fall, wenn sich Wissen langsam gegen Aberglauben durchsetzt und die genetische Vielfalt unseres Obstes wieder vermehrt wird, damit auch unsere Enkel und Urenkel noch Äpfel essen können, falls sich das Klima einmal drastisch ändern sollte und unseren jetzigen Kulturapfelsorten den Garaus macht…
Viele Grüße
J:)
Im Buch ‚Ur-Obst – Wurzelecht und pflegeleicht‘ von Norbert Kleinz werden erwähnt:
Lettischer Zuckerapfel: „Nach Auskunft der Einheimischen wird diese Sorte traditionell aus Samen gezogen“
Schwarze Wildkirsche Raas: „… stellt einen der wenigen heutigen Nachweise für samenechte Süßkirschen dar.“
Bei uns im Garten wächst ein Birnenbaum, das sich selber ausgesät hat. Wahrscheinlich ist der Samen durch Vogelkot in den Garten gekommen, denn in der näheren Umgebung wächst kein Birnenbaum. Die Schale der Birnen ist hart und derbe und muss geschält werden und die Früchte enthalten relativ viele Steinzellen. Aber der Geschmack ist wunderbar feinwürzig mit milder Süße. Ein Hobbygärtner darf sich ruhig an der Vermehrung durch Samen versuchen und sich überraschen lassen. Und damit die genetische Vielfalt erhalten und fördern.
Allein das elende ‚Gegendere‘ hält mich vom Verteilen dieses sonst guten Artikels ab.
Ja, es ist schon ein Elend, dass es Menschen auf dieser Welt gibt, die etwas anderes wollen und für richtig halten als man selbst…
Trotzdem: Danke für das Lob!
Viele Grüße ins schöne Wimstal
Jürgen
Hallo ihr Sämlingsfreunde, kann mir Jemand einen Rat bzgl. Traubensämling geben. Ich habe 2 Pflänzchen aus süßen Trauben gezogen, muß ich die nun veredeln auf eine andere Unterlage oder können die auch so wachsen? Und zu dem Thema Bäume und Sträucher aus Kernen ziehen kann ich nur sagen, macht das und bleibt neugierig. Es ist erstaunlich, was da alles entsteht. Ich selbst habe aus Kernen des Albrechtsapfel Bäumchen gezogen, dieser Apfel, so hat mir ein Pomologe gesagt sind auch gute Veredlungsunterlagen. Ich veredle eben auch gerne mal Reiser von alten Obstsorten und verschenke dann die Bäumchen. Auch ziehe ich mir Unterlagenbäume des Apfel Antanowka. Dieser hat ein genetisches Gesundheitspotential und das darf nicht verloren gehen. Außerdem sind diese Unterlagen bei Baumschulen schwer zu haben. Also, selber ziehen. Bleibt alle schön gesund und habt Freude an Euerem Tun. Liebe Grüße Birgit.
Hallo Birgit,
Dank für Deinen Kommmentar!
Wachsen werden Deine Traubensämlinge auf jeden Fall; nur ob sie wieder süße, große, grüne oder rote Trauben bekommen, ist nicht mit Sicherheit vorhersehbar; aber darum geht es ja genau bei der Anzucht aus Sämlingen: Den genetische Variantenreichtum zu vermehren.
Die Sämlingsanzucht, die ich hier in diesem Beitrag vorstelle, hat nichts (oder nur sehr wenig) mit der Anzucht von Unterlagen zu tun; diese wurden sehr lange aus Samen gezogen (vielleicht zum Teil auch heute noch; aber die Klon-Vermehrung aus Einzelzellen im Labor wird heute die bevorzugte Methode sein).
Ich hoffe also, dass Du hier nicht nur Werbung für eine Baumschule machst, die „veredelte“ Bäume verkauft (schon der Begriff „Veredelung“ ist eine Schönfärbung der Klonierung, die dabei eigentlich stattfindet).
Es geht um die Vermehrung der genetischen Vielfalt der Obstbäume – und dazu müssen neue Bäume aus Samen gezogen werden und Früchte bringen; sie dürfen nicht „veredelt“ werden!
Liebe Grüße
Jürgen
Ein schöner Beitrag, den ich gern kommentieren und ergänzen möchte.
An meiner Joggingstrecke, direkt am Rand der Kyritz-Ruppiner Heide, stand bis vor gut 30 Jahren mal ein Feuerwachturm, auf dem russische Soldaten Feuerwache halten mussten.
Hin und wieder wurden Apfelgriebsche heruntergeworfen und inzwischen sind daraus Bäume gewachsen, die Früchte tragen. Die Bäume stehen also irgendwo, mitten im Wald und haben sich auf der damaligen Lichtung durchsetzen können, werden aber immer mehr von den schneller wachsenden, Birken- und Kiefernsämlingen unterdrückt. Obwohl die ca. 5 Apfel-Bäume Zufallssämlinge sind und nur wenig direktes Sonnenlicht bekommen, tragen sie teils sehr schöne Äpfel. Nur an einem Baum sind die Äpfel tatsächlich ungenießbar. 2 Bäume tragen mittelgroße bis große Äpfel, die durchaus markttauglich wären. (ich hätte auch Fotos davon , aber wenn ich ähnliche Sorten bestimmen müsste, würde ich die Äpfel so beschreiben: 1x große, grüne Äpfel, so ähnlich wie die Sorte Grüner Fürstenapfel und 1x helle, rötlich-gestreifte Äpfel, ähnlich wie die Sorte Müschens Rosenapfel) Von diesen Bäumen habe ich mir bereits Reiser entnommen und sie in diesem Jahr auf einen meiner Mehrsorten-Apfelbäume veredelt.
Ich wollte anhand von diesem Beispiel nur mal aufzeigen, wie problemlos man neue Apfelsorten entstehen lassen kann und dass die Erfolgsaussichten garnicht schlecht sind, auch attraktive Früchte zu erhalten.
Eine Sache sollte man aber dringend bedenken, wenn man vor hat heutzutage selbst gute Äpfel zu züchten.
Die Äpfel aus dem Supermarkt sehen super aus, haben aber ganz schlechte Erbanlagen und sind daher für die Zucht gänzlich ungeeignet. Um dies zu erläutern muss ich etwas ausholen. Man muss sich eigentlich nur mal damit beschäftigen, wie und wo die Supermarkt-Äpfel entstanden sind, …nämlich meistens im Erwerbsanbau. Im Erwerbsanbau werden, nicht ohne Hintergedanken, fast immer „Zieräpfel“ als gute Befruchtungssorten verwendet. Diese sind sicherlich auch gut als Befruchter, aber ich bin überzeugt, dass sie auch deshalb im Erwerbs-Obstbau eingesetzt werden, weil sie das Erbgut der, in den entstehenden Früchten enthaltenen Kerne, für eine Nachzucht unbrauchbar machen. Ist doch eigentlich ganz logisch, denn es ist doch nicht im Interesse der Züchter und Erwerbsbauern, wenn man mit jedem gekauften Apfel die Möglichkeit hätte, selbst eine ähnliche Sorte zu generieren.
Wer also selbst gute Äpfel züchten möchte, sollte sich einen guten Apfel aus Nachbars oder dem eigenen Garten nehmen und die Kerne von diesem Apfel einpflanzen, dann hat man gute Erfolgs-Chancen. (sofern keiner der Nachbarn einen Zierapfelbaum zu stehen hat, der als Samenspender infrage kommt)
Wer im eigenen Garten erfolgreich züchten will sollte niemals einen Zierapfel in der Nähe pflanzen und niemals die Kerne des schönen Supermarktobstes verwenden, denn die Früchte zeigen leider nicht auf, von welcher Sorte der Pollen gekommen ist, der sie hat wachsen lassen.
Die oft kursierende Aussage, dass bei der Aussaat von Apfelkernen meist ungenießbare oder minderwertige Sorten entstehen, trifft daher auf die meisten Supermarkt-Äpfel zu, aber nicht auf die Äpfel, die man selbst im eigenen Garten geerntet hat, denn diese tragen in ihren Kernen oft sehr gute Erbanlagen und sind bestens für die private Zucht geeignet :)
Liebe Grüße
Michael
Lieber Michael, vielen Dank für Deine ausführlichen Ergänzungen!
Einen kleinen Einspruch möchte ich aber gegen Dein Verdikt erheben, niemals Samen von Supermarkt-Äpfeln auszusäen.
Erwerbsobstbauern mögen sicher hier und da Zierapfelbäume als Befruchter in ihre Apfelplantagen pflanzen; aber das wird eher die Ausnahme sein (oder hast Du dazu Angaben aus entsprechenden Fachzeitschriften?), da die Obstbauern meistens mehrere Apfelsorten anbauen, die sich dann auch untereinander befruchten können.
Dass sie ihre Äpfel durch die Befruchtung mit Zieräpfeln genetisch „verunreinigen“ und damit das wertvolle Erbgut vor fremden Zuchtbemühungen schützen wollen, halte ich für noch weniger wahrscheinlich.
Für solche „Verunreinigungen“ mit Zierapfel-Erbgut sind eher die Züchter verantwortlich, die bestimmte Resistenz- oder andere erwünschte Eigenschaftes des Zierapfels in ihre Sorten einkreuzen bzw. gen-technisch einsetzen.
Aber grundsätzlich stimme ich Dir vollkommen zu: Samen von alten Apfelsorten auszusäen, ist auch für mich der bessere Weg… … obwohl auch aus den Samen moderner Apfelsorten hervorragende neue Äpfel entstehen können (wie Du ja selber vermutest).
Viele Grüße
Jürgen
Schöner Artikel vielen Dank. Ich hab mich auch durch verschiedene Foren gelesen und immer wieder wird man auf die möglichen Probleme einer Zucht aus dem Samen hingewiesen, ganz wie in dem Artikel beschrieben. Letztens hab ich gesagt bekommen, die Genetik der Früchte sei so, dass die Pflanze nur auf Frucht gezüchtet sei und daher wäre dann der Stamm der Pflanze nicht kräftig genug, wenn man sie nicht pfropft.
Ich kann diese Einwände alle verstehen, aber ich glaube auch nicht an die Unmöglichkeit einer Zucht aus Samen mit gutem Ergebnis.
Zu der obigen Kontroverse: Ich mache gerade den Versuch. Ich habe aus einem Supermarktapfel (leider weiß ich die Sorte nicht mehr) einen kleinen Baum gezogen. Dieses Jahr wird er 4 Jahre alt. Sollte er irgendwann Früchte tragen melde ich mich wieder. Leider bin ich nur ein Hobbygärtner, aber was den Schnitt und so betrifft informiere ich mich noch.
Viele Grüße
dass man Obstbäume und Sträucher in der Regel durch Stecklinge vermehrt, wusste ich zwar. Dass die Früchte von aus Samen gewonnenen Bäumen ungenießbar sein sollen, höre ich jedoch zum ersten mal. Zum Glück ich bin nämlich gerade dabei Apfelbäume aus Kernen zu ziehen. Habe die Kerne im Kühlschrank vorkeimen lassen und vor kurzem eingepflanzt. In einem Töpfchen habe ich schon ein kleines Pflänzchen…. der Apfel aus dem die Kerne stammen war ein „Pinova“, was die Befruchter Sorte war weiß ich nicht. Mein Opa, der früher selbst Obstbäume hatte, hat mein Experiment mitbekommen und nichts dagegen gesagt. Er wollte nur wissen, wo ich die Apfelbäume einpflanzen will. Vermutlich hätte ich es auch nicht geglaubt, wenn jemand gesagt hätte, dass ich so keine guten Äpfel kriegen kann… bin jedenfalls gespannt was dabei rauskommt und ich plane dieses Jahr auch noch Birnensämlinge zu ziehen uvm. :-) ich habe es in der Vergangenheit mal versucht einen Apfelsteckling zu ziehen aber der ist mir nicht geworden. Und wie Sie es schon geschrieben haben: es lebe die Vielfalt.
Liebe Manuela, ich wünsche Dir viel Glück und damit Erfolg mit Deinen Apfelsämlingen!
Von meinen acht Bäumchen der ersten Generation von 2012 haben vier im vergangenen Jahr Früchte getragen; zwei Bäume trugen mittelmäßige Früchte, eher mehlig; einer hatte ziemlich kleine Äpfel. Ein Baum lieferte jedoch leckere, knackige, süße Äpfel, die mit jeder modernen Sorte mithalten können (würde ich behaupten), obwohl die Samen von einem Baum stammen, der schon vor ca. 80 Jahre von meinem Großvater gepflanzt wurde (ich bevorzuge ja für die Anzucht aus Samen die alten Sorten).
Vielleicht kannst Du ja in ein paar Jahren hier mal berichten, was aus Deinen „Pinova“-Sämlingen geworden ist…
Viele Grüße, J:)
Ich bin beeindruckt von diesem großen Engagement für die Artenvielfalt! Ich wünschte, ich hätte selbst schon einen Garten. Nun habe ich mich gerade für das Ziehen von Obstbäumen aus Samen interessiert, weil ich meiner Nichte zur Taufe einen Baum schenken wollte, also einen Sämling, und immerhin mein Bruder, ihr Vater, isst Äpfel in Mengen. Ist das nicht ein schönes Geschenk fürs Leben: Ein Baum, der mit einem aufwächst, den man irgendwann einpflanzen kann und der einem später die ersten Früchte gibt und dann noch viele Jahre begleitet?
Jedes Kind sollte so eine*n Lebensweg-Partner*in haben!
Danke für diesen aufklärenden und ermutigenden Beitrag! Meine Mutter hat mir damals zumindest gesagt, dass es schwer sei, Sämlinge zu ziehen. Ich werde jetzt Bäume pflanzen – und säen!
Liebe Baumfranzi,
Das wäre wirklich eine wunderbare Sache: Für jeden Menschen, der das Licht der Welt erblickt, einen Sämling zu pflanzen; das würde die genetische Vielfalt der Obstbäume wieder gigantisch erhöhen!
Das wäre ganz in meinem Sinne!
Doch in Deinem Fall sehe ich folgendes Problem: Einen Sämling zu pflanzen, ist ja immer ein Experiment; man weiß nicht genau, was dabei herauskommt.
Natürlich wird aus einem Apfelsamen immer ein Apfelbaum entstehen, aber wie seine Äpfel schmecken und aussehen werden, das kann man nicht wissen; deshalb sollten die Eltern, in deren Garten der Baum wachsen (und Raum greifen) soll, einem solchen Experiment aufgeschlossen gegenüber stehen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass der Sämling ungeliebt nicht alt wird.
Man kann einen Sämling natürlich auch als ein Symbol sehen: Der Sämling steht sozusagen für das Neugeborene, von dem man ja auch nicht weiß, wie und was es werden wird.
Jemand, der einen Sämling wachsen und sich auf seine Art entwickeln lässt, wird auch sein Kind wachsen und sich auf seine Art entwickeln lassen. Er wird es lieben, hegen und pflegen, was und wie auch immer es werden wird. Er wird sich über die Früchte freuen, die ihm der Apfelbaum in ein paar Jahren schenken wird.
Bei jedem anderen Apfelbaum wird der Vater immer eine bestimmte Erwartung hegen, er wird erwarten, dass der Baum bestimmte Früchte tragen wird, und er wird ärgerlich sein, wenn er das nicht tut.
Wenn er dasselbe von seinem Kind erwartet, kann es sein, dass Vater und Kind unglücklich werden; deshalb ist ein Sämling vielleicht genau das richtige Geschenk für ein Neugeborenes!
Einen Sämling zu ziehen ist auf jeden Fall kinderleicht: Man muss nur Samen (am besten immer mehrere) in die Erde streuen; keimen und wachsen tun sie dann von allein (die meisten zumindest). Anschließend brauchen sie nur ein wenig Pflege, sie bedrängendes „Unkraut“ jäten und bei großer Trockenheit gießen; das sollte reichen.
Viele Grüße und maximalen Erfolg!
J:)rgen
Am Strand der Steilküste von Rügen bei Sassnitz wachsen Apfelbäume vermehrt von Apfelgripschen aufgegessener Äpfel. Die ständig feuchte Luft des Meeres und der Sandboden scheinen für das Keimen gut zu sein
Hallo Kater,
danke für Deinen Hinweis!
Ja, ich fände es sehr interessant, mehr über die Bäume und deren Früchte zu erfahren, die sich auf diese Weise vermehrt haben…
Viele Grüße, J:)
Ich bin beeindruckt von Deiner Sämlingsplantage. Insbesondere der kleine Kirschbaum hat es mir angetan. Johannisbeeren habe ich bisher nur aus Stecklingen gezogen. Für die Aufzucht aus Samen fehlt mir wohl die Geduld.
Von meinen diesjährigen Kartoffelsämlingen könnten es einige allerdings in den Garten schaffen. Noch sind die Nächte aber zu kalt für die empfindlichen Pflänzchen.
Ich bin sehr gespannt auf die Auswertung Deiner Ernteergebnisse!
Viel Freude am Experimentieren wünscht
Edith
Hallo Edith,
der Kirschbaum ist nicht so klein, wie er auf dem Bild aussieht; ich schätze ihn auf gute drei Meter Höhe.
Ich glaube, ihm hat die Kälte auch zugesetzt; trotzdem hoffe ich noch auf Früchte.
Na, ich lass‘ mich überraschen.
Viele Grüße
Jürgen
Wunderbar. Ich finde auch immer Sämlinge im Garten. Meistens Kirschen die dann ganz fantastisch schmecken. Wenn man drankommt. Warum müssen Kirschen in so kurzer Zeit so riesig groß werden?
Aber ich hab dieses Jahr auch nachgeholfen und hab jetzt kleine Apfelbäume, kleine Quitten, kleine Kirschen und kleine Aprikosen. Eigentlich hab ich einen großen Garten, aber…
Nur die Methode mit den eingegrabenen Töpfen geht hier nicht. Die Krähen wissen ganz genau, was ich da mache, die buddeln das alles aus.
(und ich hab heute Kartoffeln gelegt :))
Hallo Astrid,
danke für Deinen Kommentar.
hast Du schon Sämlingskirschen, die so groß sind, dass Du die Früchte probieren konntest?
Dann bin ich sehr an Fotos interessiert.
Ich hoffe in diesem Jahr das erste Mal auf eine Ernte.
Und die Keimlinge der anderen Obstarten gucken bei Dir jetzt auch schon aus der Erde? Und davon willst Du noch welche in Deinem Garten verteilen?
Da bin ich natürlich auch mal gespannt, was daraus wird…
Viele Grüße
Jürgen
P.S.: Meine Kartoffeln kommen in den nächsten Tagen auch in die Erde…
Ich hab schon richtig große Sämlinge. Einige musste ich schon fällen. Aber die Kirschen sind superlecker. Sehr klein, viel Stein, intensives Kirscharoma. Leider werden die Bäume sehr schnell sehr groß, man kommt an die Kirschen nicht dran. Das könnte man mit einer Veredelung ändern, denke ich. Dafür gibts also durchaus Gründe.
Von den Bäumen kann ich jetzt Fotos machen, Früchte dauert noch ein bisschen.
Danke für Deine Antwort.
Wenn die Kirschen so klein sind, könnten das dann nicht auch „Vogelkirschen“, also „Wildkirschen“ sein? Oder hast Du die aus Kernen von Kirschen gezogen, die Du selbst gegessen hast, und die „normal“ groß und lecker waren?
Es gibt natürlich genug Gründe, Bäume auch zu „veredeln“ („Veredelung“ ist auch so ein schöner Euphemismus für stinknormales „Pfropfen“, so wie „Senioren-Residenz“ für „Altersheim“ und „Entsorgungspark“ für „Mülldeponie“). Gute Sorten können nur so vermehrt werden – und das soll ja auch geschehen.
Reiser/Augen von guten Sorten auf schwach wachsende Unterlagen zu pfropfen, kann helfen, Bäume klein zu halten oder früher Erträge zu bekommen; aber „Edelreis“ und Unterlage müssen auf jeden Fall zueinander passen, damit sie gleichmäßig wachsen und es keine unschönen Dickenunterschiede gibt.
Na, damit sollen sich andere befassen. Ich stehe auf die unterschiedlichen Wuchsformen und werde bestimmt den einen oder anderen Baum sich frei entfalten lassen – sofern mir seine Früchte schmecken. Ich hoffe nur, dass nicht alle „gut“ schmecken und ich es schaffe, wenigstens einige „umzulegen“.
Liebe Grüße
Jürgen
Hallo Jürgen,
die Kirschen ziehen sich selbst. Vogelkirschen hab ich bewusst noch nicht probiert. Die sollen ja nicht so gut schmecken. Meine schmecken hervorragend.
Aber ich hab mich jetzt hinreißen lassen, es gibt jetzt Fotos. Ist noch im Entwurf-Stadium, fehlt noch alles:
http://peppenkumer-ansichten.de/2019/04/14/kirschen-in-meinem-garten/
Ich werde die jedenfalls nicht veredeln. Aber die Methode der aktiven selektiven Vermehrung werd ich dieses Jahr auch nochmal probieren. Im ersten Versuch hatten die Krähen was dagegen.
— Warum müssen Kirschen in so kurzer Zeit so riesig groß werden?
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Ahornblatt in Mainz bietet folgende Süßkirschen an:
Süßkirsche ‚Fatesch‘, wurzelecht, Strauchig bis Kleinbaum nur 3–4 m hoch;
Strauchkirsche ‚Rotes Wunder‘, wurzelecht, am ursprünglichen Standort nur 4 m hoch;
Diese würde ich als Mutterbäume für Sämlinge nehmen.
Lieber Detlef,
danke für Deine Kommentare!
Mir geht es in dem Beitrag darum, für neue Vielfalt bei unserem einheimischen Obst zu werben, indem man „Mischlinge“ aufzieht.
Eine samenechte Vermehrung ist in diesem Fall nicht viel anderes als die Klonierung, d. h., die vegetative Vermehrung, die bei unseren Obst- und Beerengewächsen gewöhnlich durchgeführt wird; sie führt zum immer Gleichen, zu nichts Neuem also…
Viele Grüße
J:(rgen