Obstbäume, verstümmelt
oder: Die Grundregeln beim Obstbaumschnitt.
Der Obstbaumschnitt ist auch ein Gebiet, auf dem ein Großteil früheren Wissens verloren gegangen ist. Wer weiß heute noch, wie Obstbäume am besten geschnitten werden? Ich nicht.
Vielleicht haben es auch vor 50 Jahren nicht viele Leute gewusst. Möglicherweise bedurften die Bäume der Streuobstwiesen in dieser Hinsicht auch gar keiner Pflege.
Wie mir scheint, ist das Wissen, dass Bäume überhaupt beschnitten werden sollten, aber doch ziemlich weit verbreitet; zumindest sehe ich in den Kleingarten-Kolonien, die ich hin und wieder besuche, kaum Obstbäume die nicht (irgendwann einmal) beschnitten worden sind: Ziemlich viele sehen dann leider grauenhaft und verstümmelt aus, wie ich finde.
Nun ist Ästhetik ja subjektiv und ein mich schaudernder Anblick sagt über die Ernteerträge und Lebensdauer solcher Bäume noch lange nichts aus; aber auch in den von mir konsultierten Lehrbüchern habe ich derartige Schnitte nirgends entdeckt.
Ich muss also davon ausgehen, dass hier ein mir fremder Geschmack waltet oder einfach nur Unwissen am Werke ist, im besten Falle (hoffentlich) „Versuch und Irrtum“.
Wie schneide ich einen Obstbaum
Nun bin ich (noch) kein Fachmann des Obstbaumschnitts, aber ein paar grundlegende Hinweise zum Pflegeschnitt eines Obstbaumes kann ich nach dem Studium einiger Fachbücher und aufgrund eigener Erfahrungen dennoch geben (bei Erziehungsschnitt von Jungbäumen und der Verjüngung sehr alter Bäume gelten diese allgemeinen Regeln zwar auch, bei ihnen gibt es jedoch noch einige Besonderheiten zu beachten).
Vielleicht helfen sie ja dem einen oder anderen, der seinen Baum beschneiden möchte, aber nicht genau weiß, wie er das am besten anstellen soll (für die, die mehr Zeit haben und mehr wissen wollen, habe ich am Schluss des Beitrags eine Video-Reihe eingebunden, die den Obstbaumschnitt sehr anschaulich und ausführlich erklärt):
- jeder Obstbaum sollte zumindest in seinen Grundzügen so aussehen, wie ein „freilebendes“ Exemplar der Art gewöhnlich ausschaut; an der äußeren Gestalt eines Baumes sollte man erkennen können, ob man einen Apfel-, Birnen- oder Kirschbaum vor sich hat
- Äste sollten immer direkt am Astring, also möglichst nahe an der Ansatzstelle abgesägt werden; es sollten also keine Stummel stehen bleiben.
Im ersten Fall kann der Baum die „Wundstelle“ mit der Zeit „überwachsen“, d.h., verschließen. Bei einem Stummel ist das jedoch nicht möglich; deshalb bildet dieser eine Einfallstelle für Pilze und sonstige Baumzersetzer.
Außerdem schlägt der Baum an solchen Enden besonders kräftig aus, d.h., er bildet jede Menge neue Zweige an der Schnittstelle. - Wenn ein Baum eine gewisse Größe erreicht hat, möchte man ihn oft gern in dieser Höhe erhalten. In diesem Fall sollte man die Spitzen der Zweige nur noch sehr sparsam beschneiden, den letztjährigen Trieb also maximal um ein Drittel kürzen. Je mehr man ihn nämlich stutzt, desto kräftiger treibt er aus.Die Größe eines Baumes hängt vor allem von seinen genetischen Eigenschaften ab: So gibt es groß-wüchsige Bäume und (besonders) klein-wüchsige, z.B. die heutigen Säulenobstbäume. Ein groß-wüchsiger Baum lässt sich schlecht „kleinhalten“, zumindest nur in eingeschränktem Maße.
- alle Äste und Zweige, die ins Innere des Baumes wachsen, sollte man vollständig entfernen. Dadurch kommt mehr Luft und Licht an die übrigen Äste, Pilzkrankheiten haben weniger Möglichkeiten, sich zu verbreiten, und die innen hängenden Früchte bekommen mehr Sonne ab.
- bevor man immer alle Äste komplett einkürzt, sollte man lieber nur hin und wieder größere Äste entfernen. Diese Vorgehensweise trägt dazu bei, dass die äußere Gestalt des Baumes erhalten bleibt, sie fördert die Verjüngung und sie verbessert die Belüftung und Belichtung, da dann etwas größere Lücken im Baum entstehen.
Wo ich dramatisch irre, möge man mir in den Kommentaren die Meinung geigen; ansonsten gilt natürlich auch hier wieder die Devise: Höre immer mehrere Meinungen! Vieles ist zwar Ansichts- oder Geschmackssache, für manches gibt es dann aber doch einen RICHTIGEN Weg.
Ich bin mir nicht sicher, ob man z.B. die Schnittstellen mit Baumwachs oder sonstigem Zeug beschmieren (abdichten) muss; Fachleute raten auf jeden Fall immer dazu, besonders natürlich bei größeren Wunden.
Ich persönlich tendiere ja meistens zu der „natürlichen“ Art und Weise, in diesem Fall zur Lufttrocknung; an diese haben sich die Bäume im Laufe ihrer Entwicklung wohl am längsten und besten angepasst. Denke ich.
Und wenn ich in dieser Hinsicht irre, ist ein alternder, großer Obstbaum mit Höhlen und Löchern auch ein eigener Lebensraum – und für mich ein wunderschöner Anblick.
Hier noch ein paar Bilder von meinem „größten“ Apfelbaum, meinem Erbstück, den ich heute auch wieder ein wenig beschnitten habe. Ich habe mich sogar an seinem „Krebs“ versucht.
Bisher, so habe ich den Eindruck, hat er mir meine Eingriffe nicht besonders übel genommen; aber in diesem Jahr war ich vielleicht ein bisschen sehr forsch…
…aber ich werde sehen und im nächsten Jahr hoffentlich seine Reaktion hier zeigen können.
Damit ich (und Du natürlich auch) noch etwas lernen kann, binde ich ein paar Videos des Bundesinformationszentrums Landwirtschaft (BLZ) ein, die verschieden Arten des Obstbaumschnitts sehr anschaulich zeigen: