Rosa-roter Mini-Mais

oder: Was aus meinem schwarzen, super-süßen Zuckermais geworden ist.

Nein, es ist kein (böser, neidischer) Zauberer erschienen und hat meinen perfekten, schwarzen Zuckermais in kleine, rosa Kölbchen verwandelt. Nein, ich bin nur im letzten Winter auf die Webseite eines engagierten Maissorten-Erhalters gestoßen, der mir Samen von zwei hübschen Sorten überlassen hat. Die habe ich dann zusammen mit meinem weißen Mais und einer peruanischen Maisspezialität wachsen und blühen lassen.

Ich wollte also schon wieder Gene neu mischen, bevor ich meinen schwarzen Zuckermais überhaupt zum ersten Mal in Reinform probiert habe.

Maiskolben der Ernte 2020: weiß, schwarz, rosa, rot

Um diese Maiskolben geht’s in diesem Beitrag…

Trotzdem: Keine Bange, der schwarze Zuckermais wird heute wieder eine Hauptrolle spielen! Ich werde doch das Projekt nicht sang- und klanglos einschlafen lassen, wo ich Dich vielleicht gerade erst neugierig gemacht habe und Du der vierten Episode der Serie „Zuckersüß und superschwarz“ entgegenfieberst! (falls Du die anderen Teile verpasst hast, hier findest Du sie: Teil 1, 2 und 3)

Nein, nein, nein, so ein Unhold bin ich nicht, auch wenn ich vielleicht hin und wieder so bezeichnet werden mag, weil ich mit meinen unorthodoxen Ansätzen manch tradierte Gewissheit infrage stelle, in diesem Fall den Lehrsatz, kostbare, alte Sorten streng getrennt zu vermehren, um sie sortenrein zu erhalten.

Hybridisieren und dehybridisieren

Für Euer Verständnis sollt Ihr auf jeden Fall mit Informationen belohnt werden, die Ihr andernorts nur selten findet:

Einmal führe ich Euch (mal wieder) praktisch vor, wie Ihr Euer mehrbändiges Wissen über moderne Pflanzenzüchtung, falls Ihr das im Kopf habt, total vergessen und Euch eine maximal bunte, genetisch einzigartige Nutzpflanzenwelt schaffen könnt, einfach so zum Spaß oder auch in vollem Ernst.

Ich zeige Euch, wie man hybridisiert.

Hummel sammelt Maispollen von weiblicher Maisblüte

Maispflanzen werden nicht von Insekten befruchtet: Diese Hummel klaut Pollen, anstatt ihn zu bringen…

Die maximale Vervielfältigung der Genkombinationen ist ja eine meiner Lieblingsbeschäftigungen, der ich schon länger bei Zwiebeln und auch bei Möhren nachgehe, und die die Voraussetzung für den zweiten Teil der Infos ist, die ich hier zum Besten gebe, für die Dehybridisierung.

In Teil „Dehyb“ erfahrt Ihr (wieder anhand eines praktischen Beispiels), wie Ihr Euch, ohne das geringste Wissen über Pflanzenzüchtung, eine wunderschöne Wunschsorte aus dem kunterbunten Pflanzenmix herauspräparieren könnt.

Ein paar rote Maiskörner am Schwarzen Kolben

Was soll ich davon halten? Entwickelt sich hier etwas Neues, ein violetter Mais?

Ich fange mit dem zweiten Teil an (besser: ich fahre mit ihm fort), der vollkommen unwissenschaftlichen Kreation einer schwarzen, super-süßen Zuckermaissorte.

Eine (reine) Sorte entsteht

Nun, meine wirklich hartgesottenen Leser:innen werden bescheid wissen, da sie meinen Beitrag „Pflanzenzüchtung kann jeder“ schon (mehrfach) gelesen haben; aber für alle anderen fasse ich noch mal ganz kurz (wirklich!) zusammen: Bei der „unwissenschaftlichen Pflanzenzüchtung“ vermehrst Du bevorzugt die Pflanzen aus einer bunten Vielfalt, die möglichst viele erwünschte Eigenschaften zeigen.

Fertig!

Das war doch jetzt kurz, oder?

Schwarze Maiskörner und zugehörige Maisspindeln

Die ausgewählten Maiskolben und ihre Körner: die Saat für den Anbau 2020

Das wiederholst Du dann jahrein, jahraus, bis aus den gesäten Samen nur noch Pflanzen erwachsen, die Dich rundum zufrieden stellen. Dann hast Du eine neue, reine Sorte gezüchtet; sie ist dann auch richtig ordentlich samenfest.

Da Du als Hobby-Gärtner:in nicht unter Konkurrenzdruck stehst, kann das auch ruhig ein paar Jahre dauern, und wenn Du immer so weitermachst, erhältst Du Deine neue Sorte auch (rein).

So haben das die (unbewussten) Pflanzenzüchter:innen Jahrtausende gemacht, und so mache ich das nun wenigstens schon drei Jahre beim Zuckermais (Jahr 1, 2 und 3).

Der sieht mittlerweile so aus:

Ich gestehe, dass es langsamer vorangeht, als ich dachte.

Man kann zwar sehen, dass mehr schwarze Körner an den Kolben sind als in den Vorjahren, wie ich finde, und keine Stärkekörner mehr, aber eben noch genug in anderen Farben.

Meine Auswahlzüchtung muss also weitergehen…

Für dieses Jahr habe ich mir vorgenommen, das erste Mal auch einige Maiskolben zu probieren – und mit einer Wildtierkamera die gefräßigen Mitesser zu enttarnen; denn ich musste im Spätsommer, nachdem ich mir schon über das bombastische Wachstum meines F4-Hybrid-Maises die Hände gerieben hatte, mit Schrecken feststellen, dass ich nicht allein war: Irgendwelche Lebewesen schafften es, die Kolben der Maispflanzen zu erklimmen und sich durch ihre dicke Schicht an Lieschblättern zu nagen, um sich mit meinen super-süßen Maiskörnern die Bäuche vollzuschlagen.

Abgenagter Maiskolben

Vollständig geplünderter Kolben am 26. September

Als ich diese Dieberei entdeckte, hoffte ich noch auf einen Einzeltäter mit begrenzter krimineller Energie; aber am folgenden Wochenende erschienen mir die Verluste schon Dimensionen angenommen zu haben, die mich in Panik versetzten: Kurzerhand entfernte ich alle erreichbaren Kolben aus dem Mais-Bohnen-Kürbis-Gewirr, immer in der Angst, die nächtlichen Übeltäter könnten mich beobachten und mich hinterrücks überfallen, um mir ihren fest eingeplanten Winterspeck wieder aus den Händen zu reißen.

Gott-sei-Dank fanden sie später nur die letztjährigen Kolben im Toilettenraum; sonst wäre meine Maiszucht hier zuende – und ich müsste mich auf die rosa Minikölbchen beschränken.

Ratzekahl verputzt: Leere Maisspindeln

Das ist alles, was mir das Diebsgesindel gelassen hat: abgenagte Maisspindeln … vom letzten Jahr (2019)

Also vollständige Maiskolbenverluste gilt es bei einer Maiszucht unter allen Umständen zu vermeiden; denn sonst bleibt nicht mehr viel zum Auswählen.

Wollt Ihr sonst noch etwas über die 2020er Auslese wissen?

Ich hatte ein besonders großes Beet besonders sorgfältig in einem 80 x 80 Zentimeter-Raster mit Maissamen bestückt und die Jungpflanzen etwas später mit Stangenbohnen vergesellschaftet. Ihr Wachstum übers Jahr könnt Ihr detaillierter im Beitrag „Blaue Bohnen aus Bamberg“ verfolgen, in dem ich die hervorragende Kooperation der Maispflanzen mit den Stangenbohnen dokumentiert habe; deshalb seht Ihr hier nur sechs Fotos:

Ich könnte noch selbstkritisch anmerken, dass das Raster vielleicht zu groß war, vielleicht wären 60 x 60 Zentimeter besser gewesen; dann hätten die Bohnen alle Maispflanzen möglicherweise besser miteinander verbinden und dadurch ein Umfallen von Teilen des Maisdickichts verhindern können.

In diesem Jahr werde ich das Raster verkleinern, die Anzahl der Pflanzen pro Fläche also erhöhen. Dadurch kann ich die Menge der Bohnen minimieren, die ich an den einzelnen Maispflanzen verlege. Das wiederum sollte dazu führen, dass die Maispflanzen als Stützen nicht überansprucht werden.

Gut, viel mehr gibt es vom schwarzen Zuckermais nun wirklich nicht zu berichten; wirklich interessant ist ja ohnehin nur, ob und wie sich die Zahl der schwarzen Maiskörner mit der Zeit vermehrt.

Luftwurzeln am Fuß von Maispflanzen

Luftwurzeln am Fuß einiger Maispflanzen (daneben sind Stangenbohnen zu sehen)

Und damit komme ich zum anderen Teil des versprochenen Angebots an unwissenschaftlichem Wissen: zur gewollten aber ungezielten Kreation einer einzigartigen, bunten Pflanzenvielfalt, zur Hybridisierung.

Reine Sorten mit Absicht verunreinigen

Ging es zuvor um die ständige Auslese, durch die Sorten rein(er) gemacht werden, geht es jetzt um ständige Kreuzung/Mischung, um Pflanzen genetisch unterschiedlicher, sprich: unrein(er), zu machen.

Bei vielen Menschen stehen F1-Hybride auf dem Index; landauf, landab wird in Gärtner:innenkreisen von ihrer Nutzung abgeraten. Von den allermeisten Saatgut-Tauschbörsen wird F1-Hybrid-Saatgut sogar explizit ausgeschlossen.

Dabei hält man mit F1-Hybrid-Saatgut einen wahren Schatz in Händen; denn in ihm sind in der Regel zwei möglichst unterschiedliche Sorten mit perfekten Eigenschaften vereinigt.

Rosa Maiskölbchen mit gelben und schwarzen Mischlingskörnern

Rosa Maiskölbchen mit gelben, weißen und schwarzen F1-Hybrid-Körnern

Ich kann nicht verstehen, warum so viele kundige Leute davor warnen, F1-Pflanzen weiterzuvermehren, oder sogar behaupten, man könne diese Pflanzen garnicht weitervermehren. In den gleichförmigen F1-Hybriden versteckt sich eine immense genetische Vielfalt, die sich kinderleicht zum Leben erwecken lässt, wenn man diese Pflanzen weitervermehrt!

Alle, die die genetische Vielfalt unserer Nutzpflanzen mehren möchten, sollten sich glücklich schätzen, in jedem 08/15-Baumarkt F1-Hybrid-Saatgut kaufen zu können! Ich dagegen muss eine ähnliche genetische Vielfalt immer erst mühsam (nein, nicht wirklich!) herstellen, indem ich selbst F1-Hybrid-Saatgut erzeuge.

Meine weiße Körnermaissorte war noch nicht völlig rein geworden, als ich einen Teil (den Rest haben jetzt die Mäuse gefressen) schon wieder mit drei weiteren Maissorten in Verbindung gebracht habe, um neue F1-Hybriden zu bekommen.

Hier sind die vier Sorten in Körnerform, die ich Anfang Mai zusammen dem Boden übergeben habe.

Körner von vier verschiedenen Maissorten

Körner von vier verschiedenen Mais-„Sorten“: Peruanischer Mais, mein weißer Körnermais, rote Zuckerfee und Pink Pop

Das Endergebnis war zwar nicht ganz befriedigend, aber ein bisschen neue Mischung hat die Natur zuwege gebracht, wie Ihr auf den Bildern der rosa Mini-Maiskölbchen feststellen könnt.

Hürden und Hindernisse bei der Hybridisierung

Als ich meinen ersten Zuckermais-Beitrag geschrieben habe, bin ich auf der Suche nach Informationen stundenlang durchs Internet geirrt und, dabei durstig geworden, auf ein peruanisches Getränk gestoßen, ein alkoholfreies „Spuckebier“, „Chicha morada“ genannt. Dieser Trunk wird mit dunkel-violettem, stark färbendem Mais („Maíz morado“) hergestellt.

Diesen Mais wollte ich natürlich unbedingt haben; aber in ganz Europa konnte ich keinen bekommen – zumindest nicht als Saatgut.

Das Schöne an Mais (und anderem Getreide sowie Bohnen, Erbsen, Linsen und Kartoffeln) ist ja, dass normalerweise auch die gewöhnlichen Speisevarianten zur Weitervermehrung taugen (auch wenn das vonseiten der professionellen Saatguthändler nicht gern gesehen wird). So besorgte ich mir kurzerhand eine Tüte mit violettem Speisemais aus einem südamerikanischen Online-Super-Mercado (gibts aber auch in anderen Schopps).

Maíz morado

Tüte und Kolben des „Maíz morado“

Nach einem (sehr) erfolgreichen Keimfähigkeitstest wurde er für den geplanten Mischanbau für tauglich befunden.

Gekeimte Körner des Maiz morado

Nach wenigen Tagen sahen die eingeweichten und in einen nassen Lappen verpackten Körner so aus…

Eine Schwierigkeit blieb aber noch: Würde dieser peruanische „Maíz morado“, der in seiner Heimat, nah am Äquator, unter Kurztagsbedingungen wächst, auch blühen? Dazu muss er nämlich nicht nur eine gewisse Größe erreicht haben, sondern die Tage müssen zu dieser Zeit auch noch kürzer als die Nacht sein (oder wenigstens gleich lang).

Diese Bedingung ist aber in unseren nördlichen Breiten erst im Oktober erfüllt.

So war meine Hoffnung gering, dass er in meinem Garten mit den anderen Maissorten zusammen blühen und sich mit ihnen mischen würde.

Ganz heimlich hatte ich allerdings gehofft – und darum habe ich diesen scheinbar sinnlosen Versuch gestartet, dass eine der Morado-Pflanzen ein abweichendes Verhalten zeigen und ihren Blütenstaub zur „Unzeit“ (für mich aber gerade rechtzeitig) ausstreuen würde, um meine weißen Maispflanzen zu befruchten.

Doch ein unzeitiger Sturm brachte Teile des Experiments zum Erliegen und so durcheinander, dass ich die verschiedenen Sorten nicht mehr auseinanderhalten und somit später auch nicht feststellen konnte, ob fehlender Fruchtansatz auf die Niederlage oder den Langzeitsommer zurückzuführen war.

Umgeknickte Maispflanzen

Mein „Ziermais“ am 9. September: vom Winde verweht; nur die runden Zukkini liegen noch an ihrem Platz…

Die wenigen weißen Maiskolben, die ich ernten konnte, zeigten ein paar farbige Maisörner; aber sind sie aus einer „Fremdbefruchtung“ durch den violetten Mais entstanden oder noch Relikte des „Schwarzen Tessiners“?

Diese Frage kann mir nur ihre Weitervermehrung beantworten…

Weiße Maiskolben mit schwarzen oder violetten Einsprengseln

Weiße Maiskolben mit schwarzen oder violetten? Einsprengseln

Im Gegensatz zu den beiden neuen Sorten, dem rosa Popcorn-Mais „Pink Pop“ und dem roten Zuckermais „Zuckerfee“, die ich vom Pflanzenblicker B. S. bekommen hatte: Diese wiesen etliche Körner an ihren Kolben auf, die auf die Vaterschaft einer anderen Sorte hinwiesen – genau so, wie ich mir das gewünscht hatte.

Kölbchen der Maissorte 'Pink Pop'

Kölbchen der Maissorte „Pink Pop“, die ein Popcorn-Mais sein soll…

Kölbchen des Pink Pop in groß

Nahaufnahme der Kölbchen des „Pink Pop“

Diese Wunsch-F1-Körner sind ganz klar und fest für den Überraschungsanbau dieses Jahres eingeplant. Vielleicht kann ich mit ihnen Maispflanzen mit großen, rosa Kolben produzieren; denn „Pink Pop“ hat nur viele, aber winzige Kölbchen. Vielleicht schnitze ich mir aber auch einen weißen Popcorn-Mais mit großen Körnern daraus.

Hybridisierung oder auf Deutsch: Vielfaltsmehrung ist doch spannend, oder? Irgendwie muss ich die Neugier bei Euch wach halten, damit Ihr auch morgen noch mal auf meinen Seiten vorbeischaut…

Roter Zuckermais mit Pink Pop gemischt

Einige Körner der „Zuckerfee“ zeigen eindeutig ihre Verwandtschaft mit den Körnern des „Pink Pop“

Ich werde in diesem Jahr aber auch einen größeren Bestand des „Maíz morado“ in die Welt setzen; vielleicht ist ja tatsächlich eine Pflanze darunter, die unter Langtagsbedingungen blüht – und vielleicht auch noch ausreift.

Selbst wenn sich der Morado nur mit den anderen Sorten mischt (außer mit dem schwarzen Zuckermais natürlich!), bin ich zufrieden; dann kann ich auch in diesem Fall das Ausleseprinzip der alten „Pflanzenzüchter“ anwenden und mir einen dunkel-violetten Mais herausuchen, der in meinem Garten unter Langtagsbedingungen sicher blüht und fruchtet.
Nennen werde ich ihn „Violeta Parra“; das steht schon mal fest…