Wunderbare Erdbeervermehrung
oder: Eine genaue Anleitung, wie man sich Gartenerdbeeren aus Samen zieht.
Dieser Beitrag enthält einmal keinen Bericht aus meinem Garten, sondern ein Kapitel (Seite 40 bis 49) aus einem Buch von 1874, das ein Herzensanliegen von mir sehr ausführlich beschreibt: die Anzucht von Erdbeerpflanzen aus Samen, und damit meine ich nicht Wald- oder Monatserdbeeren, die immer aus Samen neu gezogen werden müssen, sondern die Anzucht der bekannten, groß-früchtigen Gartenerdbeeren (Fragaria x ananassa), im folgenden Text auch die „amerikanischen“ genannt.
Ich hätte den Beitrag auch „Wunderbare Erdbeer-Sorten-Vermehrung“ nennen können – denn aus jedem Samenkorn entsteht eine völlig neue Erdbeersorte, eine Erdbeerpflanze also mit völlig neuen, unbekannten, überraschenden Eigenschaften, die man, wenn sie gefällt, schmeckt, gesund ist, unter den eigenen Bedingungen bestens gedeiht usw., dann durch die bald entstehenden Ausläufer vegetativ vermehren und verbreiten kann; man kann ihr dann auch einen selbst gewählten, möglichst einzigartigen Namen verpassen – und hat damit schon eine neue Erdbeersorte kreiert.
Der Autor ist Franz Goeschke, damals Gartenbaudirektor und Leiter des Königlich Preußischen Pomologischen Instituts in Proskau (heute: Prószków, Schlesien), der u. a. die wunderbare Erdbeersorte „Königin Luise“ gefunden (gezüchtet) hat.
Der Titel des Buches lautet „Das Buch der Erdbeeren: eine practische Anleitung zur Cultur derselben im freien Lande wie auch zum Treiben in Kästen und Häusern nebst Mittheilungen über Botanik, Geschichte, Classification der Erdbeeren und Beschreibung aller in den Gärten bekannten Arten und Varietäten“ und ist 1874 im Verlag von E. Schotte & Voigt, Berlin, erschienen.
In der digitalen Bibliothek der Bayerischen Staatsbibliothek kann es vollständig gelesen werden.
Illustriert habe ich den Text u. a. mit Bildern von Erdbeersämlingen, die sich immer wieder in größerer Zahl in meinem Garten finden lassen. Wenn ich sie behalten und später ihre Früchte testen will, muss ich die ebenfalls munter keimenden sonstigen Gewächse („Unkräuter“) sorgsam um sie herum auszupfen.
Falls Du mir dabei einmal zur Hand gehen willst (oder Erdbeersämlingen in Deinem eigenen Garten Raum schaffen musst), kannst Du auf den „Suchbildern“ weiter unten schon mal sehen, was auf Dich zukommt. Wenn Du die Vermehrung Deiner Gartenerdbeeren durch Samen allerdings so ausführst, wie Franz Goeschke sie beschreibt, hast Du damit natürlich keine Last.
Die Vermehrung durch Samen
… Von einer Vermehrung der Erdbeeren aus Samen, d. h. von einer Fortpflanzung distincter Varietäten aus Samen, sodass die Sämlinge genau die Eigenschaften der Mutterpflanze reproduciren, kann eigentlich nur bei den Monats-Erdbeeren die Rede sein, da nur diese sich echt und constant aus Samen fortpflanzen lassen. Bei den grossfrüchtigen Sorten der amerikanschen Racen ist es stets unsicher und man kann niemals mit Bestimmtheit darauf rechnen, dass man aus Samen ganz gleiche Individuen wie die Mutterpflanze erzieht.……
Während unserer langjährigen Praxis haben wir bei unserer ziemlich ausgedehnten Sämlingszucht von Erdbeeren gerade auf diesen Punkt unser Hauptaugenmerk gerichtet und dabei die verschiedensten Beobachtungen gemacht. Manche Sorten zeigten in ihren Sämlingen eine so merkwürdige und mannigfaltige Verschiedenheit, schon in der äussern Erscheinung der Blätter, des Wuchses u. s. w und vereinigten in sich ein Spiegelbild so verschiedenartiger Charaktere der verschiedensten Sorten, dass man über die Mannigfaltigkeit staunen muss. Andere Sorten wieder zeigten so grosse Uebereinstimmung fast aller Individuen in Blatt und Wuchs, dass man auf Grund dieses Umstandes wohl auf eine fast constante Reproduction der Varietät aus Samen zu hoffen berechtigt sein dürfte.
Wenn aus allen diesen Gründen die Vermehrung bestimmter Varietäten aus Samen nicht die genügende Sicherheit bietet, so ist hingegen diese Vermehrungsweise das Mittel, um neue vorzüglichere Varietäten zu erziehen. Fast alle bisher entstandenen Varietäten der amerikanischen Race verdanken wir entweder dem Zufall oder der künstlichen Befruchtung. Will man letztere ausführen, so muss dabei mit der grössten Aufmerksamkeit, Vorsicht und Ueberlegung verfahren werden. Einen gewissen Scharfblick und gewissen Takt erfordert die Auswahl der Samenträger, d. h. der Mutterpflanzen, welche die Früchte und Samen hervorbringen sollen. Alle Züchter stimmen darin überein, dass man aus rein praktischen Gründen zu Mutterpflanzen die kräftigeren, härteren und tragbareren Sorten wählen solle, deren Früchte in irgend einer Beziehung zu wünschen übrig lassen und daher noch der Verbesserung bedürftig sind. Den Pollen oder Blüthenstaub nehme man dagegen von solchen Pflanzen, deren Früchte sich durch Qualität, Grösse oder sonstige hervorragende Eigenschaften vortheilhaft auszeichnen, wenn auch sonst die Pflanze an Tragbarkeit, kräftigem Wuchs, selbst Grösse der Früchte, andern Varietäten nachsteht.
Ueber die Ausführung der Befruchtung lassen wir die Angaben eines ausgezeichneten englischen Erdbeerzüchters, Mac Ewen (Fruit Culture: the Strawberry von George Mac Ewen, London 1856) als leicht verständlich und praktisch hier folgen.
„Nachdem man als Mutterpflanze eine Sorte von schöner Form und tadellosem Wuchse ausgewählt hat, entfernt man aus den Blüthen alle Antheren (Staubbeutel) noch ehe diese letzteren sich geöffnet und ihren befruchtenden Pollen auf die Narbe gestreut haben. Den Pollen (Blüthenstaub) nimmt man von einer anderen Pflanze (der Vaterpflanze) die sich durch gute Eigenschaften auszeichnet, als da sind: Farbe, Aroma, Grösse der Früchte etc. Sobald die Narben in den Blüthen der Mutterpflanze klebrig sind, lässt man den mit einem kleinen feinen Pinsel entnommenen Blüthenstaub (Pollen) auf dieselbe fallen und die Operation ist somit vollendet. Damit aber die Bienen und der Wind unser Werk nicht etwa zerstören, ist es gut, die Blumen, mit welchen man eine Befruchtung vorgenommen hat, ein Paar Tage lang vorher und nachher mit etwas Gazestoff oder besser mit einer Glasglocke zu bedecken. Den Pollen kann man eine Zeit lang an einem trockenen Orte aufbewahren.“ An einer andern Stelle sagt derselbe Züchter: „Vor allen Dingen sollte man weniger auf die Grösse der Frucht, als auf ihr Aroma sein Augenmerk richten; z. B. sollte man Befruchtungsversuche machen, um das unvergleichliche Aroma der alten Moschus-Erdbeeren mit den ausgezeichneten Eigenschaften so schöner fruchtbarer und dankbarer Sorten wie „Keens Seedling‚ British Queen“ oder „Eleanor“ zu vereinigen. Es ist schon viel, wenn man bei einem Sämlinge nur einen Schritt vorwärts nach dem beabsichtigten Ziele bemerkt, solche Pflanzen zeichne man aus und benutze sie zur Anstellung weiterer erneuerter Versuche.“
Was nun die Ernte und Aussaat des Samens anbelangt, so kann man hierbei auf verschiedene Weise verfahren. Die Aussaat kann vorgenommen werden, 1. sogleich nach der völligen Reife der Frucht und 2. erst im nächsten Frühjahre.
Zur Aussaat benutzt man am besten sogenannte Samen- oder Saatschüsseln, wie sie allgemein in der Gärtnerei in Gebrauch sind. Nachdem man auf den Boden dieser Gefässe eine dünne Schicht Topfscherben gelegt, wodurch ein geregelter Wasserabzug hergestellt wird, so füllt man sie mit einer lockern, aus gleichen Theilen Mistbeet- und Haideerde mit etwas Sand vermengter Erde, deren Oberfläche man mit einem geeigneten Brettchen oder der untern geraden Fläche eines leeren Blumentopfes recht glatt ebnet und etwas andrückt. Die Erde wird alsdann nicht ganz bis zum Bande der Schüssel reichen, sondern noch einen Raum von 1 — 1 1/2 Centimeter übrig lassen.
Hat man keine specielle Befruchtung vorgenommen, so wählt man zur Aussaat nur die schönsten und besten Früchte, welche man dazu recht vollkommen reif (eher etwas überreif als zu wenig reif) werden lässt. Haben die Früchte das gewünschte Stadium der Reife erreicht, so nimmt man dieselben nach den einzelnen Sorten ab und schält mit einem kleinen Messer die oberste Fleischschicht, auf welchen die eigentlichen Samen (Nüsschen, Achänen) liegen, recht dünn und gleichmässig ab. Diese Fleischstückchen werden sodann, die Samen nach oben gerichtet, auf die bereitgehaltenen, schon mit Erde gefüllten Samenschüsseln in entsprechenden Zwischenräumen ausgebreitet und nachdem die Schüssel voll und mit dem betreffenden Etiquette oder Nummerholz, welches Namen der Sorte, Nummer oder sonstige Bemerkungen enthält, versehen ist, mit einer dünnen Schicht derselben Erde, nur mit etwas mehr Sand vermengt, vermittelst eines geeignetes Siebes oder Durchschlags überstreut, sodass sämmtliche Samen gleichmässig aber nicht zu hoch mit dieser Mischung bedeckt sind. Nachdem die Schüsseln noch mit einer feinen Brause gehörig angefeuchtet sind, werden sie in ein kaltes, höchstens lauwarmes Mistbeet unter Glasfenster gestellt und täglich oder nach Bedürfnis bespritzt, sodass die Erde bis zum Aufgange der Samen stets gleichmässig feucht ist. Sollte durch öfteres Bespritzen oder durch schiefe Stellung der Schüsseln ein Theil der Samen von der Erde entblösst sein, so kann man diesem Mangel durch nochmaliges dünnes Uebersieben mit Erde abhelfen. In Ermangelung eines Mistbeetkastens stellt man die Schüsseln ganz einfach an einen möglichst geschützten und warmen Ort im Garten ins Freie und bedeckt sie bis zum Aufgehen der Samen mit Glasscheiben. Gegen zu grosse Sonnenhitze wie auch gegen Platzregen müssen sie durch irgend eine passende Vorrichtung geschützt werden. Auch stelle man die Schüsseln auf Brettchen, Stein- oder Schieferplatten, einige Centimeter erhöht über den Erdboden ‚ damit die Regenwürmer nicht durch die untern Löcher in die Schüsseln eindringen.
Nach zwei bis drei Wochen beginnen die Erdbeersamen zu keimen. In diesem Zustand und bis zur Bildung der eigentlichen Blätter erfordern die kleinen Erdbeersämlinge eine aufmerksame Behandlung. Durch möglichst viel frische Luft sucht man dieselben allmählig abzuhärten und sobald sie ausser den Cotyledonen (Samenlappen) mehrere Blätter gebildet haben, kann man sie in’s Freie an einen gegen Sonnenhitze und heftige Platzregen geschützten Ort stellen.
Da wir die Bemerkung gemacht haben, dass bei sonst ganz gleicher Behandlung die Samen der verschiedenen Sorten ungleich lange liegen, ehe sie aufgehen, so darf man sich durch diesen Umstand nicht irritiren lassen. Sobald in einzelnen Schüsseln die Pflanzen die erforderliche Grösse erlangt haben, nimmt man sie aus dem Mistbeet und giebt ihnen einen passenden Standort, während man die übrigen ungestört bis zu diesem Zeitpunkte an demselben Orte stehen lasst. Sogar in ein und derselben Schüssel gehen die Samen häufig nicht gleichmässig auf. Es liegt dies theils in einer fehlerhaften, nicht gleichmässigen Bedeckung der Samen, theils auch wohl mit in dem ungleichen Zustand der Reife, in dem sich einzelne Samen oder ganze Früchte befunden haben. Unter Umständen können sogar manche Samen erst im nächsten Frühjahr zum Aufgehen kommen. Hat man werthvollen, vielversprechenden Samen ausgesäet, so lasse man sich durch solche Unregelmäßigkeiten nicht zu einem vorzeitigen übereilten Austopfen der Samenschale verleiten, sondern lasse sie lieber etwas länger stehen, bis man annehmen kann, dass alle Samen aufgegangen sind.
Da die Erdbeersämlinge in diesem zarten Lebensalter leicht durch allzugrosse Feuchtigkeit leiden und in Folge dessen umfallen oder verfaulen, so bestreut man dieselben zum Schutze dagegen zum öftern mit pulverisirter Holzkohle, besonders nach dem Begiessen. Auch gegen Schnecken muss man sehr auf der Hut sein, sie können in einer Nacht eine beträchtliche Anzahl hoffnungsvoller Pflanzen gänzlich vernichten. Wegen Schutz- und Vertilgungsmittel verweisen wir auf das betreffende frühere Capitel.
Ist nun das Aufgehen der Samen günstig von Statten gegangen und haben die Sämlinge alsbald eine genügende Grösse und Stärke erreicht, so kann man zum Pikiren (Verpflanzen) derselben schreiten. Zur Aufnahme der jungen Sämlinge bereitet man sich in heller sonniger, aber etwas gegen Zugwind geschützter Lage im Garten ein besonderes Beet vor mit lockerer nahrhafter Erde. Am besten eignet sich zur Aufnahme derselben ein kaltes Mistbeet, auf welchem Blumen- oder Gemüsepflanzen gestanden haben. In jedem grossen Garten kann man ja um diese Jahreszeit über einen oder mehrere solcher Kästen verfügen. Hat man nur eine kleine Anzahl Sämlinge zu pikiren, so genügen auch schon eine Anzahl oben erwähnter Samenschüsseln, oder flache, aus schmalen Brettchen angefertigte Holzkästen von beliebiger Grösse. Sind nun alle Vorbereitungen getroffen, dann schreitet man zum Pikiren selbst. Man hebt mit einem spatenförmigen Hölzchen die Sämlinge aus den Samenschüsseln und pflanzt sie, nachdem die Hauptwurzel bis zur Hälfte ihrer Länge verkürzt ist, wodurch die Bildung von Neben- oder Faserwurzeln sehr befördert wird, an den für sie bestimmten Ort. Mit einem zugespitzten runden Hölzchen oder Stäbchen macht man zuvor ein Loch, hält die junge Pflanze mit ihren Wurzeln in passender Stellung hinein und drückt mit dem Hölzchen die Erde leicht an die Pflanze. Hat man Raum vollauf, so giebt man den Sämlingen eine Entfernung von 6-8 Centimetern nach allen Richtungen hin. Hat man nicht allzuviel Platz, so nehmen die Sämlinge auch mit weniger Raum vorlieb, bis sie alsbald nach genügender Entwickelung auf die eigentlichen Beete im Erdbeergarten verpflanzt werden. Nach dem Pikiren werden sie gehörig angegossen und bis zum völligen Anwachsen durch Schattiren gegen die allzugrellen Sonnenstrahlen, ebenso durch Auflegen von Fenstern oder Laden gegen heftigen und anhaltenden Regen geschützt. Das Anwachsen geht binnen 6 — 8 Tagen vor sich.
Sind die Erdbeersamen in den Saatschüsseln nur unregelmässig aufgegangen, so hebt man nur die stärksten und kräftigsten Pflanzen zum Pikiren aus, jedoch ohne die kleineren stehen bleibenden zu stören. Ist die etwas zu weit vorgerückte Jahreszeit nicht mehr zum Pikiren geeignet, so überwintert man die Sämlinge in den Saatschüsseln in einem kalten Gewächshaus, an einem luftigen hellen Orte nahe den Fenstern, und nimmt das Pikiren erst im Frühjahre vor.
Auf dem Pikirbeete erfordern die Sämlinge weiter keine Pflege, als gänzliches Reinhalten von Unkraut und öfteres Auflockern des Bodens vermittelst der Hacke. Auch thut man gut, die vorzeitig an einzelnen jungen Pflanzen sich zeigenden Ausläufer alsbald nach ihrem Erscheinen zu entfernen. Es ist uns auch vorgekommen, dass nur wenige Monate alte Samenpflanzen schon Blüthenknospen hervorbrachten. Ist dies der Fall, so müssen diese auch Behufs möglichster Stärkung und Kräftigung des Sämlings gleich bei ihrem Erscheinen ausgekneipt werden. Wollte man von solchen jungen Pflanzen auch schon Früchte ernten, so würden dieselbe doch durchaus noch kein Urtheil über ihre Qualität zulassen. Also ist es besser, dieselben gänzlich zu unterdrücken und die Pflanze nicht durch die Entwickelung vorzeitiger Blüthen und wohl gar Früchte zu schwächen. Es würde dies nur auf Kosten der späteren Entwickelung geschehen.
Sobald die Sämlinge auf den Pikirbeeten die erforderliche Stärke erreicht haben, werden sie endlich auf die für sie unterdess aufs Beste hergerichteten Beete gepflanzt. Es kann dies entweder noch im Herbste nicht zu spät, oder im Frühjahre bei geeigneter Witterung, aber immer mit der nöthigen Vorsicht geschehen, wie wir das schon früher im Capitel über das Pflanzen der Erdbeeren angegeben haben.
Es ist wohl leicht ersichtlich, dass man schon über ein ziemlich umfangreiches Terrain verfügen muss, wenn man die Erdbeersämlingszucht nur in einiger Ausdehnung betreiben will. Aber für den Erdbeerzüchter giebt es nichts Interessanteres und Erfreulicheres, als die Zeit, wo die so lange in Ungewissheit und mit so grosser Sorgfalt und Aufmerksamkeit gepflegten Sämlinge die ersten Früchte entwickeln. Obwohl im ersten Jahre, wo die Sämlinge Früchte tragen, durchaus noch kein endgültiges und allseitiges Urtheil über dieselben gefällt werden kann, so ist es doch nothwendig und geboten, schon vom zeitigen Frühjahre an, sobald die Knospenbildung beginnt, dann während der Blüthe und später während des Fruchtansatzes und der Reife derselben fast täglich mit scharfem Auge und kritischem Blicke das Sämlingsquartier zu beobachten und zu mustern. Dann gilt es, einzelne Pflanzen auszuzeichnen und anzumerken, die theils durch frühes Blühen und Reifen der Früchte, theils durch auffallend reiches Tragen, durch hervorstechende grosse oder auffallend gefärbte oder geformte Früchte, theils durch ausgezeichneten Wohlgeschmack sich vor andern bemerklich machen. Das Durchkosten der einzelnen Sämlingsfrüchte ist für die Zunge keine leichte Arbeit, denn neben manchen schönen, köstlichen, saftigen Früchten vom herrlichsten Aroma muss sie auch viele nichts weniger als wohlschmeckende Erdbeeren mit in den Kauf nehmen. Natürlich wird über Pflanzen der letzten Kategorie sogleich der Stab gebrochen.
Welche Gesichtspunkte man bei Beurtheilung neuer aus Samen gezogener Varietäten zu berücksichtigen hat, das lehrt uns ein Aufsatz des in der Erdbeerzucht als Autorität allseitig anerkannten belgischen Züchters De Jonghe in Brüssel (mitgetheilt in Gardeners Chronicle, Jahrgang 1858), dem wir Folgendes entlehnen:
„Zu den Eigenschaften einer guten Erdbeere gehört ein mässiger, aber dabei doch kräftiger Wuchs, Blattstiel und Fruchtstengel sollen kurz, gedrungen und fest sein, die Pflanzen sollen hart und gegen climatische Einflüsse unempfindlich und von hinreichender Tragbarkeit und Fruchtbarkeit sein; die Frucht soll eine gleichmässig runde, ovale, eiförmige oder kegelförmige Gestalt und festes, dichtes Fleisch von erhabenem Geschmacke haben. Dies sind die wesentlichsten Merkmale, welche die Vollkommenheit einer Erdbeere bedingen.“
„Um mit Sicherheit und in jeder Beziehung alle Eigenschaften einer neu gezüchteten Varietät beurtheilen zu können, ist es nothwendig, sie wenigstens fünf Jahre hintereinander unausgesetzt zu beobachten. Diese Beobachtungen sind auf die verschiedenen Phasen des Wachsthums und der Fruchtbildung zu richten; man untersuche die Pflanze vor, während und nach Verlauf des Winters, wenn die Frucht ansetzt und wenn sie reift. Auch soll sich die Vollkommenheit einer Varietät an einer grössern Anzahl, z. B. von 30-50 Exemplaren von einer Sorte, sowie in allernächster Nähe neben andern schon als vorzüglich anerkannten Varietäten, bewähren.“
„Um die Eigenschaften der Frucht genügend schätzen zu können, ist es nöthig, sie zu verschiedenen Tageszeiten zu pflücken, sowohl Morgens, wie auch Mittags und Abends, bei hellem warmem Wetter, wie auch bei trüber regnerischer Witterung. Wenn die Eigenschaft der Frucht alle diese Proben mit Ehren besteht, erst dann darf man ihr Vertrauen schenken.“ — Wir halten das eben angeführte Verfahren der Aussaat und Anzucht der jungen Sämlinge für ein naturgemässes und wenig umständliches. Auch für den Laien, der Interesse für diesen Zweig der Erdbeerzucht hat, ist es leicht ausführbar, zumal da die Aussaat im Sommer, in warmer Jahreszeit weiter keine Vorrichtungen von warmen Mistbeetkästen und dergl. nöthig macht.
Selbst ganz ins freie Land, auf ein sonniges geschütztes Beet kann die Aussaat gemacht werden. Hat man keine Früchte von künstlich befruchteten Erdbeerblüthen, so wähle man dazu nur vorzügliche Früchte beliebiger Sorten aus. Man schneide die Samen auf gleiche Weise, wie oben angeführt, von den Früchten ab und zerreibe diese Scheibchen mit gewöhnlichem gelbem Sand, sodass sich die einzelnen Körnchen mehr isoliren und vom Fleische gelöst werden. Nachdem die Masse abgetrocknet ist, säet man die Samen, mit dem Sande zugleich, nicht zu dick auf das zubereitete Saatbeet. Nach der Aussaat drückt man die Oberfläche des Beetes mit einem Brettchen recht gleichmässig an, sodass die Samen etwas fest zu liegen kommen und durch das Bespritzen nicht zu leicht aus ihrer Lage verrückt werden. Nach dem Aufstreuen einer ganz dünnen Schicht sehr sandiger Erde, wird das Beet mit der Brausekanne ordentlich angefeuchtet. Bei hellem sonnigen Wetter muss das Beet etwas beschattet und bei Regen gegen zu grosse Nässe geschützt werden. Die weitere Behandlung und das Pikiren der jungen Sämlinge ist ganz wie oben angegeben.
…
Gleich nach der Reife der Früchte gesäet, keimt der Same schnell und sicher, und man braucht ihn alsdann auch nicht erst zu reinigen und bis zum nächsten Frühjahr aufzubewahren. Zur Aufbewahrung am einfachsten in Papierdüten müssen solche Orte gewählt werden, die den Mäusen nicht zugänglich sind, denn diese fressen den Samen mit grosser Vorliebe. Der Erdbeersamen behält seine Keimkraft nicht sehr lange, mit Sicherheit geht er nur im ersten Jahre auf, im zweiten, wohl gar im dritten Jahre ist die Aussaat schon sehr zweifelhaft.
Bei uns in Deutschland wird die Erdbeerzucht aus Samen, oder vielmehr die Züchtung neuer Varietäten nur äusserst wenig betrieben, und wir sind in dieser Hinsicht bis auf die neueste Zeit völlig auf die Producte des Auslandes, auf die Einführungen der französischen, belgischen und englischen Züchter angewiesen gewesen. Wir glauben auch in diesem Umstande zum Theil den Grund zu finden für die so häufigen und verschiedenartigen Klagen über einzelne Sorten, dass die von auswärtigen Züchtern als gut und vorzüglich angepriesenen Sorten häufig sich bei uns als weniger empfehlenswerth und mit verschiedenen Mängeln behaftet erweisen. Dass climatische, locale oder gewisse Bodenverhältnisse hierbei mit von Einfluss sind, ist wohl ohne Zweifel anzunehmen, aber gerade deshalb halten wir es für nothwendig und im allgemeinen Interesse für wünschenswerth, dass sich unsere vaterländischen Erdbeerzüchter mehr mit der Züchtung specifisch deutscher Varietäten beschäftigen und ihr Bestreben darauf richten, solche Sorten hervorzubringen, die an Qualität der Früchte den sonst bekannten ausländischen Züchtungen nicht nur nicht nachstehen, sondern sie übertreffen und mit diesen Eigenschaften besonders noch diejenige verbinden, dass sie sich besser dem durchschnittlich rauheren und kälteren Klima unseres Vaterlandes und sonstigen abweichenden Verhältnissen accommodiren. Natürlich wird dieser Zweck nur mit beharrlicher Ausdauer in einer langem Reihe von Jahren erreicht werden können, und ist das ersehnte Ziel nur mit vereinten Kräften tüchtiger erfahrener Züchter zu erstreben. Dass zur Erreichung desselben auch eine thätige Mitwirkung des gärtnerischen Publicums erwünscht, ja sogar nothwendig ist, bedarf wohl kaum der Erwähnung. Denn das Bemühen deutscher Erdbeerzüchter in diesem Sinne wird nur ein eitles und gänzlich vergebliches sein, solange deutsche Erdbeerzüchtungen von Seiten des Erdbeeren pflanzenden Publicums theils aus Geringschätzung, theils aus völliger Nichtkenntniss unberücksichtigt bleiben und keine allgemeine Verbreitung finden. Hoffentlich ist für die deutsche Erdbeerzucht eine neue Aera bereits angebrochen, aber wir wollen hier an dieser Stelle doch nicht verfehlen, nochmals die Aufmerksamkeit und das Interesse sowohl der Gärtner und Gartenbau-Vereine, wie auch des grossen Laienpublicums auf diesen Gegenstand zu lenken und an sie das Verlangen zu stellen, nach Kräften unermüdlich mitzuwirken an der Erreichung des vorgesteckten Zieles: der Züchtung und Verbreitung vorzüglicher deutscher Erdbeer – Varietäten. Dass wir mit der Verbesserung dieser herrlichen Frucht noch lange nicht am Ziele sind und die Grenze des Möglichen noch nicht erreicht haben, darin stimmen alle Autoritäten in der Erdbeerzucht überein, und es wird daher Zeit, dass auch auf dem Gebiete der Erdbeercultur und Züchtung neuer Varietäten die Deutschen sich gleichfalls auf eigene Füsse stellen. …
Hallo Doris, danke für Deinen Kommentar!
Ihr vermehrt die Erdbeeren aber wahrscheinlich vegetativ, d. h. durch die Ausläufer, und nicht durch Samen, oder?
Welche alten Sorten vermehrt ihr?
Beste Grüße
Jürgen