Meine jährliche Danksagung

oder: Eine bessere Welt ist möglich.

Der 24. Oktober war in diesem Jahr der Tag, an dem ich zum letzten Mal einen Tag im Garten genießen konnte. Der Morgen war noch eisig; aber dann erwärmte mir die Sonne noch einmal so richtig das Herz, so dass es den Verstand mit Gefühlen der Dankbarkeit überfluten konnte.

Blätter von Silberblatt und Borretsch von Eiskristallen übersät

Ach, wenn der Frost die zarte Schönheit doch nur konservieren würde!

Dankbarkeit ist ja vor allem das Bewusstsein dafür, dass nicht alles selbstverständlich ist auf dieser Welt, sondern dass neben der eigenen Anstrengung vor allem eine gehörige Portion Glück notwendig ist für das, was man hat und is(s)t.

Feuerbohnen, deren „Mutterbohnen“ rein schwarz waren

Heute möchte ich aber nicht nur für Vergangenes danken, sondern auch ein wenig dazu beitragen, dass Ihr an die Zukunft glaubt. Ich glaube nämlich, dass nicht diejenigen die Zukunft gewinnen, die sie in düsteren Farben malen, sondern diejenigen, die sich eine Zukunft vorstellen können, in der es sich zu leben lohnt.

Und ich glaube fest daran, das wir als Menschheit alle Mittel in der Hand haben, die Zukunft großartig zu gestalten; diese Zukunft will ich in diesem Beitrag heute ein wenig farbig ausmalen.

Farbiger Möhrenmix oder: selbst kreierte F1-Möhren

Doch erst einmal möchte ich Dank sagen: Vor allem möchte ich Euch danken, die Ihr meine, hier öffentlich gemachten Gedanken zur Kenntnis nehmt, regelmäßig, sporadisch oder auch nur zufällig, positiv oder kritisch; es ist nicht selbstverständlich, dass Ihr meinen Blog findet und ihn auch noch verfolgt.

Danke, dass Ihr hier (immer mal wieder) lest!

Herbstbild aus Hagebutten, Maiskolben und Zwiebeln der Sorte „Tropaea Rossa“

Ketzerischer Dank

Jetzt möchte ich aber auch noch jemandem danken, der diesen Dank selten zu hören bekommt, und ich bitte Euch, nicht gleich wegzuklicken, wenn Euch dieses Dankeschön auf den ersten Blick unverständlich erscheint.

Schwarzer Zuckermais in 5. Generation

Ich möchte nämlich der Industriellen Landwirtschaft meinen Dank aussprechen, all denjenigen, die meine Ernährung, mein „Täglich Brot“, sicherstellen; denn auch wenn ich in diesem Jahr ca. 3,5 Kilogramm Roggen, jede Menge Kürbisse und auch eine durchschnittliche Anzahl an Möhren und Zwiebeln geerntet habe, so kann ich mich doch niemals selbst aus meinem Garten versorgen vor allem dann nicht, wenn die Kartoffelernte nahezu ausfällt; so viel ist klar.

Ich brauche eine hoch entwickelte, effektive, moderne Landwirtschaft, um sicher mit Nahrungsmitteln versorgt zu sein.

Was ich aber auf die Dauer nicht brauche, ist eine Freie Marktwirtschaft. Und hier fängt das Zukunftsgemälde oder die Zukunftsmusik an…

Blick von meinem Lieblingsplatz in den grün verwilderten Garten (23.10.2021)

Präludium: Blick auf den Ist-Zustand

Beim Schreiben des Beitrags „Ist Gärtnern weiblich?“, der mit diesem Thema erst einmal nichts zu tun zu haben scheint, sind mir drei Dinge klar geworden:

  1. dass es bei unserer Ernährung um Pflanzenbau geht und somit um den Umgang mit lebenden Wesen;
  2. dass es keine Möglichkeit gibt, hinter einen einmal erreichten Zustand in der Nahrungsmittelerzeugung zurückzufallen, ohne eine fürchterliche Katastrophe heraufzubeschwören: einen Kampf um Nahrungsmittel auf Leben und Tod sowie den Hungertod von unzähligen Menschen, und
  3. dass wir (als Menschheit) nicht ständig mehr Nahrungsmittel erzeugen müssen, weil sich unsere Kopfzahl laufend erhöht, sondern dass sich die Menschheit ständig vermehrt, weil ständig mehr Nahrungsmittel erzeugt werden, dass wir also die gegenwärtige Nahrungsmenge nur weiterhin gewinnen müssen – und nicht immer mehr.

Daraus folgt für mich:

  • Nahrungsmittel sind so effektiv wie möglich zu erzeugen
  • Nahrungsmittel sind nachhaltig und am Lebendigen orientiert zu erzeugen
  • die Menschheit ist als Einheit und der Planet Erde als begrenzt zu betrachten

Der wissenschaftlich-technische Fortschritt

Den überwiegenden Teil unseres heutigen Zustands haben wir den wissenschaftlich-technischen Erkenntnissen der Menschheit zu verdanken.

Nun werden einige sagen: Nein, nicht den Erkenntnissen der Menschheit haben wir unseren Wohlstand zu verdanken, sondern einzelnen Menschen, die neu, anders und weiter gedacht, die etwas unternommen, gewagt und gewonnen haben!

Blick in den Folientunnel am 23.10.2021

Ja, werde ich antworten, das ist richtig; aber diese Menschen waren eingebettet in eine Gemeinschaft anderer Menschen. Ohne die „Menschheit“ um sie herum hätten sie garnichts erreicht; doch das ist nebensächlich.

Mir geht es hier darum, deutlich zu machen, dass wir am wissenschaftlich-technischen Fortschritt nichts ändern, dass wir ihn nicht stoppen können. Die menschliche Suche nach Erkenntnis, nach Verbesserungen lässt sich nicht einfach abstellen. Ich denke immer an Verbesserungen (so, wie jetzt).

Reste von Gurkenkraut und blühenden Ringelblumen

Die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung

Die heutige Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung (in der „westlichen“ Welt), die Freie Marktwirtschaft, macht die Welt zu einem Marktplatz, auf dem es nur noch Verkäufer und Käufer gibt, freie, unabhängige Individuen auf einem Markt.

Das Individuum ist Träger seines Geschicks („Jeder ist seines Glückes Schmied“) und konkurriert in einem (geregelten) Wettbewerb mit anderen Individuen. Jedes leistungsfähige Individuum muss etwas auf dem Markt anbieten, um dort andere Dinge eintauschen zu können. Angebot und Nachfrage (sowie gutes Marketing) bestimmen die Preise.

Dieser Zwang zu verkaufen und zu kaufen, hält das System am Laufen, zwingt alle, ständig etwas anbieten zu müssen, um etwas zu bekommen, sogar das Lebensnotwendige. Dass die Besitzer von Überschüssen (die „Kapitalisten“) und ihre Verwalter das Hamsterrad des ständigen Wachstums brauchen, um von den Zinsen leben zu können, sei nur nebenbei bemerkt.

Mais und Mulch

Herbst im Kleingarten: Abgeerntetes Maisbeet und gemulchte Kartoffelbeete

Eine rote Bete-Pflanze kurz vor der Ernte

Rote Rübe aus verkreuztem Saatgut (mit Mangold gemischt)

Rotblättriger Mangold

Ein Mischlingsmangold; aus grünem Mangold und roter Rübe entstanden

Vor- und Nachteile der Freien Marktwirtschaft

Vorteile:

  • der Mensch kann sich als Individuum erkennen, sich selbst und seiner Bedürfnisse bewusst werden; selbstbewusst werden
  • der Mensch kann sich als freies Individuum freier entfalten, kann seine Stärken besser einsetzen
  • die Leistungen aller Individuen verbessern sich durch den persönlich angemesseneren Einsatz ihrer Kräfte; die Leistungen (Produkte, Dienstleistungen) insgesamt werden dadurch erhöht

Der letzte außergewöhnliche Gartenkürbis

Nachteile:

  • das Individuum vereinzelt, ist nicht mehr in einer Gemeinschaft aufgehoben; es ist allein und allein für sein Überleben verantwortlich
  • das Individuum ist gezwungen, zuerst und vor allem an sich selbst zu denken; das Private wird zu einem hohen Wert
  • das Individuum ist gezwungen, für sein Überleben an einem undurchsichtigen Produktionsprozess mitzuwirken
  • das Individuum muss (sich) ständig verkaufen, um überleben zu können; der Mensch wird deshalb seinem Wesen nach ein Verkäufer
  • das Individuum muss laufend neue Produkte und Dienstleistungen erfinden, anpreisen und schönreden, nur um bei einer Produktion, die ständig effizienter wird (Stichwort: Rationalisierung), auf dem Markt das Lebensnotwendige eintauschen zu können (wenn jemand, der bisher seine Arbeitskraft verkaufen konnte, durch eine Maschine ersetzt wird, muss er verhungern – oder irgendetwas Anderes anbieten)

Zukunftsmusik

Nach diesem holzschnittartigen Bild der Gegenwart, male ich meine Zukunftsvorstellungen:

Nachdem die Freie Marktwirtschaft die ansolute Mehrheit der Menschen (mindestens 75% der Menschheit) zu selbst bewussten Freien Individuen gemacht hat, die ihre Bedürfnisse und Interessen erkennen, besteht die Möglichkeit, dass diese freien Individuen auch erkennen, dass sie ohne Gemeinschaft nichts sind, und organisieren eine Gemeinschaft, deren Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung sie selbst bestimmen, gestalten und regeln.

Die Tonne Gartenkürbisse, die meine Familie und mich über den Winter rettet…

Sie sehen, dass Klein-Gruppenbildung das Grundproblem nicht beseitigt, sondern nachgerade verschärft bzw. es so belässt, wie es ist: Gruppen konkurrieren weiterhin miteinander, versuchen, sich gegenseitig Vorteile abzunehmen: Waffen, Rüstung und Krieg wären nicht beseitigt; deshalb kann die Gemeinschaft der Zukunft nur die Gemeinschaft aller Menschen sein.

Gottseidank gibt es ab und zu ein paar Bohnen (aus eigener Zucht) dazu…

Freie, selbstbewusste Individuen sammeln ihre Bedürfnisse und entwerfen einen Plan, wie sie diese am effizientesten befriedigen können. Mit den technischen Hilfsmitteln, die ihnen zur Verfügung stehen, können sie die gewünschten Produkte und Dienstleistungen leicht erzeugen. Jeder bekommt, was er braucht, und bringt sich nach besten Kräften ein, um die selbst festgelegten Ziele zu erreichen.

Ein 100%iger, da freiwilliger, überzeugter Einsatz aller, wird zu einer maximalen Produktivität führen.

Zur Abwechselung auch mal in einer anderen Farbe…(Zuchtziel: Rote Stangenbohne)

Erste Schritte in die schöne, neue Zukunft

Die freien Individuen beginnen die neue Wirtschafts-, Gesellschafts- und Weltordnung damit, die notwendigen Energien ausschließlich in den Wüsten dieser Welt einzufangen und in Energieträger zu verwandeln; sie haben vielleicht auch die Mittel zur Verfügung, sämtliche Lössböden dieser Welt mit Gewächshäusern zu überziehen, um in ihnen Bodenerosion verhindern, das Wasser effektiv managen und die Konkurrenzorganismen besser kontrollieren — und damit die Nahrungsmittelversorgung sehr viel sicherer machen zu können…

Aus weißen Bohnen lassen sich wenigstens auch mal „Baked Beans“ herstellen

Stangenbohnengerüst aus Bambusstangen

Das neue Stangenbohnengerüst hat seinen Dienst perfekt erfüllt

Diese freien Individuen pflegen Kulturlandschaften, erzeugen Bio-Lebensmittel und vermehren die genetische Vielfalt dann in ihrer Freizeit, ganz entspannt nebenbei, neben zahlreichen anderen Freizeitbeschäftigungen, denen sie nachgehen können…

Klingt das nicht nach Paradies oder schon nach Kommunismus?

Diese perfekten „Trombetta di Albenga“ habe ich leider im Garten vergessen…

Nun, ein solches Paradies wird uns nicht in den Schoß fallen; wir brauchen dazu eine neue Aufklärung, eine, die darüber aufklärt, dass die Zukunft wunderbar sein kann, wenn – ja, wenn wir sie so gestalten…

…aber vielleicht sind sie ja noch genießbar, wenn ich das nächste Mal komme…